Die Guten ins Töpfchen, ...

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Vor 25 Jahren sorgte die Geburt des ersten Retortenbabys für heftige Kontroversen. Heute wird über die Selektion von künstlich erzeugten Embryonen diskutiert. Erst jüngst hat die heimische Bioethikkommission mit dem Wunsch Aufsehen erregt, die so genannte Präimplantationsdiagnostik in Spezialfällen zuzulassen. Ein weiterer Schritt hin zum "Baby nach Maß"? (S. 2, 3)

Die meisten dachten wohl an ein Missverständnis: Nein, das konnte einfach nicht wahr sein, was die Presse am 15. Jänner ihren Lesern verriet: "Die Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt hat sich bei ihren Beratungen ... grundsätzlich darauf verständigt, auch in Österreich die bisher verbotene Präimplentationsdiagnostik (PID) zumindest teilweise zuzulassen." War es denkbar, dass sich im 19-köpfigen Think Tank des Bundeskanzlers eine bioethische Schubumkehr vollzogen hatte? Wie konnte es sein, dass der Vorsitzende dieses Gremiums, der Wiener Gynäkologe Johannes Huber - zumindest laut Presse - mit "Freude" von einem "Durchbruch" sprach?

Vorbild Großbritannien?

Die Meldung löste Kopfschütteln aus - vor allem jene Passsage, wonach sich Österreich künftig "stark an Großbritannien" orientieren würde - mit seinem ausdrücklichen "Ja" zu Gentests an Embryonen immerhin eines der liberalsten Länder der EU. "Das waren nicht meine Worte", bemüht sich Johannes Huber im Furche-Gespräch zu kalmieren. "Es ist richtig, dass im Dezember Fachleute aus Großbritannien bei uns waren, aber ich orientiere mich nicht an Großbritannien, sondern am Neuen Testament, an der christlichen Tradition, an meinem Gewissen - und natürlich am Fachwissen."

Tatsächlich hatte sich die Kommission - laut Aussendung - nur darauf verständigt, dass Tests von Embryonen in der Petrischale in zwei Fällen rechtlich möglich und auch ethisch akzeptabel seien: Erstens, wenn auf Grund eines genetischen Defekts keine Implantierung und damit eine erfolgreiche Schwangerschaft möglich ist. Und zweitens, wenn man auf Grund eines Defekts keine erfolgreiche Geburt erwarten kann. In solchen Konstellationen könnte sich das Gremium - freilich mit Zugangsbeschränkungen - eine PID als "ethisch akzeptabel" vorstellen.

Mit einem Ja zur Herstellung von "Designer-Babys" oder "Kindern nach Maß" habe dieser Vorstoß nichts zu tun, erklärte Günter Virt, katholischer Moraltheologe und Mitglied der Bioethikkommission, vergangenes Wochenende im Rahmen der Tagung "Akte XY. Zur Diskussion um die genetische Frühdiagnostik" im Salzburger Bildungshaus St. Virgil (veranstaltet gemeinsam mit der "Aktion Leben Österreich" und dem Frauenministerium): "Wir wollen die Embryonen nur auf ihre Lebensfähigkeit testen - und auf nichts anderes", so Virt. "Es macht ja keinen Sinn, einen nicht lebensfähigen Embryo zu implantieren." Zudem würden Rechtsexperten davon ausgehen, dass das heimische Fortpflanzungsmedizingesetz von 1992 dem nicht entgegen stehe - erlaube es doch die Untersuchung von "entwicklungsfähigen Zellen", wenn dies "zur Herbeiführung einer Schwangerschaft" (Paragraph 9) diene.

Das Schlüsselwort in diesem Zusammenhang heißt "Aneuploidie" und bezeichnet jede Abweichung einer Zelle vom normalen, euploiden Chromosomensatz (22 Chromosomenpaare sowie die Geschlechtschromosomen XX bzw. XY). "Mittlerweile stellen wir bei rund 60 Prozent der Eizellen altersbedingte Aneuploidien fest", erklärte Wilfried Feichtinger, Fortpflanzungsmediziner und Vater des ersten heimischen Retortenbabys, in Salzburg. Meist komme es in solchen Fällen zu gar keiner Schwangerschaft oder zu Fehlgeburten. "Wenn wir heute sechs befruchtete Eizellen zur Auswahl haben, müssen wir blind auswählen. Durch ein Aneuploidie-Screening kann ich hineinschauen und sagen: die ist gut, und die ist schlecht", meint Feichtinger. In Ländern wie den USA, wo dieses Screening routinemäßig im Rahmen der In-vitro-Fertilisation durchgeführt werde, sei die Abortus-Rate dramatisch gesunken - und die "Baby-Take-Home"-Quote entsprechend gestiegen. (In Österreich liegt diese Rate pro IVF-Behandlungszyklus laut Feichtinger bei 28 Prozent.) Wenig überraschend, dass er sich deshalb auch hierzulande eine durchgängige Embryonen-Untersuchung bei Frauen über 38 Jahren wünscht.

Für Sigrid Graumann, Dozentin am Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft in Berlin und Mitglied der Enquete-Kommission des deutschen Bundestages, das reinste Horrorszenario. Zum einen habe sich in Ländern wie Italien, wo seit Jahren das Aneuploidie-Screening praktiziert wurde, die "Baby-Take-Home"-Rate nicht erhöht. Vor allem aber führe ein solches Screening in der Praxis zur Aussonderung von Kindern mit Trisomie 21: "Es ist eine Illusion zu glauben, dass man in der Praxis die Suche nach chromosomalen Auffälligkeiten von der Suche nach dem Down-Syndrom trennen kann." (siehe Interview)

Jagd auf Down-Syndrom

Die Gefahr einer solchen "Rasterfahndung"sieht der Wiener Genetiker Markus Hengstschläger nicht: "Technisch ist diese Trennung auf jeden Fall machbar", erklärte er in St. Virgil. Um Frauen viele erfolglose Versuche bei der künstlichen Befruchtung zu ersparen, sollte man deshalb die Embryonen vorab auf ihre Überlebensfähigkeit untersuchen. Zumal es dafür laut Hengstschläger eine passable Methode gebe: die Polkörperanalyse (siehe rechts): Anders als bei der herkömmlichen Präimplantationsdiagnostik im Achtzellstadium würden dabei keine "totipotenten" Zellen zerstört, es müsse also kein eineiiger Zwilling durch die Untersuchung sterben. Wird auch die Polkörperdiagnostik seit kurzem in Deutschland durchgeführt, so sei sie hierzulande implizit verboten, klagt Hengstschläger.

Rechtliches Niemandsland

Den eigentlichen Skandal ortet der Genetiker ohnehin anderswo: "Bis heute ist nicht geregelt, welche genetischen Tests man innerhalb der Fristenlösung machen darf", empört sich der Forscher. "Wenn jemand in der elften Schwangerschaftswoche das Kind auf sein späteres Brustkrebsrisiko testen will, dann kann er das in Österreich tun!" Ob der seit wenigen Tagen vorliegende Entwurf für eine Novelle des Fortpflanzungsmedizingesetzes hier Klarheit schafft, ist offen.

Grundsätzlich spricht sich Hengstschläger für ein Verbot der Präimplantationsdiagnostik aus, will aber Ausnahmefälle (hohes Risiko des Auftretens einer Erbkrankheit, keine Lebensfähigkeit des Embryos bis zwei Monate nach der Geburt) von einer zuständigen Kommission prüfen lassen. "Ich glaube, das wären nicht mehr als zehn Fälle pro Jahr."

Bisher wurden diese Paare - etwa von Wilfried Feichtinger - noch zur PID nach Meran geschickt. Seit kurzem ist ihnen dieser Weg jedoch versperrt: Beunruhigt durch die regelmäßigen Skandale (Fünflinge, 60-jährige Mütter, Klonbabys) hat man in Italien der bisherigen Laissez-faire-Politik abgeschworen und ein Verbot von Embryonentests beschlossen. Für Feichtinger kein Problem: "Nun schicke ich meine Paare eben nach Pilsen." An Optionen mangelt es dem Baby-Macher offensichtlich nicht - ganz egal, wie sich die Bioethikkommission vor dem Sommer noch entscheidet.

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