"FRUCHTBARKEIT beginnt im Kopf"

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Hilft Psychotherapie bei ungewollter Kinderlosigkeit? Reduziert sie gar Fehlgeburten? Die deutsche Psychosomatikerin Ute Auhagen-Stephanos über Seele und Fertilität.

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Hilft Psychotherapie bei ungewollter Kinderlosigkeit? Reduziert sie gar Fehlgeburten? Die deutsche Psychosomatikerin Ute Auhagen-Stephanos über Seele und Fertilität.

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Unfruchtbarkeit ist keine Krankheit. Aber ungewollte Kinderlosigkeit wird oft als große Belastung erlebt. Die Psychosomatikerin und Psychoanalytikerin Ute Auhagen-Stephanos begleitet seit über 30 Jahren in ihrer Praxis in Neu-Ulm Paare mit unerfülltem Kinderwunsch sowie Frauen während einer künstlichen Befruchtung oder bei Problemen in der Schwangerschaft. Im Interview erklärt sie ihren sehr speziellen Zugang.

DIE FURCHE: Vorab eine Grundsatzfrage: Was hat die Psyche mit Fruchtbarkeit zu tun?

Ute Auhagen-Stephanos: Viel, denn die Fruchtbarkeit sitzt ja nicht allein im Unterleib, sondern sie wird vom ganzen Menschen, der aus Körper, Geist und Seele besteht, beeinflusst. Ich sage gern: Die Fruchtbarkeit beginnt im Kopf. Wir sind ja keine Tiere, sondern haben ein kulturelles Verständnis unserer selbst und ein Bewusstsein unserer Prägung. Deshalb spielt die Seele hier eine große Rolle.

DIE FURCHE: Ein solcher Zugang ist nicht unumstritten. Unfreiwillig kinderlose Paare könnten das Gefühl bekommen, als psychisch gestört angesehen zu werden. Und Kritiker Ihres Buches "Wenn die Seele nein sagt: Unfruchtbarkeit - Deutung, Hoffnung, Hilfe" aus dem Jahr 2002 monieren, dass darin für jeden Fall ein Trauma in der Kindheit geboten würde

Auhagen-Stephanos: Dazu muss man festhalten, dass sich Paare mit oder ohne Kinder in ihrer körperlichen oder seelischen Gesundheit nicht unterscheiden. Aber bei Betroffenen, die trotz längerer Behandlung und Ausschluss körperlicher Ursachen kein Kind bekommen, können eben vergangene Verletzungen vorliegen, die ein Hindernis für eine Schwangerschaft darstellen. Dazu kommt, dass bei der Reproduktionsmedizin die natürlichen Funktionen und Abläufe beeinträchtigt werden und sich psychosomatische Störungen entwickeln können, die womöglich ebenfalls die Fruchtbarkeit beeinträchtigen.

DIE FURCHE: Sie arbeiten mit zwei Kinderwunschzentren in Ulm und Stuttgart zusammen. Gibt es empirische Zahlen dafür, ob eine begleitende Psychotherapie die Befruchtungschance tatsächlich erhöht?

Auhagen-Stephanos: Wir haben keine empirische Untersuchung, der ganze psychische Aspekt der Reproduktionsmedizin wurde leider noch nicht aufgearbeitet. Aber bei jenen Paaren, die von den Zentren an mich weitergeleitet wurden, weil sie schon mehrere Fehlversuche hinter sich hatten, kam es bei rund 20 Prozent noch zu einer Schwangerschaft. Das ist sehr viel in dieser Gruppe. Wobei der limitierende Faktor die Eizellen sind. Mit Psychotherapie und Entspannung kann man die Eizellen vielleicht noch etwas "fitter" machen, aber wenn sie nicht mehr befruchtungsfähig sind, geht nichts mehr. Umso mehr muss man kritisieren, dass heute immer mehr Leute glauben, dass durch die Reproduktionsmedizin ihre biologische Uhr nicht mehr tickt. DIE FURCHE: Kann man sagen, wie häufig rein psychische Ursachen ausschlaggebend für Fruchtbarkeitsprobleme sind?

Auhagen-Stephanos: Insgesamt geht man davon aus, dass es in zumindest fünf Prozent der Fälle rein psychische Ursachen gibt. Aber wenn man alle körperlichen Probleme mit hineinnimmt, die psychosomatisch bedingt sind und auch mit seelischen Belastungen zusammenhängen, dann können es bis zu 20 Prozent sein. Dazu gehören etwa Zyklusstörungen, Eireifungsstörungen oder Anorexie ("Magersucht", Anm.).

DIE FURCHE: Was sind die häufigsten psychischen Belastungen, die fertilitätshemmend wirken?

Auhagen-Stephanos: Es geht oft darum, dass die ungewollte Kinderlosigkeit zu Beziehungsproblemen geführt hat, dass das Paar nicht einig hinter einem Kinderwunsch steht -oder dass es zuvor zu einer Fehlgeburt gekommen ist. Dieses Risiko liegt bei künstlicher Befruchtung ja bei etwa 30 Prozent. Die Angst ist das Schlimmste, denn sie löst Stresshormone aus, die entweder verhindern, dass es überhaupt zu einer Schwangerschaft kommt -oder dazu führen, dass wieder eine Fehlgeburt eintritt. Angst, Stress und Depression sind die wesentlichen Faktoren, bei denen es eine therapeutische Begleitung bräuchte.

DIE FURCHE: Sie haben bislang rund 800 Fälle begleitet. Welche belastenden Erfahrungen aus der eigenen Kindheit kann es geben, die sich negativ auf die Fruchtbarkeit auswirken?

Auhagen-Stephanos: Ich habe festgestellt, dass es nach sexuellem Missbrauch oft Schwierigkeiten gibt. Dieses Thema ergibt sich aber natürlich erst im therapeutischen Gespräch. Belastend kann auch sein, wenn man selbst ein ungewolltes Kind war und die eigene Mutter immer gesagt hat: Krieg bloß kein Kind! Viele Töchter haben das verinnerlicht, obwohl sie eigentlich ein Kind wollen. Aber bewusster und unbewusster Kinderwunsch geht eben oft auseinander. Schließlich gibt es noch jene Fälle, bei denen eine eigene vernachlässigende oder schädigende Mutter zur Angst geführt hat, dass man seinem Kind eventuell dasselbe antun könnte -und man gar nicht weiß, was Mutterschaft ist.

DIE FURCHE: Und Vaterschaft? Wie oft beraten Sie exklusiv Männer?

Auhagen-Stephanos: In den letzten zehn Jahren war es kein einziger; Männer kommen nur in Begleitung ihrer Frau. Dabei geht man davon aus, dass die Sterilitätsursachen zu 40 Prozent beim Mann liegen, zu 40 Prozent bei der Frau und zu 20 Prozent bei beiden. Es müssten also viel mehr Männer kommen, aber die verarbeiten ihre Probleme offenbar anders. Außerdem sind Frauen leichter geneigt, die "Schuld" auf sich zu nehmen.

DIE FURCHE: In Ihrem jüngsten Buch "Damit mein Baby bleibt" (Kösel) beschreiben Sie, wie ein "Mutter-Embryo-Dialog" das Fehlgeburtsrisiko senken kann -und haben dazu auch eine CD entwickelt. Worum geht es hier genau?

Auhagen-Stephanos: Es geht darum, dass die Frau im Rahmen der Therapie in einen liebevollen Kontakt mit ihrem Kind kommt und es mit guten Gedanken begleitet. Viele meiner Patientinnen, die zuvor eine Fehlgeburt hatten, konnten damit die nächste Schwangerschaft durchstehen. Und in einer Mailänder Teststudie haben von 20 Frauen mit vorangegangener Fehlgeburt jene zehn, die einmal pro Woche eine Therapie bekamen, ihr Kind austragen können, von den anderen zehn waren es nur fünf. Diesen Dialog kann man aber auch einsetzen, um die Chance künstlicher Befruchtung zu erhöhen. Man kann dem Kind quasi schon vor seiner Entstehung zulächeln, und diese guten Gedanken führen zu weniger Stress und machen den Körper empfangsbereiter.

DIE FURCHE: Aber ist die Trauer bei einem erfolglosen IVF-Versuch dann nicht umso größer?

Auhagen-Stephanos: Natürlich ist die Trauer groß, aber sie wird dann wenigstens wahrgenommen und kann gemeinsam aufgearbeitet werden. Sonst sitzen die Frauen nur trostlos da, wenn sie den Telefonanruf des Kinderwunschzentrums bekommen. Manche stürzen sich gleich in den nächsten Versuch, das ist fast wie eine Sucht. Auch nach einer Fehlgeburt geben sich viele kaum Zeit. Doch mit dieser Hetze bringen sie sich selbst in ein unfruchtbares Klima. Kein Wunder, dass hier kein Kind geboren wird.

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