7006755-1987_45_05.jpg
Digital In Arbeit

Leben statt Experimente

19451960198020002020

Im deutschen Bundestag liegt ein Gesetzesentwurf über die Anwendung künstlicher Zeugungsmethoden. Worin liegt der Unterschied zur Diskussion in Österreich?

19451960198020002020

Im deutschen Bundestag liegt ein Gesetzesentwurf über die Anwendung künstlicher Zeugungsmethoden. Worin liegt der Unterschied zur Diskussion in Österreich?

Werbung
Werbung
Werbung

Die Diskussion über eine rechtliche Beschränkung der künstlichen Befruchtung hat in der Bundesrepublik Deutschland bereits zu einem konkreten Gesetzesentwurf des Justizministeriums geführt (siehe Kasten „Ein Schutz für die Embryonen“).

Das Grundanliegen des Entwurfs, Embryonen außerhalb des Mutterleibes zu schützen, wird jedoch durch einige legistische Mängel beeinträchtigt, worauf in der deutschen Fachliteratur bereits mehrfach hingewiesen wurde (insbesondere durch den Aufsatz von Hans-Ludwig Günther, Goltdammers Archiv 1987, Seite 444).

So kriminalisiert beispielsweise Paragraph 1 ausschließlich eine Schädigung von Embryonen, die zu einer Gesundheitsschädigung des aus diesen hervorgegangenen Menschen geführt hat, nicht aber eine zum sofortigen Absterben führende Schädigung extrakorporal befruchteter Eizellen. Dadurch ergibt sich ein offensichtlich unbeabsichtigter Wertungswiderspruch zu Paragraph 3, der medizinische Experimente mit nicht lebensfähigen Embryos nach einem Abortus generell unter Strafe stellt.

Paragraph 2 Absatz 2 sieht zwar eine Strafbarkeit für denjenigen vor, der mit extrakorporal befruchteten Eizellen experimentiert oder sie anderen Zwecken als der ehestmöglichen Übertragung zuführt, macht diese Strafbarkeit jedoch vom Fehlen einer landesbehördlichen Genehmigung abhängig, was auf heftigste Kritik gestoßen ist: die Regionalisierung eines Problembereichs, für den international akkordierte Lösungen anzustreben sind, wäre unsinnig und überdies verfassungswidrig, da es nicht einer Verwaltungsbehörde obliegen könne, ohne ausreichende gesetzliche Vorgaben über die Tötung menschlichen Lebens zu entscheiden (Günther).

Vergleicht man nun den bundesdeutschen Gesetzesentwurf anhand der wesentlichen Streitfragen mit den bisher in Osterreich vertretenen Auffassungen, so ergibt sich—notwendigerweise vereinfacht — folgendes Bild:

Am permissivsten ist zweifellos die in Form eines Sondervotums von Rudolf Wohlgenannt im Gutachten der Rektorenkonferenz enthaltene Auffassung, derzufol-ge auch die absichtliche Erzeugung befruchteter Eizellen zum Zweck „verbrauchender Experimente“, die notwendigerweise zur Abtötung des Embryos führen, erlaubt sein soll.

Etwas weniger permissiv ist das Gutachten der Rektorenkonferenz selbst, das „verbrauchende Experimente“ an „überzähligen Embryonen“ bei Fehlen einer — nach medizinischen Kriterien optimalen — Transfermöglichkeit zulassen will, wobei ein an sich möglicher Transfer auch daran scheitern soll, daß Ei- oder Samenzellenspender dem widersprechen und dadurch die befruchtete Eizelle dem Tod preisgeben.

Demgegenüber ist der deutsche Gesetzesentwurf deutlich restriktiver, weil er umfassende Strafbestimmungen zum Schutz von Embryonen vorsieht und — insbesondere durch Paragraph 3—die Forscherinteressen der Menschenwürde auch dort unterordnet, wo es um todgeweihtes menschliches Leben geht Im Gegensatz zum Rektorenkonferenz-Gutachten geht der deutsche Entwurf davon aus, daß es „den genetischen Eltern vorbehalten bleiben muß, jegliche Forschung an dem aus ihren Gameten erzeugten Embryo zu untersagen“ (Erläuterungen zu Paragraph 4).

Die Möglichkeit medizinischer Forschung an Embryonen wird — abgesehen von der erforderlichen landesbehördlichen Genehmigung - auch nur für den Fall eingeräumt, daß sich „die Übertragung des Embryos als undurchführbar erwiesen hat“ (Erläuterungen zu Paragraph 2), und nicht schon dann, wenn sich der Transfer - infolge „Uberzähligkeit“ -als medizinisch unzweckmäßig erweist, worauf im Ergebnis das Rektorenkonferenz-Gutachten abstellt.

Immerhin stellt aber die Möglichkeit von mit landesbehördlicher Genehmigung vorgenommenen Experimenten mit für einen Transfer unmittelbar nicht verwendbaren Embryonen eine Konzession dar, die den deutschen Entwurf — trotz weitreichender Parallelen im grundsätzlichen Ansatz — vom Gesetzesentwurf der FURCHE (48/1985) unterscheidet.

Weitgehende Deckung findet der FURCHE-Entwurf erfreulicherweise in den Beschlüssen des deutschen Juristentags 1986 (FURCHE 8/ 1987).

Restriktiver sind die Auffassungen des Wiener Universitätsprofessors Walter Selb, dessen Anfang 1987 erschienenes Buch („Rechtsordnung und künstliche Reproduktion des Menschen“) internationale Beachtung gefunden hat, sowie jene Empfehlungen, die der Akademische Senat der Universität Wien am 24. Jänner 1985 einstimmig unter Mitwirkung des damaligen Rektors Hans Tuppy beschlossen hat. In diesen Empfehlungen werden auch alle Formen heterologer künstlicher Befruchtung (Samen- oder Eizellenspende durch andere als den Ehepartner) abgelehnt.

Noch weiter ging der ÖVP-In-itiativantrag „betreffend ein Bundesgesetz über das Verbot der Embryo-Manipulation“ vom September 1985 (FURCHE 42a/1985), der eine gerichtliche Strafbarkeit für die Fälle von heterologem Embryotransfer („Einsetzen eines Embryos in eine fremde Gebärmutter“) vorsieht.

Zusammenfassend ergibt sich, daß die Entwicklung des Meinungsstandes in der Bundesrepublik Deutschland quantitativ und qualitativ restriktive Tendenz hat, während man in Osterreich quantitativ betrachtet von einer permissiven Tendenz sprechen muß.

So gesehen scheint es tatsächlich vernünftiger, die internationale Entwicklung abzuwarten, ehe man endgültige legislatorische Entscheidungen trifft, obwohl es nicht gerade für die Selbstdisziplin und das Verantwortungsgefühl mancher Forscher spricht, wenn man hört, daß es in Österreich mittlerweile rund 100 tiefgefrorene Embryonen gibt.

Der Autor ist Assistent an der Juridischen Fakultät der Universitfitwien.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung