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Retorten-Zeugung: Verlorene Unschuld

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Wie wirken sich die neuen Techniken der Kinderproduktion auf die Betroffenen und die Gesellschaft aus? Bringt der „neue Klapperstorch“ mehr Schaden als Nutzen?

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Wie wirken sich die neuen Techniken der Kinderproduktion auf die Betroffenen und die Gesellschaft aus? Bringt der „neue Klapperstorch“ mehr Schaden als Nutzen?

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„Was die Reproduktions-medizin will, das ist die genetische Manipulation“

FURCHE: Sie sind einer, der mit der Etikette „kritisch-linker“ Wissenschafter versehen ist. Sie kämpfen in der Bundesrepublik Deutschland für das Recht auf Abtreibung. Nun argumentieren Sie in Ihrem Buch ,£)er neue Klapperstorch“ vehement gegen die Anwendung künstlicher Fort-pflanzungsmethoden beim Menschen.

Was sind Ihre Haupteinwände gegen die ärztliche Heilbehandlung von Sterilität durch Methoden wie In-vitro-Fertilisation oder künstliche Insemination?

GERHARD AMENDT: Die •Reproduktionsmedizin ist ein Rückfall in rein somatische Krankheitsbilder, in die Organmedizin.

Meine These ist daher: Die Heilung der Kinderlosigkeit ist nur ein Abfallprodukt dessen, was die Reproduktionsmedizin und die mit ihr verbundene Biochemie eigentlich will, nämlich die genetische Manipulation.

Mittelfristig gesehen, werden die modernen Reproduktionsmethoden nicht nur im Heilbereich An-

wendung finden, sondern auch als eine Form der Vorsorgemedizin. Genauso wie wir heute aus irgendeinem harmlosen Arilaß heraus Aspirin nehmen, werden dann aus völlig willkürlichen Anlässen biochemische Erkenntnisse in der Zeugung angewandt.

Das hat dann allerdings nichts mehr mit dem Leidenszustand von konkreten Subjekten zu tun.

FURCHE: Womit dann?

AMENDT: Die Millionen, die heute in die Forschung auf diesem Gebiet gesteckt werden, stehen ja unter einer ganz anderen Perspektive. Sicher überlegt heute schon so mancher Arzt, daß bald Nachfrage bestehen wird nach unverstrahltem genetischen Material. Nach Tschernobyl liegt das doch nahe.

FURCHE: Sie befürchten Menschenzüchtung durch genetische Auslese?

AMENDT: Was im sogenannten Dritten Reich als ideologischer Rassismus aufgetreten ist, wird jetzt zum wissenschaftlichen Rassismus, weil die Biochemie immer mehr Verhaltenseigenarten für genetisch bedingt, für vorprogrammiert hält.

Wo man heute noch meint, diese oder jene gesellschaftliche Gruppe wird diskriminiert oder das ist ein individuelles Lebensschicksal, so wird man in Zukunft sagen, das ist genetisch bedingt und daraus die entsprechenden therapeutischen und selektiven Maßnahmen ableiten.

FURCHE: Sie lehnen die künstlichen Fortpflanzungsmethoden aber auch aus dem Grund ab, weil dabei Ihrer Meinung nach die Interessen des Kindes kaum Be-' rücksichtigung finden. j

AMENDT: Kinder werden zu-/ meist nicht um ihrer selbst willen in die Welt gesetzt. Sie müssen für die Eltern bestimmte Aufgaben übernehmen. Das ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen.

Das beste Beispiel dafür ist eben die Reproduktionsmedizin. Da wünscht sich ein Paar ein „eigenes“ Kind - das ist ihr gemeinsames Interesse, ein so zwanghaftes Interesse, daß sie einfach dar-

auf verzichten, zu fragen: Was bedeutet es eigentlich für Kinder, die aus der Anwendung künstlicher Reproduktionstechniken hervorgehen?

Und weil im Mittelpunkt das elterliche Interesse steht, wird auch nicht mehr darüber geredet, ob ein Kind später einmal nicht Schwierigkeiten deshalb haben wird, weil es aus einer unauffindbaren dritten Person hervorgegangen ist.

Wer Kinder erzieht, der weiß, daß irgendwann einmal der Moment kommt, wo sie Gewißheit über ihre Eltern haben wollen. Das ist für das Kind deshalb wichtig, weil es ja von den Eltern wieder weggeht, erwachsen werden will.

Meine wesentliche These ist: Wenn Kinder keine angebbaren Eltern haben, keinen Ursprung, dann haben sie im Grund genommen auch keine Zukunft. Zukunft setzt nämlich voraus, daß ich ei-

nen klaren, eindeutigen Punkt habe, von dem aus ich mich absetze, mich in die eigene Zukunft bewege.

FURCHE: In dieser Frage konkurrieren offensichtlich zwei Grundrechte des Menschen, das Recht auf Familie und Kinder einerseits und das Recht, seinen Ursprung zu kennen, andererseits.

AMENDT: Mit Rechten kommt man in dieser Frage nicht weiter. Rechte kann ich postulieren, auch durchsetzen. Ich kann auch unrechte Dinge zu Recht erklären. In Wirklichkeit geht es um die Frage: Ist das sinnvoll für die Beteiligten?

Auch für die Partner hat die Lösung eines unbewußten Konflikts auf diese Art und Weise letztlich keinen Sinn. Wie wir aus entsprechenden Untersuchungen in den USA, die ja auf dem Gebiet der Reproduktionsmedizin längere Erfahrungen haben, wissen, entstehen daraus jede Menge Partnerschaftsprobleme, die sich in Fragen äußern wie: Was hast du mir da zugemutet? Was habe ich mit diesem Kind zu tun, es stammt ja gar nicht von mir?

FURCHE: Auf solche Einwände kontern Ärzte hierzulande mit ihrer Erfahrung, daß Kinder, die durch künstliche Befruchtungstechniken entstanden sind, besonders befürsorgt würden.

AMENDT: Die besondere Fürsorge ist eine ganz bestimmte Art der Abwehr dessen, was man nicht wahrhaben wilL Das Pro-

blematische ist ja, daß die Eltern, die sich als Eltern fühlen, doch nicht so fühlen, weil sie wissen, es ist nicht ihr eigenes Kind, sie haben es nicht gemacht.

Dazu kommt noch, wenn bestimmte genetische Materialien von einer dritten Person stammen, die ödipalisierung, die Se-xualisierung der Eltern-Kind-Beziehung.

Noch in der Form der liebevollen und überfürsorglichen Versorgung ist erkennbar, daß sich diese Eltern gegen etwas, was sie als problematisch empfinden, wehren.

Es gibt ja dann auch noch das Argument, daß solche Beziehungen besonders stabil wären. Aber diese Paare gehen in Wahrheit deshalb nicht auseinander, weil sie Angst vor ihren eigenen Rachephantasien haben.

FURCHE: Wenn also ein heftiger Kinderwunsch unerfüllt bleibt, dann ist der schlechteste Weg der zum Reproduktionsmediziner?

AMENDT: In der Tat. In jedem Fall halte ich die Auseinandersetzung der betroffenen Partner mit ihren unbewußten Konflikten für den sinnvolleren Weg. Eine solche psychoanalytische Bearbeitung von Konflikten hat den großen Vorteil, daß die Partner daraus möglicherweise nicht geheilt unter dem alten Ziel, aber mit einer bewahrten Identität hervorgehen.

Die Partner können sich mit ihrem Schicksal abfinden, sie sind I nicht kaputt, nicht gescheitert, sie haben keine Wut auf die Mediziner oder irgend jemand sonst.

FURCHE: Sie wollen mit Ihrem Buch, wie Sie schreiben, dazu beitragen, daß sich die Reproduktionsmedizin nicht weitgehend unkontrolliert und außerhalb einer substantiellen Rechtfertigung ausbreiten kann. Welche Kontrollen haben Sie dabei im Auge?

AMENDT: Meine Vorstellung ist zugegeben eine etwas idealistische. Die beste Kontrolle der Reproduktionsmedizin geschieht durch die potentiellen Konsumenten. Wenn alle darauf ver-

ziehten, diese Techniken in Anspruch zu nehmen, weil sie selbst für sich ein aufgeklärtes Verhältnis zu Sexualität und eigener Lebensplanung haben, dann wird die Reproduktionsmedizin keine Chance haben.

Aber so weit sind wir noch nicht. Inzwischen könnte es verschiedene andere Formen der Kontrolle geben, interdisziplinäre Ethikkommissionen an den Universitäten zum Beispiel oder keine Finanzierung der Forschung für diese Form der Technik.

Die Freiheit der Wissenschaft kann nicht bedeuten, daß der Wissenschafter alles tun darf, was ihm möglich ist. Die Reproduktionsmedizin ist viel zu menschenbedrohend geworden, als daß einzelne unter dem Anspruch und im Status des Wissenschafters da frei herumhantieren.

Gerhard Amendt ist Professor an der Universität Bremen und war Berater der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für Fragen der Familienplanung. Er ist Autor unter anderem der Bücher „Die Macht der Frauenärzte“ und zuletzt „Der neue Klapperstorch. Über künstliche Befruchtung, Samenspender, Leihmütter, Retortenzeugung und die Folgen: Reproduktionsmedizin.“ März Verlag, Herbstein, 1986.

Mit Gerhard Amendt sprach Tino Teller.

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