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Reproduktionsmediziner fordern, in Österreich das generelle Verbot der Präimplantationsdiagnostik aufzuheben. Behindertenorganisationen warnen vor Selektion.

Wilfried Feichtinger hat ein Faible für aussagekräftige Bilder: "Stellen wir uns eine Schüssel Kirschen vor. Der eine isst alle und hat am Ende viele wurmige im Mund. Der andere schaut sie sich vorher an und isst nur die guten." Zu diesem Vergleich griff der Wiener Reproduktionsmediziner vergangenen Donnerstag, um klar zu machen, was er für unabdingbar hält: die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik (PID) in Österreich.

"Es geht nicht darum, behinderte Kinder zu verhindern", versicherte Feichtinger einen Tag vor Beginn des vierten Weltkongresses von "A Part", der Vereinigung privater Reproduktionskliniken, der er als Präsident vorsteht. Vielmehr könnte dadurch bei In-vitro-Fertilisationen (IVF) die Schwangerschaftsrate erheblich gesteigert werden. "Es gibt Frauen, die trotz mehrmaliger Behandlung nicht schwanger werden, weil die Embryonen geschädigt sind und sich nicht einnisten", erklärte der "Vater" des ersten heimischen Retortenbabys. Immerhin würden bei einer 40-jährigen Frau rund 70 Prozent der befruchteten Eizellen genetische Anomalien aufweisen. Wenn man den Embryonen dagegen im Acht-Zell-Stadium eine oder zwei Zellen entferne, sie genetisch untersuche und geschädigte Embryonen gegebenenfalls ausscheide, könne man Implantationsraten von 50 bis 60 Prozent (statt bisher rund 27 Prozent) erreichen.

Mekka der Reproduktion

Die Zeit für derlei Vorstöße könnte besser nicht sein, präsentierte sich doch Wien in den letzten Tagen als Mekka der Fortpflanzungsmedizin. Zeitgleich mit dem "A Part"-Kongress lud auch die österreichische Gesellschaft für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie zur Jahrestagung. Höhepunkt war jedoch der Jahreskongress der Europäischen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin und Embryologie (ESHRE), der Anfang dieser Woche rund 5.000 Fortpflanzungsexperten im Austria Center Vienna vereinte.

Über mangelnde Herausforderungen kann man jedenfalls nicht klagen: Weltweit bleibt bei einem von sechs Paaren der Kinderwunsch (zeitweilig) unerfüllt, wobei 40 Prozent der Ursachen beim Mann, 40 Prozent bei der Frau und 20 Prozent bei beiden liegen. Bisher wurde rund eine Million Babys mit Hilfe von assistierter Reproduktion geboren. In Österreich wird die Zahl der Geburten nach künstlicher Befruchtung auf rund 1,3 Prozent geschätzt.

Indes verkündet Wilfried Feichtinger weitere "sensationelle Methoden" zur Beseitigung der Unfruchtbarkeit: So konnte der aus Brünn stammende Biologe Ian Tesarik im Tierversuch und in einem menschlichen Fall Eizellen mit der Erbsubstanz von Körperzellen solcher Männer befruchten, die keine Samenzellen produzieren können. Die mit einem einfachen (haploiden) Chromosomensatz ausgestatteten Eizellen seien dabei im Stande gewesen, den doppelten Chromosomensatz der Körperzellen abzustoßen. In abgewandelter Form sei dies auch bei Frauen möglich, die keine Eizellen produzieren, so Feichtinger. "Die Haploidisierung ist damit eine Alternative zum reproduktiven Klonen und macht vielleicht demnächst die Fremdsamenspende und die Eizellspende überflüssig."

Franz Fischl, Organisator des ESHRE-Kongresses und Präsident der österreichischen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie, ist gegenüber derlei Sensationsmeldungen skeptisch. "Es ist rechtlich überhaupt nicht geklärt, ob die Haploidisierung erlaubt ist. Solche Sachen können auch kontraproduktiv sein, vor allem angesichts der geplanten Novelle des Fortpflanzungsmedizingesetzes", ärgert sich der Gynäkologe im Furche-Gespräch.

Tatsächlich wird im Justizministerium bereits an einem Entwurf zur Änderung des Gesetzes aus dem Jahr 1992 gearbeitet. Eine Zulassung der Präimplantationsdiagnostik, die derzeit nach Paragraph 9, Absatz 1 zwar nicht namentlich, aber doch inhaltlich verboten ist, sei nach Expertenmeinung derzeit jedoch unwahrscheinlich. Auch Johannes Huber, Gynäkologe und Vorsitzender der Bioethikkommission der Bundesregierung, erwartet sich in diesem Punkt keine fundamentalen Änderungen: "Es ist fraglich, ob es klug ist, die Präimplantationsdiagnostik noch vor der nächsten Wahl anzugehen - zumal man ein eigenes Embryonenschutzgesetz formulieren will", erklärt Huber. Im Herbst werde man daher zunächst über die Verlängerung der Aufbewahrungsfrist kryokonservierter Embryonen von zwölf Monaten auf fünf Jahre beraten.

Zur PID hat Huber selbst ein ambivalentes Verhältnis. "Ein generelles Screening, wie es Feichtinger fordert, halte ich für überzogen. Allerdings darf man auch nicht die Augen vor der Realität verschließen." Es gebe schwere Indikationen, wo die Präimplantationsdiagnostik "das kleinere Übel" sei und Leid verhindern helfe. Allerdings dürfte man die Embryonen nicht auf privater Ebene untersuchen. Vielmehr müssten die Einzelfälle einer Ethikkommission vorgelegt werden.

Dagegen legt Franz Fischl ein klares Bekenntnis zur Präimplantationsdiagnostik bei bestimmten Indikationen ab - und ortet Schieflagen im gültigen Recht. "Die Pränataldiagnostik darf ich in Anspruch nehmen. Dann ist es aber unlogisch, die PID zu verbieten, bei der noch kein Leben da ist und noch keine Verbindung der Mutter zum Kind besteht", so Fischl.

Argumentationen wie diese sind für die Gegner der Präimplantationsdiagnostik ein rotes Tuch. "Die Entscheidung zur Selektion findet bei der PID zu einem Zeitpunkt statt, zu dem die Frau nicht schwanger ist", mahnt die "Aktion Leben". Es bestehe dadurch keine unausweichliche Konfliktsituation, das Paar verfüge über Handlungsalternativen wie den Verzicht auf Kinder oder die Adoption. Die Zulassung der PID würde zudem die tendenzielle Behindertenfeindlichkeit der Gesellschaft noch verstärken. Dass die PID zudem keine Garantie für ein Kind ohne Behinderung geben könne, offenbare nach Meinung der Kritiker auch eine Empfehlung der ESHRE: "Man hat den Ärzten nahe gelegt, nach der PID noch eine Pränataldiagnose zu machen, weil die Fehleranfälligkeit sieben bis 36 Prozent beträgt", erklärt Helene Polaczek von der "Aktion Leben". "Das zeigt doch nur die große Verantwortung der Ärzte, dass sie ihre eigenen Grenzen kennen", entgegnet Franz Fischl. Im Übrigen erscheine ihm eine Versagerquote von 36 Prozent als "sehr hoch".

Pränatale Rasterfahndung

Während die Debatten um die Präimplantationsdiagnosik also in nächster Zeit gesichert scheinen, hat erst jüngst ein Vorstoß im Bereich Pränataldiagnostik in Österreich für Aufregung gesorgt. So plädierte die Österreichische Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (ÖGUM) für die Aufnahme eines "First-Trimester-Screenings" in den Mutter-Kind-Pass, mit dem bereits in der 11. bis 14. Schwangerschaftswoche anhand der Nackentransparenz die Wahrscheinlichkeit für genetisch bedingte Missbildungen wie Trisomie 21 (Down Syndrom) festgestellt werden könnte.

Es folgte ein Sturm der Entrüstung: Von "Rasterfahndung nach behindertem Leben" war die Rede. Indes beteuern die beiden Wortführer eines flächendeckenden "First-Trimester-Screenings", Josef Deutinger vom AKH Wien und Peter Schwärzler von der Universitätsklinik Innsbruck, "bewusst falsch verstanden" worden zu sein. Durch diese Ultraschalluntersuchung könnten Risiken wie Eileiterschwangerschaften oder Herzfehler erkannt werden. Die Nackendichtemessung selbst sollte nur auf Wunsch der Mutter vorgenommen werden und keinesfalls verpflichtend sein. Ziel sei es, von der bisher üblichen Fruchtwasseruntersuchung wegzukommen, die Schwangeren über 35 Jahren vorgeschlagen werde und die nicht selten zum Abort des Kindes führe.

Doch die Kritik der Behindertenvertreter hält unvermindert an. Sie kritsisieren vor allem die fehlende psychosoziale Beratung der Schwangeren vor, während und nach einer pränatalen Untersuchung. Eine Kritik, die Deutinger und Schwärzler zurückweisen. Die Zahlen sprechen freilich für sich: Rund 95 Prozent aller Frauen entscheiden sich nach einer Pränataluntersuchung mit der Diagnose "Down-Syndrom" zur Abtreibung&

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