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Pro und Kontra zum Thema „Retortenbaby“

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Am 25. Julie wurde in England ein „Retortenbaby“ (oder was man halt dafür hielt) geboren. Die Diskussion darüber ist seither nicht zum Stillstand gekommen. „Christ in der Gegenwart“,-eine in Freiburg erscheinende katholische Wochenzeitschrift, hat die kirchlichen Stimmen in dieser Situation gewissenhaft registriert. Wir zitieren ausdem Bericht in Nummer 36 dieser angesehenen Publikation.

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Am 25. Julie wurde in England ein „Retortenbaby“ (oder was man halt dafür hielt) geboren. Die Diskussion darüber ist seither nicht zum Stillstand gekommen. „Christ in der Gegenwart“,-eine in Freiburg erscheinende katholische Wochenzeitschrift, hat die kirchlichen Stimmen in dieser Situation gewissenhaft registriert. Wir zitieren ausdem Bericht in Nummer 36 dieser angesehenen Publikation.

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Wir leben in einer eigenartigen, widersprüchlichen Zeit. Auf der einen Seite werden heute überall in der Welt durch die freigegebene Abreibung Millionen von kleinen menschlichen Wesen getötet - auf der anderen ist der Wissenschaft kein Aufwand, sind ihr keine Mittel zuviel, uro auch unter ungünstigen Umständen neues menschliches Leben zu zeugen.

So erfuhren wir anläßlich der von Sensationsgier umwitterten Geburt der kleinen Louise Brown, die durch ein medizinisches Experiment gezeugt wurde, daß es in England schon seit fünfzehn Jahren Forschungen in dieser Richtung gibt, also Versuche, durch die Verschmelzung eines weiblichen Eies und eines männlichen Samens außerhalb der körperlichen Vereinigung, also gleichsam künstlich, ein Kind zu zeugen.

Man muß sich klarmachen, daß die englischen Ärzte Robert Edwards und Patrick Steptoe, die bei der Zeugung der Louise Brown halfen, gerade dies nicht im Sinn hatten. Es handelt sich bei dem am 25. Juli geborenen Kind nicht um ein „Retortenbaby“, sondern um ein normal im mütterlichen Leib herangewachsenes Kind, das durch eine ganz natürliche Geburt zur Welt gekommen ist.

Schon kurz nach der sensationellen Verbreitung der Nachricht, daß ein solchermaßen mit medizinischer Hilfe gezeugtes Kind glücklich und gesund geboren wurde, wurde die Frage gestellt: Was sagt der christliche Glaube, was sagt die Kirche, was die Glaubenswissenschaft, die Theologie, dazu?

Es ist interessant, daß sich die Massenmedien auch der ethischen Seite des ganzen Problems öffneten, daß sie keineswegs, wie ihnen immer wieder unterstellt wird, solche Betrachtungsweisen unterschlugen. Freilich: die amtlichen und theologischen Vertreter konnten und können sich nicht auf eine und klare Antwort einigen.

Im deutschen Sprachbereich haben sich mehrere Bischöfe und Professoren der Moraltheologie (Teilgebiet der Theologie, das sich mit ethischen Fragen beschäftigt) geäußert. Die medizinische Befruchtung lehnten zum Beispiel eindeutig ab: Kardinal Höffher, Erzbischof Degenhardt, Bischof Stimpfle und der Bochumer Professor Gustav Ermecke, Grundsätzlich bejahende Äußerungen kamen von Professoren: Böckle (Bonn), Hirschmann (Frankfurt-St. Georgen) und Gründel (München).

Auch von evangelischer Seite liegen mehrere und gegensätzliche Äußerungen vor. Der Berliner Bischof Kruse: „Ich kann die Gewissensentscheidung der Eheleute nur respektieren“. Die Wissenschaft würde die Grenze des erlaubten Experimentierens erst dann überschreiten, „wenn die Befruchtung nicht in die Liebe zweier Menschen eingebettet wäre“! Ähnlich von einer ganz personal ausgerichteten ethischen Grundhaltung aus äußerte sich Oberkirchenrat~;-Roepkeyj Pressereferent der Kirchenkanzlei der EKD.

Mehr Zurückhaltung forderte dagegen der Vizepräsident der Kanzlei, der bekannte Theologe D. Erwin Wilkens. Er sieht durch eine Medizin, der praktisch „alles“ machbar wird, große Gefahren für die Menschenwürde heraufziehen. Die Versuchung sei nicht von der Hand zu weisen, daß die technischen Möglichkeiten der künstlichen

Befruchtung zu „grenzüberschreitenden Manipulationen auch am Menschen“ mißbraucht würden. Wilkens argumentiert wie viele aus den möglichen Folgen: daß ein befruchtetes Ei in die Gebärmutter einer anderen Frau eingepflanzt werden könnte, daß Möglichkeiten einer völlig anonymen Methode offenstehen, man befruchtete Eizellen „reihenweise“ anbietet usw. Bei der ethischen Beurteilung müsse entschieden die „Zweideutigkeit jedes Fortschritts“ in Rechnung gestellt werden.

Diese Argumente, die man auch in der allgemeinen Presse und aus dem Mund nicht-christlich orientierter Forscher vernehmen konnte, spielen in der speziell katholiscfrjefl Diskussion ebenfalls eine Rolle. Am gründlichsten und sorgfältigsten muß man da eine mehrseitige, offenbar von einem Fachmann ausgearbeitete Stellungnahme des Kölner Kardinals Höffher nennen. Er lehnt jede künstliche Befruchtung, auch bei einem verheirateten Paar, das sich aus gegenseitiger Liebe ein Kind wünscht, ab. Auch er zitiert die Schreckensvisionen einer total manipulierten Menschheit - Gedanken, die jeden von uns mit Sorge erfüllen.

Kardinal Höffner weist zugleich darauf hin, daß das katholische Lehramt sich schon mehrmals mit der Frage befaßt hat, sie also für die katholische Kirche durchaus nicht neu ist. Pius XII. hat sich dreimal zu dem Fragenkomplex geäußert: vor katholischen Ärzten am 29. September 1949, vor Mitgliedern des Verbandes katholischer Hebammen Italiens am 29. Ok-1 tober 1951, vor den Teilnehmern des zweiten Weltkongresses zum Studium der Fruchtbarkeit und Sterilität am 19. Mai 1956.

Weiterhin weist Kardinal Höffner auf die Enzyklika „Mater et magistra“, die Konzilserklärung über die Kirche in der Welt von heute („Gaudium et spes, Nr. 50) und auf die Enzyklika „Humanae vitae“ (Nr. 12) hin.

In allen diesen Dokumenten wird die künstliche Zeugung eines Menschen deshalb abgelehnt, weil sie die gesamtmenschlich-personale Einheit der Zeugung zerstöre. „Die Weitergabe des Lebens ist ein personaler Akt: damit ist sie gebunden an Gottes heilige, unerschütterliche und unantastbare Gesetze. Niemand darf sie mißachten und übertreten. Darum sind hier Mittel und Wege schlechterdings unerlaubt, die bei der pflanzlichen und tierischen Fortpflanzung bedenkensfrei sind“ (Mater et magistra“).

Es ist beachtenswert, wie in diesen kirchlichen Stellungnahmen eine Synthese von personalen und naturrechtlichen Betrachtungsweisen versucht wird, mit anderen Worten: wie die personalen Umstände der Zeugung („gesamtmenschlich“) als „Gesetz“ interpretiert, wie anderseits „personal“ und „natürlich“ gleichgesetzt werden. Den Vorwurf, daß dies letztlich eben doch eine „biologistische“ und nicht eine „personalistische“ Sicht der Dinge sei, weist Kardinal Höffner im letzten Absatz seiner Erklärung mit Äußerungen des Philosophen Robert Spaemann zurück.

Die katholischen Moraltheologen, die die künstliche Zeugung im ganzen offenbar positiver beurteilen, haben sich bisher nur kurz und noch nicht in längeren Beiträgen erklärt. Der Jesuitenpater Prof. Hirschmann äußerte die Uberzeugung, daß die Diskussion nicht mit Hinweisen auf Pius XII. beendet werden könne. Wörtlich (KNA, 28. 7.):

„Die Diskussion nach dem Anfang der 50er Jahre ist ja innerkatholisch weitergegangen, und ein Teil der katholischen Moraltheologen hält das Wort von Pius XII. in dieser Beziehung bei der homologen Insemination (künstliche Befruchtung bei Ehepartnern, in der Ehe) nicht für das letztmögliche Wort der Kirche. In einzelnen Fällen, sagen diese Moraltheologen, würde wohl auch eine homologe (eheliche) Insemination moralisch verantwortbar sein. Wann der einzelne Fall gegeben ist, das ist natürlich bei den vielen kornplizierten Emzetftageh, bei den Zusammenhängen der Technik, sehr schwierig.“

Die medizinische Vermittlung diene in einem solchen Fall der ehelichen, der personalen Liebe, der Liebe zum Kind, wie sie in der Enzyklika „Humanae vitae“ so entschieden gefordert werde.

Der Bonner Moraltheologe Prof. Franz Böckle äußerte sich in einem Interview im Norddeutschen Rundfunk, das weite Verbreitung in der Presse fand. Zur Zeugung der Louise Brown speziell meinte er: Alles deutet darauf hin, daß die Eltern und der Arzt sowohl gut wie richtig, das heißt aus guter Absicht als auch sachlich richtig, gehandelt haben.“ Die natürliche Verbindung einer Samenzelle des Ehemannes mit der Eizelle der Frau habe nur nicht im Leibe der Mutter, sondern an einem anderen als dem normalen Ort stattgefunden. „In dieser Ortsverschiebung sehe ich nichts, was als solches schlecht bezeichnet werden könnte.“

Zur Lehre Pius XII.: Man müsse dort unterscheiden, ob der Papst wirklich auch eine künstliche Samenübertragung, die in einem echten und persona- ( len Ehe- und Liebesverhältnis zustande komme, habe verurteilen wollen: „Ich sehe wirklich nicht ein, warum man nicht die Mittel, die uns gegeben sind, einsetzen soll, um einer sterilen Familie zu helfen, daß sie auf einem vernünftigen Weg zu eigenen Kindern kommt!“

Prof. Gründel aus München. Man dürfe den Einzelakt der künstlichen Befruchtung nicht isoliert sehen, müsse das gesamte Geschehen einbeziehen, „die liebende Hingabe der Partner und die Bereitschaft zur Zeugung neuen Lebens“. Die künstliche Befruchtung diene unter solchen Umständen „eigentlich nur der Vollendung eines solchen Liebesaktes und der Ehe als ganzer“.

Auch diese Theologen warnen vor den Gefahren einer Medizin, die vor nichts Machbarem zurückschreckt. Aber es gebe eben bei allen Mitteln einen guten und einen schlechten Gebrauch. Mit den neuen Kenntnissen können Eltern zu eigenen Kindern kommen, es können aber auch bösartige Zuchtversuche gemacht werden.

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