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Wie komme ich zu meinem „Wunschkind"?

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Erst in den letzten Jahrzehnten gab es in fast alien westlichen Demokratien eine entsprechen-de Rechtsform, durch die das Kind und sein Wohl in den Mittelpunkt des Adoptionsgeschehen geriickt und die Adoption in ihrer Funktion als Fami-lienersatz fiir elternlose Kinder ver-starkt wurde. Dementsprechend an-derte sich auch die Administration der Durchfiihrung. Adoptionsstellen wurden als Spezialeinrichtungen ins Leben gerufen, die Professionalisie-rung wurde gefordert.

Die Situation in Wien:

Ingrid Jenacek, Diplomierte Sozialar-beiterin und Leiterin der Adoptions-stelle des Amies fiir Jugend und Fa-milie (MA 11) in Wien, berkhtet iiber die Erfahrungen ihrer 16jdhrigen Tdtigkeit-

„Als ich die Adoptionsstelle vor 16 Jahren iibernahm, gab es 350 Anmel-dungen adoptionswilliger Eltern aus Wien, Niederosterreich und dem Bur-genland gegeniiber 41 durchgefuhr-ten Vermittlungen pro Jahr (davon waren 40 Sauglinge und ein Klein-kind). Ab April 1994 wurden nur noch Paare ,in Vormer-kung' ge-nommen, die ihren Wohnsitz in Wien haben, sodaB die Zahl der Wartenden auf 274 ge-senkt werden konnte. Die Warte-zeiten ,verkurzten' sich auf vier bis fiinf Jahre, wobei die Altersgrenze der Frau bei 35 Jahren und die des Man-nes bei 40 Jahren liegt, wenn es um die Adoption eines Sauglings geht. Es soil ja ein Eltern-Kind-Verhaltnis und kein Grofleltern-Kind-Verhaltnis entstehen.

Ist die adoptionswerbende Frau heute zum Beispiel 39 Jahre alt, so wird das Adoptivkind um diese vier Jahre alter als ein Saugling sein miis-sen. Natiirlich will ich in erster Linie die Wiinsche der ,abgebenden' Mutter beriicksichtigen, die groBteils noch sehr jung sind (durchschnittlich 20 Jahre). Sie wunschen sich natiirlich vor allem junge Adoptiveltern, wobei ich hier keine Schwierigkeiten habe, da ich ja nach wie vor auf mein Eltern -Beservoir aus den Bundeslan-dern zuriickgreifen kann."

Elisabeth Lutter, Prdsidentin des Bun-desverbandes der Osterreichischen Pflege- undAdoptivelternvereine, sieht die Lage jedoch etwas drastischen

„Ich kenne in Wien Wartezeiten auf ein Adoptivkind bis hin zu zehn Jahren. Die derzeitige Situation der Altersklausel ist eigentlich verhee-rend. Eine Obergrenze von 35 Jahren in einer Zeit, in der sich die Bildungs-chancen fiir Frauen so rasant ent-wickelt haben, ist eigentlich unzu-mutbar. Eine Frau ist heute mit un-gefahr 25 Jahren mit ihrem Studium fertig, sie denkt dann zuerst einmal

nicht an eigene Kinder, sie will mit ihrem erlernten Wissen etwas anfan-gen. Fast alle Madchen nehmen heute auBerdem die Pille, was sich auf langere Sicht auch negativ auswirken kann. Will die Frau namlich mit 28, 29 oder 30 Jahren ein Kind, funktio-niert das meist nicht auf Anhieb. Sie versucht es dann zuerst auf natiirli-chem Weg mit Behandlungen, Sti-mulanzien und so weiter. Nach ein bis zwei Jahren, die keinen Erfolg brin-gen, versucht sie es mit einer ,in-vitro-Fertilisation'. Nun konnen wieder Jahre vergehen ehe feststeht, daB sich kein Nachwuchs einstellt. Die Frau ist in vielen Fallen also mindestens 35 Jahre alt, wenn sie den Plan faBt, sich fiir ein Adoptivkind anzumelden. Nun stehen ihr aber mindestens sechs bis zehn Jahre Wartezeit bevor. Das heiBt, sie kann keinesfalls mehr einen Saugling adoptieren. In Osterreich werden aber so gut wie nur Sauglinge zur Adoption vermittelt. Man geht bei uns davon aus, daB altere Kinder ge-pragte Kinder sind, und Adoptiveltern nur ungepragte und ungebundene Kinder wollen. ErfahrungsgemaB konnen aber auch bereits zwolf- bis 15monatige Kinder durch schlechte medizinische Versorgung, ungiinstige Schwangerschaft, durch Alkohol, Bauchen oder durch nervliche Bela-stungen der Mutter bereits geschadigt sein.

Welche Voraussetzungen miissen Adoptiveltern bei der Bewerbung um ein Adoptivkind erfullen? Ingrid Jenacek- „Die Adoptiveltern miissen vor allem informiert sein, aus welcher Lebenssituation der Saugling kommt, den sie adoptieren wollen. Sie miissen mit dem ,sozialen background' des Kindes einverstanden sein und sich auf die neue Lebenssituation vorbereiten.

Es gibt heute eine Beihe von ent-sprechenden Moglichkeiten, sich auf eine Adoption vorzubereiten, das heiBt es gibt Kurse und Schulungen fur Adoptiveltern. Das Jugendamt selbst hat eine eigene ,Adoptiveltern-schule' im Hause des Jugendamtes in der Wiener Neutorgasse, in der Vor-trage iiber Adoption von Psychologen, Kinderarzten, Sauglingsschwestern und Sozialarbeitern gehalten werden. Der Verein Initiative Pflegefamilien veranstaltet gemeinsam mit der Ge-meinde Wien an den Volkshochschu-len Kurse fiir Adoptiv- und Pflegeel-tern, in denen viele Problemkreise an-gesprochen und entsprechendes Fach-wissen vermittelt wird."

Worin liegt die Ursache der steigen-den Nachfrage nach Adoptivkindern? Elisabeth Lutter. „Kinderlosigkeit ist heute stark im Zunehmen begriffen. Man kann Kinder verhuten, man darf sie nach der Gesetzeslage sogar ab-treiben. Es nimmt parallel dazu aber auch die ungewollte Kinderlosigkeit sehr zu. Die Ursachen dafiir sind StreB durch Berufstatigkeit, schadliche Umwelteinflusse und vieles mehr. Paare, die ungewollt kinderlos blei-ben, und bei denen kein medizini-scher Grund dafiir vorliegt, haben in den letzten zehn Jahren sogar um ein Drittel zugenommen."

In Osterreich gibt es zu wenig Adop-tivkinder: Weichen osterreichische Eltern nun vermehrt ins Ausland aus, um sich ihren Kinderwunsch zu er-fiillen?

Elisabeth Lutter. „ Als nach der Ostoff-nung Bilder aus rumanischen Kinder -heimen via Fernsehen und Zeitungen zu uns kamen, losten sie auf der ganzen Welt eine groBe" Welle der

Hilfsbereitschaft aus. Anfangs gab es da auch sicher einige geschaftstiichti-ge Leute, die entdeckten, daB man mit der Not des einen, die Not des ande-ren kombinieren und daraus auch Ka-pital schlagen kann. Die Situation hat sich in Bumanien um einiges verbes-sert und die Vermittlung der Kinder konnte legalisiert werden. Der Verein Initiative Pflegefamilien ist die einzi-ge Institution in Osterreich, die lau-fend samtliche rechtliche Schritte uberpriift und begleitet, sodaB kein einziges Kind illegal oder ohne Papie-re nach Osterreich kommt. Zwischen 1990 und 1992 konnten iiber den Verein 25 Kinder nach Osterreich adop-tiert werden. Auch behinderte Kinder sind gut rehabilitiert worden, was lau-fende Aufzeichnungen bestatigen. Seit 1993 gibt es ein neues Gesetz in Bumanien, wonach private Adoptio-nen nur iiber anerkannte Trager des Auslandes moglich sind. 1995 wurden insgesamt 15 rumanische Kinder nach Osterreich vermittelt. Zwei bereits in Osterreich geborene Kinder konnten ebenfalls an Adoptiveltern vermittelt werden.

Allerdings sind Adoptionen aus Bumanien sehr kostspielig: Beglaubi-gung von Dokumenten, Stempelge-biihren, EMS-Postgebiihren, Bechts-

anwaltskosten vor Ort, Beisespesen und Aufent-haltskosten der Adoptiveltern, Ge-sundheits-zeugnisse der Kinder lassen die Kosten fiir eine Adoption in die Nahe von 80.000 Schilling kommen."

Warum gibt in Osterreich eine Mutter ihr Kind frei?

Ingrid Jenacek „Es sind nach wie vor vor allem groBe psychische Probleme, die Frauen fiir Adoptionen nennen, einige davon sind:

■ Bereits mehrere Kinder, die zu ver-sorgen sind. Ein weiteres wird bela-stungsmaBig nicht mehr geschafft.

■ GroBe Probleme in der Partner -schaft.

■ Der Partner hat die Frau verlassen, sie sieht sich aber allein nicht imstan-de, ein oder mehrere Kinde(r) zu ver-sorgen und aufzuziehen.

■ Die Frau ist noch sehr jung, sie will, wenn sie erst 18 oder 19 Jahre alt ist, ihr Leben noch ohne Kind gestalten. Sie hat noch keine eigene Wohnung, lebt noch bei den Eltern. Die eigene Mutter ist selbst noch im Beruf und kann sie bei der Kinderbetreuung nicht unterstiitzen.

■ Drogen- oder Alkoholabhangigkeit. ErfahrungsgemaB entwickeln sich aber Kinder drogenabhangiger Frauen viel besser als die Kinder von Al-koholikern. 1995 wurden vier Kinder von Drogenmuttern zur Adoption freigegeben, sie haben sich bisher gut entwickelt. Nach Aussagen von Arz-ten besteht auch bei Drogenkindern weit weniger die Gefahr einer geisti-gen Schadigung als bei Kindern von Alkoholikern.

Welche Erwartungen setzen Adoptiveltern in ihr Adoptivkind? Ingrid Jenacek „So wie die meisten Eltern wunschen sich auch Adoptiveltern ein gesundes Kind, das sich gut entwickelt und einmal selbstandig wird. Ganz sicher ist dieser Wunsch auch der Grund dafiir, daB ich in den 16 Jahren meiner Tatigkeit nur ein

einziges behindertes Kind zur Adoption weitervermitteln konnte. Diese Eltern flatten bereits ein gesundes eige-nes Kind und sind vor dieser Aufgabe nicht zuriickgeschreckt. Aber ein Fall in 16 Jahren ist doch sehr wenig! Al-ternativen fiir behinderte Kinder sind heute nach wie vor entweder Pflege-eltern und - sollten sich auch solche nicht finden - das Heim.

Natiirlich bauen sich viele Eltern-paare, die adoptieren wollen, in ihrer Phantasie das Bild ihres ,Wunschkin-des' auf, dem die Bealitat dann viel-fach nicht entsprechen kann. Eine solche Adoption muB notgedrungener-maBen schiefgehen. Enttauschungen bleiben aber auch leiblichen Eltern nie erspart, das ist leider Tatsache.

Elisabeth Lutter: „Die Erwartungen sollten den Adoptiveltern von Anfang an realistisch klar gemacht werden: eirie Adoptivfamilie wird nie eine Fa-milie wie jede andere. Die rein biolo-gische Komponente des Kindes bleibt immer eine bestimmende und wich-tige Wurzel seines Wesens. Sie sollte immer beriicksichtigt werden. Das Kind behalt seine pranatale und post-natale Pragung. Es hat seine eigenen Gene, Anlagen und seine ganz per-sonliche Vorgeschichte. Laufende Be-gleitung und Beratung von Adoptiv-und Pflegeeltern ist deshalb immer rats am."

Man kennt die klassische „Inkognito-Adoption" und spricht heute immer mehr von der sogenannten „offenen Adoption", die eine spatere Identitats-findung des Kindes sehr erleichtert. Ingrid Jenacek „Man darf bei der ,In-kognito-Adoption' vor allem die ab-gebenden Mutter nicht vergessen. Sie werden heute fast so stark wie friiher vernachlassigt, vielfach ganz verges-sen. Die Freigabe ihres Kindes ist ein Geschehen, das fast analog zu einer Abtreibungssituation ist. Der Vor-gang des Hergebens ist vorbei, das un-erwiinschte Kind, das Problem ist .weg'-

Dazu kommt der Druck der offent-lichen Meinung, der nach wie vor die Klischees wie: ,Ein Kind schenkt man nicht her' oder ,Mutterliebe hat man doch' aufrecht halt. Diese Mutter werden nach wie vor vielfach sozial geachtet und verachtet. Dazu kommt, daB durch die heutige Interpretation der Inkognito-Adoption es sehr wohl passieren kann, daB das Kind seine leibliche Mutter kennenlernen will (bis zur GroBjahrigkeit mit dem Ein-verstandnis der Adoptiveltern, ab 19 Jahren auch ohne diese).

Das heiBt fiir diese Frauen, daB sie zu einem unerwarteten Zeitpunkt ih-

res Lebens wieder in eine groBe Kon-fliktsituation kommen konnen, vor allem dann, wenn sie eine neue Part-nerschaft eingegangen sind und von der Adoption vielleicht nichts erzahlt haben.

Bei der sogenannten ',offenen Adoption' weiB die leibliche Mutter von Anfang an, wie die Adoptiveltern ihres Kindes heiBen und wo sie leben. Heute kommen oft Paare in die Adoptionsstelle, die eine schwangere Bekannte mitnehmen und sich fiir die Adoption dieses Kindes anmelden. Diese Paare wissen bereits, daB es sehr wenige Kinder gibt, die man adoptieren kann, und haben diesen Weg ganz bewuBt gewahlt. Der persbnliche Kontakt ist von Anfang an gegeben. Wie und in welcher Form er weiter -besteht, ist eine Frage von gegenseiti-ger miindlicher oder schriftlicher Vereinbarung.

Im Hinblick auf die heute vielfach sehr angestrebte Selbstfindung und Selbsterfahrung heranwachsender und reifer Menschen ist die Moglich -keit eines Zugangs zur Herkunftsfa-milie sicher sehr vorteilhaft.

Da das Kind aber auch bei der ,In-kognito-Adoption' zwei Geburtsur-kunden erhalt (die erste auf den Na-men der leiblichen Mutter), besteht immer auch die Moglichkeit, daB es im weiteren Verlauf seines Lebens seine Wurzeln und seine Herkunft kennenlernen will.

In der Adoptionsstelle macht sich auch ein Trend bemerkbar, die leiblichen Geschwister aufzuspiiren, zu finden und kennenzulernen. Wenn die Zusammenfiihrung und das Kennenlernen von beiden Seiten gewiinscht wird, organisiert die Adoptionsstelle selbst solche Treffen. Adoptionen in Osterreich sind rar und billig. Sie ,ko-sten' nur die Bundesstempelmarken, die Gerichtskostengebiihren und eventuell den zehnprozentigen Selbstbehalt fiir das Kind, falls dieses langer im Spital bleiben muBte.

Bechtlich ist es in Osterreich so ge-regelt, daB das Adoptivkind durch seine Adoption nur zu den Adoptiveltern in ein Verwandtschaftsverhaltnis kommt. Hier hat es aber die gleiche Bechtsstellung wie das eheliche Kind. Zu den anderen Familienmitgliedern entsteht kein Verwandtschaftsverhaltnis.

Bei Scheidung der Adoptiveltern passiert mit dem Kind das gleiche wie bei ehelichen Kindern. Das heiBt, es bleibt - je nach Vereinbarung - entweder bei Vater oder Mutter. Die Adoptionsstelle weiB jedoch aus Erfah-rung, daB Ehepaare mit einem Adoptivkind weniger scheidungsanfallig sind als andere.

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