„Egal, was sie tun, es passt nicht“

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Die Expertinnen für Demografie, Isabella Buber-Ennser und Caroline Berghammer, über die Schere zwischen Kinderwunsch und Realisierung und über die Gründe für Kinderlosigkeit. Was kann die Politik tun und worauf hat sie keinen Einfluss?

Die Österreicherinnen und Österreicher wünschen sich durchwegs zwei Kinder. Dennoch realisieren diesen Wunsch in Österreich weniger Paare als etwa in Frankreich. Das offenbart die europäische Vergleichsstudie „Generations and Gender Survey“ für 2008/2009, die kürzlich in Wien präsentiert wurde (für mehr Details siehe den Artikel unten).

Die Furche: Was sind die Ursachen dafür, dass viele Paare nicht jene Anzahl an Kindern bekommen, die sie sich wünschen?

Isabella Buber-Ennser: Es ist eine Reihe von Faktoren, die für diese Schere verantwortlich sind: Wichtig sind die Situation der Partnerschaft und der Beschäftigung sowie die Jobaussichten. Auch die Wohnsituation ist anzuführen sowie individuelle Aspekte wie die Freizeitgestaltung, die wichtiger sein kann als Familiengründung. Wir werden die Ursachen noch besser ergründen können, wenn wir jene Studienteilnehmer, die einen Kinderwunsch angaben, in drei Jahren nochmals befragen, ob sie diesen realisiert haben oder nicht. Das machen wir im nächsten Durchgang der Studie.

Die Furche: Ist in Österreich diese Diskrepanz besonders ausgeprägt?

Caroline Berghammer: Nein, diese Diskrepanz gibt es in einer Reihe anderer Länder. Die zweite Welle der Befragung wurde in einigen Ländern schon durchgeführt: etwa in den Niederlanden, Ungarn und Bulgarien. In den Niederlanden hatten drei von vier Frauen tatsächlich ein Kind geboren, die zuvor angegeben hatten, sich ein Kind zu wünschen. In den anderen Ländern war die Rate niedriger. Einige Faktoren waren: Ältere Personen können den Wunsch weniger oft realisieren als jüngere; hier spielt die Fruchtbarkeit der Frau hinein. Kinderlose Personen ebenso weniger als jene, die schon Kinder haben. Gebildete Frauen konnten den Kinderwunsch eher realisieren als weniger gut gebildete.

Die Furche: Wie verhält es sich mit dem Kinderwunsch bei Männern und Frauen?

Buber-Ennser: Jüngere Männer wünschen sich durchschnittlich weniger Kinder als jüngere Frauen. Ältere Männer (über 30 Jahren) eher mehr. Jüngere Männer beschäftigen sich offenbar noch nicht so sehr mit dem Thema Familie. Unter den Kinderlosen ergibt sich folgendes Bild: von den 40 bis 45-Jährigen wünschen sich noch 60 Prozent der Männer ein Kind, bei den Frauen 30 Prozent. Frauen zweifeln also eher an der Umsetzung des Wunsches aufgrund biologischer Grenzen.

Die Furche: Jede fünfte 40-jährige Frau ist kinderlos, also 20 Prozent. Warum?

Buber-Ennser: Zehn Prozent wollen kinderlos bleiben, bei Männern sind das auch ungefähr zehn Prozent. Die anderen zehn Prozent geraten in die Kinderlosigkeit hinein: Sie wollten in früheren Jahren Familien gründen, haben den Kinderwunsch aber hinausgeschoben und dann aus beruflichen oder partnerschaftlichen Gründen nicht mehr realisieren können oder wollen. Es muss aber gesagt werden, dass die Kinderlosigkeit auch früher schon einmal sehr hoch war. Bei Frauen, die um 1900 geboren wurden, lag sie vor allem aufgrund der Wirtschaftskrise bei 30 Prozent. Bei den Frauen, die um 1940 geboren sind, ist die Kinderlosigkeit auf zwölf Prozent gesunken, nun steigt sie wieder.

Die Furche: Heute hat es wohl andere Gründe als früher …

Buber-Ennser: Die Kinderlosigkeit ist bei Akademikerinnen und bei Frauen im urbanen Bereich höher.

Berghammer: Es gibt aber eine große Schwankungsbreite bei Frauen mit hohem Bildungsgrad: Sozialwissenschaftlerinnen, Künstlerinnen, Theologinnen oder Journalistinnen sind besonders oft kinderlos, Ärztinnen oder Naturwissenschaftlerinnen im Mittelfeld, unter den Diplomingenieurinnen gibt es wiederum deutlich weniger kinderlose Frauen. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse sind hierfür eine Erklärung.

Die Furche: In Frankreich und Skandinavien sind die Geburtenraten höher. Was machen die Franzosen und Skandinavier besser?

Buber-Ennser: Frankreich hatte die Politik des dritten Kindes mit steuerlichen Anreizen. Zudem ist die Einstellung zu Kinderbetreuung eine ganz andere, es gibt ein flächendeckendes Kinderbetreuungsnetz. In Skandinavien ist, abgesehen vom sehr guten Kinderbetreuungssystem, die Rolle der Väter eine zentrale. Bei der Entscheidung für ein weiteres Kind sind der passende Partner und dessen Unterstützung bei der Betreuung der Kinder wichtig.

Die Furche: Die Politik kann etwas tun, um die Vereinbarkeit zu verbessern; worauf hat sie aber keinen Einfluss, wenn es um die Realisierung des Kinderwunsches geht?

Buber-Ennser: Ich bin skeptisch, dass das Kinderbetreuungsgeld viel an der Geburtenrate verändern wird, denn diese Maßnahme bezieht sich auf die ersten drei Jahre. Die Betreuung des Kindes geht dann ja weiter. Wenn gute Rahmenbedingungen für den Wiedereinstieg und die Kinderbetreuung geschaffen werden, dann tun sich Menschen leichter, sich für ein weiteres Kind zu entscheiden. Keinen Einfluss hat die Politik freilich auf individuelle Faktoren wie etwa auf Partnerschaften; oder auf Einstellungen, wie man sein Leben leben und genießen möchte.

Die Furche: Soll sich der Staat mit der niedrigen Geburtenrate abfinden?

Buber-Ennser: Nein, nicht solange es unter den Menschen das Bedürfnis gibt, mehr Kinder zu wollen als diese letztlich bekommen.

Die Furche: Wie gut ist Österreich nun in Bezug auf familienpolitische Maßnahmen unterwegs?

Buber-Ennser: Ich möchte das nicht benoten. Unsere Familienpolitik ist darauf ausgerichtet, dass Mütter in den ersten Jahren daheim bei den Kindern sind und dann als Teilzeit-Beschäftigte wieder in den Beruf einsteigen. Länder wie etwa Schweden und Frankreich unterstützen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf von Anfang an. In Österreich wurde in Rahmen einer Studie erhoben, dass Frauen sich immer rechtfertigen müssen, egal, welches Karenzmodell sie wählen. Egal, was sie machen, irgendjemandem passt es nicht. Das Gefühl, sich rechtfertigen müssen, steckt tief in den Köpfen der Frauen drinnen. Das finde ich nicht gut.

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