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Nein zum Forschen, ja zum Töten?

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Die Diskussion rund um die künstliche Befruchtung hat ein Thema bewußtseinsbildend in den Mittelpunkt gerückt: das ungeborene Leben. Die Vorstellung, daß an menschlichen Embryonen wissenschaftliche Experimente vorgenommen werden (könnten), hat auch viele aufgeschreckt, die das frühe menschliche Leben vor gar nicht so langer Zeit noch mit einem „Zellklumpen“ verglichen haben. Jene, die die Freiheit der Wissenschaft und der Forschung durch nichts eingeschränkt wissen wollen, sind eindeutig in der Minderheit.

„Der Mensch ist von Anfang an ein Kontinuum. Hier geht es um die Menschenwürde“, betonte Wölfgang Hingst bei der Präsentation seines Buches „Zeitbombe

Gen-Technik“ (Verlag Orac), das er den Ungeborenen gewidmet hat. Und wenige Meter weiter saß Staatssekretärin Johanna Doh-nal, ohne ihm da zu widersprechen. Auch nicht seiner Forderung, alle Experimente an Embryonen, selbst wenn sie streng kontrolliert im Dienst wissenschaftlicher Forschung „zum Nutzen der Allgemeinheit“ wären, generell zu verbieten.

Im Gegenteil: Wo immer es zu Berührungspunkten zwischen Fortpflanzungs- und Gentechnologie kommt, „müssen wir uns“, deponierte Dohnal, „strafrechtlich verwenden“.

Ein breiter gesellschaftlicher Konsens scheint sich - erfreulich genug — abzuzeichnen. Allerdings auch eine gewisse Schizophrenie. Nein zum Forschen, aber ja zum Töten bis zum dritten Monat? Wo bleibt da die Menschenwürde?

Der Widerspruch ist unüberbrückbar. Aber damit gewinnt die Diskussion eine grundsätzliche Dimension.

Im Zusammenhang mit den Möglichkeiten der künstlichen Befruchtung vertritt etwa Johanna Dohnal die Position, daß auch ,4m ärztlichen Standesrecht die Grenze des gesellschaftlichen Auftrages zum ärztlichen Handeln in eindeutiger Weise abgesteckt werden“ soll. Und sie umschrieb ihn mit „heilen“. Läßt sich da noch die Abtreibung einreihen? Müssen nicht auch die Möglichkeiten zur „Umschöpfung“ (Hingst) der Welt zu einem Umdenken in anderen Bereichen führen? Darf man sich einmal für, einmal gegen die Menschenwürde entscheiden?

Wahrscheinlich ist dieses Dilemma schon vielen bewußt.

Nicht unwahrscheinlich, daß damit die Säumigkeit des Gesetzgebers, Rahmenbedingungen für die künstliche Befruchtung zu schaffen, in Zusammenhang steht.

Aber daß „ein politischer Handlungsbedarf besteht“, ist auch für Frauenstaatssekretärin Dohnal unbestritten. Manche sprechen sogar schon von einem .juristischen Vakuum“, das risikoreiche Forschung geradezu anzieht. Und Fortpflanzungstourismus dazu.

Der Schweizer Kanton St. Gallen hat die In-vitro-Fertilisation und die künstliche Befruchtung mit Fremdsamen verboten. In der Bundesrepublik Deutschland ist die Leihmutterschaft - und natürlich auch die Geschäftemacherei von Vermittlungsagenturen — untersagt. Ein Embryonenschutzgesetz ist in Diskussion.

Österreich ist auf diesem Gebiet, nicht nur nach Ansicht von Wolfgang Hingst, ein Entwicklungsland. Er warnt davor, dem Kommissionsgutachten der Rektorenkonferenz vom Juni 1986 zu folgen, in dem es heißt:

„Heilversuche, die in verantwortlicher Weise die Verbesserung der Lebensbedingungen des jeweiligen Embryos anstreben, sind auch dann zulässig, wenn sie zugleich der medizinischen Forschung dienen. Medizinische Forschungen an Embryonen, deren Transfer wegen erheblicher Schädigungen nicht verantwortet werden kann oder die unter vorliegenden Umständen aus anderen Gründen keine Uberlebenschance haben, dürfen vorgenommen werden, soweit dies in sorgfältiger und verantwortungsbewußter Weise geschieht.“

Hingst dazu: „Das bedeutet die unbegrenzte Zulassung von Embryo-Experimenten.“ Seine Uberzeugung deckt sich mit jener, die der Wiener Universitätsprofessor Walter Selb vor dem österreichischen Juristentag (FURCHE 37/1988) vertreten hat:, Auch zum Wohl der Menschheit oder konkreter Einzelmenschen sollten Menschenopfer nicht akzeptiert werden.“

Wohin führt die Möglichkeit, Behinderungen schon im ersten Stadium des Lebens erkennen zu können? Zur Gentherapie am Ungeborenen? Zur Abtreibung, wie das schon heute durch die vorgeburtliche Diagnostik als „Ausweg“ erscheint?

Für den Buchautor Hingst ist das bereits im Dunstkreis einer Eugenik angesiedelt, „wie sie von den Nazis betrieben wurde“. Und auch Johanna Dohnal graut vor einer „Aussortierung von mehr oder minder unerwünschten Menschen“.

Das aber ist schon schreckliche Realität.

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