Später Fortschritt oder TABUBRUCH?

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Die Regierung will künftig Eizellspenden sowie Präimplantationsdiagnostik zulassen. Eine Debatte über das geplante, neue Fortpflanzungsmedizingesetz.

Ein Urteil des Verfassungsgerichtshofs hat die Bundesregierung dazu gezwungen, das Fortpflanzungsmedizingesetz zu novellieren - und lesbischen Paaren den Zugang zu künstlicher Befruchtung zu erlauben. Jener Gesetzesentwurf, den Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) und Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser (SPÖ) vergangene Woche in Begutachtung schickten, geht freilich weit darüber hinaus: Unter anderem sollen auch Eizellspenden und Gentests an Embryonen in der Petrischale (Präimplantationsdiagnostik) erlaubt werden (s. unten). Eine überfällige Liberalisierung - oder ein ethischer Tabubruch? Christian Egarter, Reproduktionsmediziner am Wiener AKH sowie Mitglied der Bioethikkommission, und Helene Göschka, stellvertretende Generalsekretärin von "Aktion Leben Österreich“, haben darüber heftig diskutiert.

Die Furche: Frau Göschka, die "Aktion Leben“ zeigt sich angesichts des vorliegenden Gesetzesentwurfs "erschüttert“. Warum?

Helene Göschka: Weil er unsere schlimmsten Erwartungen übertrifft. Wobei ich vorausschicken möchte, dass die Fortpflanzungsmedizin die großen gesellschaftspolitischen Probleme, vor denen wir stehen, gar nicht lösen kann: Erstens haben wir es verabsäumt dafür zu sorgen, dass Frauen in jungen Jahren ihre Kinder bekommen können und wollen. Zweitens scheint niemanden zu interessieren, warum die Unfruchtbarkeit zunimmt: Viele der Ursachen sind ja hausgemacht, ich denke etwa an Umweltbelastungen. Und drittens hat die Gesundheitspolitik versagt, weil Mädchen und Burschen nicht vermittelt wird, dass Fruchtbarkeit ein Schatz ist, auf den sie aufpassen sollten. Wir vermitteln ihnen immer nur, bloß nicht schwanger zu werden. Es ist also blauäugig zu glauben, dass mit einem neuen Gesetz alles in Ordnung wäre.

Christian Egarter: Also dieser Entwurf ist überfällig: Es gibt ja nicht nur das Urteil des Verfassungsgerichtshofs, wonach die Samenspende für lesbische Paare erlaubt werden muss. Es ist auch so, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Italien wegen seines Verbots der Präimplantationsdiagnostik verurteilt hat - und dieser Spruch ist auch für Österreich, das als letztes Land Europas die PID verbietet, relevant. Auch bei der Eizellspende hat der Menschenrechtsgerichtshof Änderungsbedarf festgestellt. Die geplanten Neuerungen sind also ein absolutes Muss. Was mir allerdings noch fehlt, ist, dass man die Eizell- und Samenspende auch für alleinstehende Frauen freigibt. Schließlich ist das ein Ausschließungsgrund, der leicht umgangen werden kann, indem man pro forma beim Notar eine Partnerschaft eintragen lässt.

Göschka: Wir sehen hier zahlreiche Probleme: Das beginnt schon damit, dass im Gesetzesentwurf eine Personengruppe buchstäblich verkauft wird, nämlich jene Frauen, die Eizellen spenden sollen. Der Begriff "Eizellspende“ ist ja ein Euphemismus, denn im Grunde geht es um die Ausbeutung von Frauen. Eizellen zu spenden ist ja etwas anderes als Samen zu spenden: Hier sind eine Hormonstimulation und ein operativer Eingriff nötig, beides birgt Risiken. Eizellspenden tut weh. Für gut aufgeklärte Frauen - und ohne finanziellen Anreiz - gibt es keinen Grund, so etwas zu tun.

Egarter: Das medizinische Prozedere wird zwar als "operativer Eingriff“ bezeichnet, aber im Grunde handelt es sich um ein Abpunktieren von Eizellen durch die Scheide, was auch unter Narkose durchgeführt werden kann und dann schmerzfrei ist. Aber natürlich ist auch das mit einem kleinen Risiko verbunden, deshalb muss die Patientin laut Entwurf auch umfangreich aufgeklärt werden. Dass es zu einer finanziellen "Ausbeutung“ von Frauen kommen könnte, glaube ich aber nicht. Im Entwurf ist festgehalten, dass Eizellspende kein Business werden darf, sondern dass nur Aufwandsentschädigungen geleistet werden dürfen.

Göschka: Die Bezahlung wird hier doch nur als Aufwandsentschädigung getarnt! Tatsächlich sind solche Entschädigungen ein wichtiger Anreiz für Frauen, das zeigt sich schon daran, dass es in Ländern ohne Aufwandsentschädigungen - etwa England - viel zu wenige Eizellspenderinnen gibt.

Die Furche: Glauben Sie, dass sich bei uns genügend Spenderinnen finden, Herr Professor Egarter?

Egarter: Ja, es wird genügend Frauen geben, die aus altruistischen Motiven spenden werden. Das Phänomen wird aber zahlenmäßig überschaubar sein, weil die Spenderinnen - wie schon jetzt die Samenspender - einen Notariatsakt abschließen müssen, in dem das Recht der Kinder festgehalten ist, mit 14 Jahren ihre genetischen Eltern zu erfahren. Diesen Schritt muss man sich also sehr gut überlegen.

Göschka: Die Belastung durch die Hormonstimulation kommt noch dazu: Eine führende Embryologin in Deutschland, Helena Angermaier, hat gegenüber der Süddeutschen Zeitung gesagt, sie führe möglichst keine Hormonstimulation mehr durch, weil bekannt sei, dass diese das Risiko für Eierstockkrebs begünstigen kann.

Egarter: Da muss ich vehement widersprechen: Metaanalysen haben über einen Zeitraum von 35 Jahren gezeigt, dass es kein erhöhtes Krebsrisiko gibt.

Göschka: Da gibt es offenbar unterschiedliche Ansichten.

Egarter: Nein, da gibt es Metaanalysen, also das stärkste, evidenzbasierte Instrument der Medizin - und Einzelmeinungen.

Göschka: Wenn Sie schon von Metaanalysen sprechen: Es geht uns auch um die Risiken der künstlichen Befruchtung an sich - und um die Informationspolitik der Kinderwunschzentren, die stark werbungsorientiert ist. Wir sehen dort auf Homepages seitenweise Briefe dankbarer Eltern. Was aber fehlt, sind Briefe von Eltern, die ihren Kinderwunsch nach vielen Versuchen aufgegeben haben oder schreiben: "Wir freuen uns sehr über unsere Zwillinge Jonas und Felix, die bereits nach sechs Monaten aus dem Krankenhaus entlassen werden konnten. Jonas sieht schlecht und das Immunsystem von Felix ist noch immer angegriffen.“ Nicht durch Zufall sind die Kinderärzte die schärfsten Kritiker der Fortpflanzungsmedizin.

Egarter: Ich gebe zu, dass das eine oder andere IVF-Institut Werbemaßnahmen setzt, die nicht adäquat sind. Das ist aber nicht repräsentativ für die gesamte Reproduktionsmedizin. Es gibt Guidelines, an die man sich halten muss. Und was etwaige genetische Störungen bei Kindern nach künstlicher Befruchtung betrifft, so zeigen Metaanalysen, dass es zu keinen über das normale Ausmaß hinausgehenden Belastungen kommt. Es stimmt, dass es früher häufiger Mehrlingsschwangerschaften und dadurch ein erhöhtes Geburtshilferisiko gegeben hat, weil oft mehrere Embryonen transferiert wurden. Aber der neue Gesetzesentwurf sieht ja vor, dass man sich auf den Single-Embryo-Transfer beschränken muss.

Die Furche: Das begrüßen Sie vermutlich, Frau Göschka …

Göschka: Absolut. Was aber fehlt, ist eine umfassende Entwicklungsdiagnostik der künstlich gezeugten Kinder. Diese Chance auf mehr Transparenz wurde vertan.

Egarter: Bisher wurden tausende Daten und Studien zur Entwicklung von IVF-Kindern publiziert. Ich verstehe aber generell Ihre Vehemenz nicht. Vermutlich waren Sie noch nie auf einer Kinderwunschambulanz, denn dann würden Sie sehen, dass ungewollte Kinderlosigkeit aus medizinischer wie aus psychologischer Sicht eine schwerwiegende Erkrankung sein kann. Wenn Sie alles kategorisch verbieten wollen, erweisen Sie diesen Frauen keinen guten Dienst.

Göschka: Wir freuen uns über jedes Kind, das geboren wird. Jedes Kind ist ein Geschenk. Aber Kinder aus der Retorte um jeden Preis zu bekommen, ist problematisch. Im vorliegenden Entwurf werden Grenzen überschritten, weil vorsätzlich eine gespaltene Elternschaft erzeugt wird. Wir sehen schon bei der Adoption, was es bedeutet, wenn Kinder andere biologische als soziale Eltern haben. Das begleitet sie ein Leben lang. Während bei Adoptionen aber eine Notsituation vorliegt, bei der für die Kinder ein sicherer Hafen gesucht wird, führt die Fortpflanzungsmedizin solche Situationen vorsätzlich herbei.

Egarter: Den sicheren Hafen gibt es auch bei der Keimzellspende, weil zumindest ein Elternteil der genetische ist. Außerdem ist ja vorgesehen, dass es bei Keimzellspenden zu einer umfangreichen Aufklärung und Beratung kommen muss. Auch das Grundrecht auf Kenntnis der eigenen Abstammung ist gesichert: Jedes Kind hat wie erwähnt im Alter von 14 Jahren die Möglichkeit, Einsicht in die Aufzeichnungen zu nehmen.

Göschka: Wir wissen aber schon von der Samenspende, dass nur wenige Kinder überhaupt erfahren, dass sie auf diese Art gezeugt worden sind. Hier gibt es oft ein Familiengeheimnis - mit enormen systemischen Auswirkungen.

Egarter: Ich werde einer Frau, die durch Samenspende schwanger geworden ist, natürlich empfehlen, ihr Kind aufzuklären, aber ich kann sie nicht zwingen. Wobei ich als Geburtshelfer darauf hinweisen muss, dass es auch in ganz normalen Familien oft "Kuckuckskinder“ gibt. Ihre Bedenken müssten auch diese Fälle betreffen.

Göschka: Absolut. Wenn es also einen Fonds geben sollte für all diese Techniken, dann kann auch gleich ein Fonds für mehr Psychotherapie eingerichtet werden, das werden wir in hohem Ausmaß brauchen.

Die Furche: Kommen wir zu einer weiteren umstrittenen Technik, die künftig zugelassen werden soll, nämlich die Präimplantationsdiagnostik. Laut Entwurf soll sie nicht nur bei Erbkrankheiten möglich sein, sondern auch dann, wenn "nach drei oder mehr Anwendungen einer medizinisch unterstützen Fortpflanzung keine Schwangerschaft eintritt“. Eine ziemlich niedrige Schwelle, wenn man daran denkt, dass derzeit nur 29,3 Prozent aller Versuche zu einer Schwangerschaft führen …

Egarter: Das ist tatsächlich extrem niederschwellig, denn als "medizinisch unterstützte Fortpflanzung“ könnte man ja auch die bloße Medikamentengabe zur Eisprungstimulation verstehen. Dann könnte praktisch jeder nach relativ kurzer Zeit eine PID durchführen lassen. Bei genetischen Erbkrankheiten liegt die Schwelle hingegen sehr hoch, hier soll die PID erst in jenen Fällen zugelassen werden, bei denen das Kind nur durch den "ständigen Einsatz moderner Medizintechnik“ überlebt, schwerste Hirnschädigungen aufweist oder an unbehandelbaren Schmerzen leiden würde. Schwere Stoffwechselkrankheiten wie zystische Fibrose, die erst nach einigen Jahren evident wird, würden womöglich gar nicht darunter fallen. Die Bioethikkommission wird über all das diskutieren - und wohl auch dafür plädieren, den Passus über die erfolglosen Versuche höherschwellig anzusetzen.

Göschka: Ich bin froh, dass Sie hier nachschärfen wollen. Wobei die PID die Erfolgsrate einer künstlichen Befruchtung gar nicht zwingend erhöht, wie die internationale Standesvertretung der Fortpflanzungsmediziner (ESHRE) selbst festgehalten hat.

Egarter: Das bezog sich auf das alte Präimplantationsscreening. Mittlerweile hat sich die Technik weiterentwickelt.

Die Furche: Eine Technik, bei der auch vergleichsweise leichte Behinderungen wie das Down-Syndrom festgestellt werden können. Haben Sie keine Angst vor Selektion?

Egarter: Diese Selektion gibt es doch schon durch die Pränataldiagnostik! In der zwölften Schwangerschaftswoche können Sie alles untersuchen und müssen dann im Fall einer Auffälligkeit einen Schwangerschaftsabbruch zulassen! Durch die PID wird dieses ethische Dilemma auf die Zeit vor der Empfängnis verschoben und ist dadurch einfacher zu lösen als im dritten Schwangerschaftsmonat.

Göschka: Das folgt der Logik: Wer A sagt, muss auch B sagen. Aber wenn A schon problematisch ist, ist B nicht unproblematisch. Es gibt auch zur Pränataldiagnostik viel Kritisches anzumerken.

Die Furche: Das wäre eine eigene Debatte. Für Kritik am Gesetzesentwurf haben Sie jedenfalls nur noch bis 1. Dezember Zeit. Was werden Sie verlangen?

Göschka: Uns fehlt die ganzheitliche Sicht. Wir wollen nicht nur wissen, wieviele Geburten erreicht wurden, sondern auch: Wie geht es Frauen und Kindern nach der Geburt sowie den Eizellspenderinnen? Wir werden eine umfangreiche Stellungnahme abgeben.

Egarter: Ich bin derzeit in Diskussion mit anderen Mitgliedern der Bioethikkommission. Wir würden anregen, die Embryonenspende, wie sie auch in Deutschland möglich ist, als eine Art Frühadoption zuzulassen. Auch über die Öffnung der Reproduktionsmedizin für alleinstehende Frauen wird debattiert - ebenso wie über das unlängst hochgekochte Thema "Social Egg Freezing“. Bei Frauen mit einer Krebserkrankung ist das schon jetzt erlaubt, und ich sehe keine ethischen Bedenken gegen eine Freigabe auch für andere Situationen. In der Kommission wird aber diskutiert, das Verbot aufrecht zu erhalten, weil man jungen Frauen keine Hoffnungen machen will, die sich später womöglich nicht erfüllen lassen - und weil das den Druck auf eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie verringern könnte. Das würde auch ich nicht wollen. Zumindest in diesem Punkt, Frau Göschka, gehen wir vermutlich konform.

Die Diskutanten

Christian Egarter

Der 58-jährige, zweifache Vater hat an der Universität Innsbruck Medizin studiert. Egarter leitet die Klinische Abteilung für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin am AKH und ist Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Sterilität, Fertilität und Reproduktion. Seit 2013 ist er auch Mitglied der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt.

Helene Göschka

Die 44-jährige Mutter dreier Kinder hat Germanistik und Geschichte studiert und als freie Journalistin gearbeitet. Seit 2000 ist Göschka Pressesprecherin der überkonfessionellen und überparteilichen "Aktion Leben Österreich“ und hat in dieser Funktion mehrere Publikationen zum Thema Bioethik verfasst. Seit 2014 ist sie zudem stellvertretende Generalsekretärin.

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