Die verdunkelte HERKUNFT

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Immer mehr Kinder entstehen aus Samen- oder Eizellspende, ohne aufgeklärt zu werden. Eine Entwicklung mit unabsehbaren Folgen.

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Immer mehr Kinder entstehen aus Samen- oder Eizellspende, ohne aufgeklärt zu werden. Eine Entwicklung mit unabsehbaren Folgen.

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Peter Kemeter gilt als Urgestein der österreichischen Reproduktionsmedizin. 1982 wurde er gemeinsam mit Wilfried Feichtinger Vater des ersten österreichischen "Retortenbabys", wie es damals hieß. Heute, mit 74 Jahren, leitet er die Abteilung Samenspende in Feichtingers "Wunschbaby Institut" in Wien-Hietzing. Etwa 25 Kinder pro Jahr werden nur deshalb geboren, weil Kemeter ihren eigentlich unfruchtbaren Eltern zum Samen eines fremden Mannes verholfen hat. Wie viele es insgesamt waren, weiß er nicht. Nur die Zahl derjenigen, die zu ihm gekommen sind, um Näheres über ihren leiblichen Vater zu erfahren, hat er im Kopf: sechs bis sieben seien es im Lauf der Jahre gewesen. Warum nur so wenige?"Weil es die allermeisten gar nicht wissen."

Verstoß gegen Kinderrechte

Laut UN-Kinderrechtskonvention hat jedes Kind das Recht auf Kenntnis seiner Abstammung. In Österreich wurden deshalb schon 1992, beim Inkrafttreten des Fortpflanzungsmedizingesetzes, anonyme Samenspenden verboten. Durch künstliche Befruchtung entstandene Kinder sollten mit Vollendung des 14. Lebensjahres Einsicht in die Akten nehmen und ihren genetischen Vater eruieren können. Auch in der Gesetzesnovelle, die am 21. Jänner 2015 im Parlament abgesegnet wurde, gibt es dieses Auskunftsrecht. Einen Anspruch, von den Eltern überhaupt darüber aufgeklärt zu werden, dass die Hälfte ihres Erbguts von einem Fremden stammt, gibt es hingegen nicht.

Ein heikler Punkt, schließlich nimmt die Zahl genetischer Patchworkfamilien stetig zu - auch durch das neue, liberalere Gesetz: Zum einen darf Fremdsamen nun auch bei der Befruchtung in der Petrischale verwendet werden -und nicht nur im Rahmen einer "Insemination" direkt in der Gebärmutter. Zudem haben auch lesbische Paare die Möglichkeit, sich den Traum vom Kind mittels Samenbank zu erfüllen (wobei diese Paare gar nicht umhinkommen, ihrem Kind eine plausible Abstimmungsgeschichte zu erzählen -wie sehr diese Geschichte auch der Wahrheit entspricht.) Nicht zuletzt wurde auch die Eizellspende legalisiert. Neben der beschränkten Zulassung der Präimplantationsdiagnostik (PID), also der Untersuchung von Embryonen vor ihrem Transfer in den Uterus, ist diese Behandlung die umstrittendste Neuerung: Schließlich werden dabei gesunde Frauen unter 30 Jahren hormonell stimuliert - zugunsten Dritter.

Um Eizellhandel zu verhindern und das Recht auf Kenntnis der eigenen Herkunft zu wahren, hat man enge Grenzen gezogen: Sowohl anonyme Spenden als auch die Bewerbung, Vermittlung und Bezahlung von Eizellspenden wurde unter Strafe gestellt. Nur das Refundieren von "Barauslagen", etwa in Form von Hotelrechnungen, ist erlaubt. Die Zwischenbilanz ist freilich ernüchternd (vgl. nächste Seite): Paare, die sich ein Kind durch Eizellspende wünschen, werden wie bisher meist ins nahe Ausland geschickt, wo Spenderinnen nicht nur eine üppige Entschädigung erhalten, sondern auch anonym bleiben. Der Markt setzt sich also einmal mehr über nationale Gesetze hinweg.

"Dort werden 14-Jährige stimuliert!"

Der Frust darüber ist groß - vor allem bei jenen, die sich dadurch geschäftlich geschädigt sehen. "Wir haben wahnsinnig viel Nachfrage, aber massive Probleme, Spenderinnen zu finden", erzählt etwa Leonhard Loimer, der IVF-Institute in Wien, Wels und Linz betreibt. Die meisten Frauen müsse er ins Institut seiner Brünner Kollegen verweisen. Jene 62 Frauen, die er selbst behandelt habe, hätten ihre Spenderinnen -"Bekannte oder Freundinnen" - selbst mitgebracht. Seine Anfangsidee, junge Russinnen im Zuge eines Wien-Urlaubs für eine Eizellspende zu gewinnen (vgl. FURCHE Nr. 24/2015), habe sich leider als Sackgasse erwiesen, "weil die Russinnen nicht auf Urlaub, sondern auf Geld stehen". Auch die Option, in der Ukraine billige Eizellen zu bekommen, habe sich zerschlagen: "Dort werden 14-Jährige stimuliert, da bin ich entsetzt zurückgekehrt."

Betroffen ist auch Karin Tordy angesichts der Berichte von Frauen, die im Ausland durch Eizellspende schwanger wurden und dann psychologische Unterstützung benötigen. Da ist etwa jene 42-jährige Patientin C, die -mit Zwillingen schwanger - das "doppelt Fremde" in ihrem Körper nicht mehr aushält und deshalb privat in der 20. Woche eine "fetale Reduktion" - also die Tötung eines Kindes im Mutterleib - durchführen lässt. Dass gerade Eizellspenden bei Frauen so massive Ambivalenzen auslösen können, erklärt sich die am AKH Wien tätige Psychologin so: "Die Samenzelle kommt immer von jemand 'Fremdem', die Eizelle hingegen immer vom eigenen Körper. Hier ist das Unbekannte psychologisch offenbar nicht leicht zu integrieren." Auf Grund der starken Tabuisierung könnten sich die Frauen aber oft nicht mitteilen. "Die meisten sind mit ihren Ängsten und Zweifeln vollkommen allein."

Kommt das Baby zur Welt, geht die Verschleierung in den allermeisten Fällen weiter -nach Eizell-wie nach Samenspenden. Die Ursache dafür ist Angst, weiß Karin J. Lebersorger, klinische Psychologin und Standortleiterin des Instituts für Erziehungshilfe im 21. Wiener Bezirk: "Angst, dass diese dritte Person die Zweisamkeit stört; Angst, dass das Kind sie lieber haben könnte als mich; Angst, dass sie mein Kind wegnehmen könnte." All diese Ängste seien verständlich, müssten aber thematisiert werden, um kein belastendes "Familiengeheimnis" entstehen zu lassen. "Zur Identität eines Menschen gehören schließlich wesentlich die Fragen: Wer bin ich? Und woher komme ich?"

Je natürlicher und offener ein Kind darüber aufgeklärt werde, wer aller bei seiner Entstehung beteiligt war, desto leichter falle es ihm, diese Personen in sein Leben zu integrieren -auch wenn es zu keiner wirklichen Begegnung kommt. Im Adoptionsbereich hat sich diese Erkenntnis längst durchgesetzt. Als Mitautorin der Stellungnahme der "Österreichischen Liga für Kinder- und Jugendgesundheit" zum neuen Fortpflanzungsmedizingesetz hat Lebersorger deshalb dafür plädiert, auch bei Kinderwunschbehandlungen eine verpflichtende und unabhängige psychologische Beratung der Eltern vorzuschreiben -ebenso wie eine verpflichtende Aufklärung des Kindes bezüglich seiner Herkunft. Ohne Erfolg.

Zentrales Spenderegister gefordert

Nun, ein Jahr nach Beschluss des neuen Gesetzes, nehmen die Mitglieder der Plattform "kinderbekommen.at"(darunter "Aktion Leben" und "Katholische Aktion") einen neuen Anlauf: Sie fordern nicht nur unabhängige Beratung für Keimzellenspender sowie mehr Kontrolle, Dokumentation und Begleitforschung bei künstlicher Befruchtung, sondern auch ein zentrales Spenderegister. In einem parlamentarischen Entschließungsantrag vom 21. Jänner 2015 sei die Prüfung eines solchen Registers binnen zwei Jahren gefordert worden.

Laut Gesundheitsministerium laufe diese Prüfung bereits. Indes warnen Pränatalmediziner wie Wolfgang Arzt bereits vor den Folgen verdunkelter Herkunft: "Wenn das weiter zunimmt, haben wir in ein, zwei Generationen deutlich mehr Verwandtenehen," prophezeite er im Rahmen eines "Politbrunchs" des Instituts für Ehe und Familie in Wien. "Wir kennen keine Stammbäume mehr, wir wissen nicht, welche genetische Belastung eine Schwangere in sich trägt."

Doch kann man leibliche Eltern zu Offenheit zwingen? Für Peter Kemeter ist das kaum machbar: "Dann müsste man ja auch alle außerehelich gezeugten Kinder zwangsweise aufklären." Ihm selbst sei es jedenfalls wichtig, den Kontakt von Kindern zu ihren leiblichen Vätern im Ernstfall möglichst sensibel anzubahnen. "Ich bitte sie immer, einen Brief zu schreiben, den ich dann ungeöffnet weiterleite. Der Spender muss zwar damit rechnen, dass er einmal kontaktiert wird - aber dann hat er wenigstens ein bisschen Zeit, das zu verdauen."

Und wer kontrolliert?

Laut Gesetz dürfen Samen-und Eizellspenden stets nur derselben Krankenanstalt zur Verfügung gestellt und für maximal drei Paare verwendet werden. Eine Kontrolle fällt freilich angesichts fehlenden Spenderegisters schwer.

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