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Abgeschoben oder aufgehoben?

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Wickelkinder in den Kindergarten? Die Diskussion um die geplante Kindetfgartenre-form in Niederösterreich sorgt für Aufregung. Landesrätin Traude Votruba (SPO) will Kindergärten künftig bereits für Kinder ab 18 Monaten ganztägig öffnen (siehe Interview unten). Mit dieser Maßnahme soll jenen Frauen geholfen werden, die nach Ablauf der Karenzzeit wieder zurück an den Arbeitsplatz wollen oder müssen. Kritiker sprechen von einer „Zerstörung der Familie".

Viele Frauen sind verunsichert, wenn es um den Wiedereinstieg in den Beruf und die damit verbundene Betreuung ihrer Kinder, vor allem der Kleinen, geht. Wer läßt sich schon gerne als „karrieresüchtige Baben-mutter" beschimpfen? Vorurteile, Berufstätige seien die schlechteren Mütter und der Job gehe auf Kosten der Kinder, sind sattsam bekannt.

Was sagen Experten? „Eine ganztägige Betreuung in Kindergärten ab 18 Monaten ist ganz sicher kein Problem," sagt beispielsweise der Wiener Kinderpsychologe und Universitätsprofessor Max Friedrich. Allerdings müßten folgende Voraussetzungen unbedingt erfüllt werden, denn „ansonsten wäre es eine Katastrophe für

unter Dreijährige":

■ Die Gruppengröße darf fünf bis sechs Kinder pro Betreuerin nicht überschreiten, denn

■ das Kind braucht immer die gleiche Betreuerin, damit sie zur Bezugsperson werden kann.

Auch daß die Kindesmutter die einzig ideale Betreuungform für ein Kind sei, stellt der anerkannte Experte in Frage. „Eine Mutter, die etwa halbtags arbeitet und damit glücklicher und ausgeglichener ist, ist auf alle Fälle besser für ein Kind."

Friedrich hat ein „Kaskadenmodell" für die Betreuung des Kindes nach der Karenzzeit entwickelt. Seiner Ansicht nach wäre es optimal, wenn das Kind in der ersten Zeit nur halbtags außerhalb der Familie versorgt wird. Für das Kind sei es zwar gleichgültig, ob es ganz- oder halbtags

betreut wird. „So ein kleines Kind hat noch kein Zeitgefühl. Es wartet nicht darauf, abgeholt zu werden", so Friedrich. Für die Beziehung Mutter-Kind wäre die anfängliche Halbtagsbetreuung allerdings besser. Ab dem zweiten Lebensjahr etwa könne Juni-

or dann ohne Probleme auch ganztägig betreut werden.

Nicht ganz so problemlos wie Friedrich sieht das die Kinderpsychologin Brigitte Cizek vom Osterreichischen Institut für Familienforschung in Wien: „Ein zweijähriges Kind ist auf einer Entwicklungsstufe, wo es die Altersgenossen als Spielgefährten noch nicht schätzen kann." Der Freundeskreis sei aber ein wichtiges pädagogisches Ziel des Kindergartens: „Untersuchungen haben gezeigt, daß das Kleinkind ein Gemeinschaftsleben bestenfalls erträgt. Es wirkt sich aber nicht fördernd auf seine Entwicklung aus", erklärt Cizek. Die Trennungsängste eines Zweijährigen würden es ihm nicht ermöglichen, sich in einer Kindergruppe wohl zu fühlen. Frühestens ab dem dritten Lebensjahr nehmen die Proteste gegen eine Tren-

nung von der Mutter ab, sagt die Kinderpsychologin. Erst ab dem vierten Lebensjahr sei das Kind dann fähig, einen Freundeskreis aufzubauen.

Die „Gewissensfrage", Kind und/oder Beruf ist somit für viele

Frauen nach wie vor ungelöst. Für 40 Prozent ist jedenfalls ein (weiteres) Kind nicht mit der Berufstätigkeit vereinbar. Das geht aus einer Studie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (1995) hervor: Wofür die Frauen sich entscheiden würden, wenn sie Wahlfreiheit hätten, wurde ebenfalls erhoben. Als „Ideallösung" neben den Kindern wünschen sich:

■ nur fünf Prozent der Mütter eine Vollzeitbeschäftigung,

■ 35 Prozent eine Teilzeitbeschäftigung.

■39 Prozent möchten bei den Kindern bleiben, solange sie klein sind,

■ zehn Prozent wollen gar keinen Job, wenn Kinder da sind.

„Das beweist, daß Eltern ihre Kinder nicht so früh in außerfamiliäre Betreuung geben wollen. Das Bild, das in der Öffentlichkeit gezeichnet wird, entspricht oft nicht den Wünschen und Vorstellungen der Frauen ", meint der Leiter des Österreichischen Institutes für Familienforschung Helmuth Schattovits (siehe Interview).

Ein Viertel der Mütter findet nach Ablauf der Karenzzeit allerdings keine entsprechende Unterbringungsmöglichkeiten, und ebenso viele haben keine Unterstützung im Haushalt und bei der Kinderbetreuung. Nicht einmal drei Prozent der Kinder unter drei Jahren werden derzeit außerfamiliär betreut. Das Angebot ist gering. So gibt es in ganz Österreich etwa 355 Kinderkrippen, drei Viertel davon in Wien. Wenn Eltern bei der Betreuung ihrer Sprößlinge Hilfe suchen, springt, laut obiger Studie, dann in den meisten Fällen die Oma ein.

Die Autorin ist

freie Journalistin.

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