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Letzte Hoffnung — Fruchtbarkeit aus der Retorte ?

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,,ln der Retorte“ werden Eizelle und Samen ungewollt kinderloser Partner zusammengebracht. Die notwendigen Eingriffe vor allem in die Körper der Frauen haben aber verschiedene bedenkliche Aspekte. Ein Dossier von Leonore Rambosek.

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,,ln der Retorte“ werden Eizelle und Samen ungewollt kinderloser Partner zusammengebracht. Die notwendigen Eingriffe vor allem in die Körper der Frauen haben aber verschiedene bedenkliche Aspekte. Ein Dossier von Leonore Rambosek.

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Als 1978 das erste „in der Retorte“ gezeugte Baby Louise Brown von den Bildschirmen lächelte, gab dies vielen unfreiwillig kinderlosen Paaren neuen Mut. Im Jahr 1986 waren in Österreich zwischen 100.000 und 200.000 Paare von diesem Schicksal betroffen. Das erste österreichische Retortenbaby wurde 1981 geboren, seither gibt es etwa 150 von ihnen in Österreich.

Für Paare, deren Sterilität organisch bedingt ist, stellen In-vi-tro-Fertilisation (IVF) und Insemination medizinisch mittlerweile weltweit erprobte Methoden dar, um eigene Kinder zu bekommen. Bei der IVF-Behandlung wird durch Hormoninjektionen die Follikel- und Eizellenbildung der Frau stimuliert. Durch vaginale Ultraschalluntersuchungen wird das Größenwachstum der Follikel beobachtet. Entsprechend dem Reifegrad von Follikel beziehungsweise Eizelle wird durch Hormoninjektion der Zeitpunkt der Eientnahme festgesetzt. Unter Narkose werden 36 Stunden später durch Laparoskopie (Bauchspiegelung) oder durch ultraschallkontrollierte Punktion (Absaugung) auf vaginalem Wege die Eizellen gewonnen. In einer spezifischen Kulturlösung werden sie mit dem gereinigten Samen des Partners zusammengebracht. Wenn eine Befruchtung stattgefunden hat, werden zwei Tage später die Embryonen in die Gebärmutter transferiert. Aufgrund des notwendigen Zusammenspiels dieser vielen Faktoren bei Eizellreifung und -gewinnung ist nicht jeder Zyklus optimal verwendbar, dann wird die Behandlung abgebrochen.

Trotz ständig verbesserter medizinischer Vorgangsweise ist bei der IVF-Behandlung mit einer Schwangerschaftsrate von höchstens 30 Prozent und einer Geburtenrate zwischen fünf und zehn Prozent zu rechnen.

Bei der künstlichen Insemination wird der Samen an geeigneten Zyklustagen in die Gebärmutter der Frau gespritzt.

Wie sich die physisch anstrengende und psychisch belastende IVF-Behandlung mit ihren längerdauernden hohen Hormongaben, den fast täglichen Ultra-

Schalluntersuchungen und der operativen Eizellenentnahme auf den Organismus der Frau auswirkt, ist nicht dokumentiert.

Wenn betroffene Paare in größerer Entfernung von den Behandlungsinstituten (in Österreich: Universitäts-Frauenkliniken, einige Landeskrankenhäuser und Privatinstitute) liegen, ist der Zeitaufwand beträchtlich. Das Verständnis und Entgegenkommen von Arbeitgebern ist bei berufstätigen Frauen auch nicht im-,mer vorauszusetzen. Immerhin muß ein bestimmter Terminplan genauestens eingehalten werden (siehe Kasten Seite 12), und das oft Jahre hindurch. Der zeitliche Aufwand der Behandlung beherrscht den Alltag, macht soziale Kontakte fast unmöglich.

Die Abkoppelung des Fortpflanzungsvorganges von den Partnern, die Einbeziehung des „Reproduktionsexperten“ in das intime Geschehen belastet in vielen Fällen auch die Beziehung zwischen den Partnern.

Ungewollt kinderlos, unfruchtbar zu sein, verursacht bei Frauen und Männern starke Zweifel am Selbstwert, kränkt ihr Selbstbewußtsein. Ist diese Unfruchtbarkeit nicht organisch bedingt, werden diese Zweifel noch massiver.

In jedem Kinderwunsch mischen sich bei Frauen und Männern höchst ambivalente Motive, sind ichbezogene und auf den Partner gerichtete Komponenten enthalten. Sterilität kann als „psychosomatischer Kompromiß“ eine Schutzfunktion haben, wenn das labile Gleichgewicht eines Partners oder das Gleichgewicht in der Beziehung durch die Geburt eines Kindes gefährdet würde.

Auch im Kinderwunsch fruchtbarer Paare stecken normalerweise vielerlei Komponenten, die zu verschiedenen Zeiten einen verschiedenen Stellenwert haben: Das Kind als Bezugspunkt elterlicher Erwartungen, als Partnerersatz, als Vermittler von Lebens-sinn, zur Vervollständigung der Partnerschaft, fürs Weiterleben eigener Anteile, als Potenznachweis, t

Stark vermittelt durch religiöse Vorstellungen werden ungewollte und gewollte Kinderlosigkeit noch immer als Abweichung von der herrschenden Norm betrachtet, gesellschaftlich nicht akzeptiert. Den stärksten sozialen Druck erleben ungewollt kinderlose Paare noch dazu meist dann, wenn sie sich Fruchtbarkeitsuntersuchungen zu unterziehen beginnen, also in hohem Maß verletzlich sind.

Das Gefühl des Versagens wird, obwohl zum großen Teil gesellschaftlich bedingt, stark verin-nerlicht, als Abwehr entwickeln Betroffene nach dem ersten Schock Verleugnungstendenzen, Wut- und Schuldgefühle, die Isolation zur Umwelt und auch zwischen den Partnern kann sich eher verstärken, Depressionen können entstehen.

Das Angebot der modernen Reproduktionsmedizin ermöglicht solchen Paaren, die Auseinandersetzung mit den tieferliegenden Ursachen ihrer Kinderlosigkeit zu umgehen. Was aber geschieht, wenn diese Angebote ihnen nicht den gewünschten „Erfolg“ bringen? Sind vor allem Frauen deswegen so motiviert, sich den belastenden und strapaziösen Behandlungen über Jahre zu unterziehen? Hängt die exzessive Bereitschaft, die Behandlung fortzusetzen, mit Minderwertigkeitsgefühlen von Frauen zusammen, die nicht geboren haben?

Bevor betroffene Paare ihre Kinderlosigkeit v medizinisch durch IVF-Behandlungen oder Inseminationen zu umgehen versuchen, sollte auch die Möglichkeit einer Adoption überlegt werden.

Und: Was sagt es über die Lebensbedingungen in einer Gesellschaft aus, wenn die Menschen in ihr sich immer weniger fortpflanzen (können)?

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