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Ein Kaffeekränzchen, das keines war…

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An einem großen ovalen Tisch in einem gemütlichen Zimmer sitzen zwölf Frauen. Auf dem Tisch steht Kaffee und Kuchen. Eines der typischen Kaffeekränzchen mit dem üblichen belanglosen Frauentratsch?

In der Wohnung der drei Patres in der Seelsorgestation Zieglhof im 22. Wiener Gemeindebezirk findet ein Mütterseminar über Familienpolitik statt. Die Kinder der Mütter werden einstweilen von anderen Frauen der Ziegelhofsiedlung betreut.

Die Referentin, Traudl Langfelder, hat selbst drei Kinder großgezogen. Nach der Geburt des ersten Kindes hat sie ihren ursprünglichen Beruf als akademische Übersetzerin aufgegeben, ist später Buchdruckerin geworden und arbeitet heute gemeinsam mit ihrem Mann. Nebenbei ist sie eine der drei Vorsitzenden des Katholischen Familienverbandes und Gemeinderätin in Bisamberg.

Eine Frau also, die weiß, was es bedeutet, Mutter zu sein und diese wichtige Aufgabe mit Beruf und geistiger und sozialer Aktivität zu verbinden.

Jede der anwesenden Mütter hat ein Kind oder mehrere kleine Kinder, war früher berufstätig - als Verkäuferin, Drogistin, Telephonistin, Kindergärtnerin, Finanzassistentin, Schneiderin, Friseurin, Börsesekretärin und als Büroangestellte. Mit Ausnahme von zweien wollen sie später, wenn die Kinder in den Kindergarten oder in die Schule gehen, wieder arbeiten gehen. Nicht nur aus finanziellen Gründen, sondern aus dem Bedürfnis nach Selbständigkeit, dem Wunsch nach täglichen Kontakten mit anderen Menschen oder einfach aus Freude am Beruf.

Finanziell gibt es - abgesehen von der Frage nach der eigenen Pension - bei ihnen keine besonderen Probleme,

einschränken müssen sie sich alle. Sie wissen aber, daß ihre Kinder die Mutter in den ersten Lebensjahren brauchen und daß es viele Frauen gibt, die wegen ihrer wirtschaftlichen Situation nicht die Möglichkeit haben, bei ihren Kindern zu bleiben. Sie wollen sich und ihrer Umwelt beweisen, daß Mutter-Sein nicht Isolierung, nicht soziale Teilnahmslosigkeit und auch nicht geistige Passivität bedeuten muß.

Familienpolitik beginnt bei ihren täglichen Problemen und Interessen, und die Mütter wehren sich gegen die weitverbreitete Ansicht, daß Nur-Mut- ter-Sein weniger wert sein soll als jeder andere Beruf, vielleicht sogar weniger als der einer Fließbandarbeiterin.

Frau Langfelder erklärt, die wirtschaftliche und soziale Entwicklung, die die Familie im Lauf der Jahrhunderte genommen hat. Nicht die Familie ist schuld, daß sie den veränderten Umständen nicht mehr entspricht, sondern es muß alles getan werden, damit die Familie in einer veränderten Gesellschaft ihre Funktion wieder erfüllen kann. Der Zerfall der Großfamilie, die Berufstätigkeit der Frau, die geänderte Rollenverteilung zwischen Mann und Frau machen es erforderlich, der Familie eine neue Form, vor allem aber neue Inhalte zu geben. Die Großstadtsituation, die zunehmende Vereinsamung, der moderne Schulbe- trieb und die Flut von täglichen Informationen verlangen der Familie heute weit mehr an Einsatz und an geistiger und sozialer Mobilität ab, als früher.

Frau Langfelder will den jungen Müttern beweisen, welch wichtige Aufgabe sie im Rahmen der modernen Gesellschaft haben und daß sie selbst mithelfen müssen, das Bewußtsein ih-

rer Umwelt in diese Richtung zu verändern.

Dieses Seminar über Familienpolitik ist nur eines von vielen dieser Art, die jede Woche von Dienstag bis Donnerstag zwischen neun und elf Uhr vor allem in den Pfarrzentren der Randbezirke stattfinden. Frau Dkfm. Grit Ebner, die diese Mütterseminare vor etwa vier Jahren ins Leben gerufen hat, vermeidet bewußt „Haushaltsthemen“. Sie will die Mütter aus ihrer Isolation und geistigen Passivität herausreißen, und der Erfolg gibt ihr recht. Die Frauen werden immer kritischer und wählerischer in der Themenauswahl, besonders gefragt sind Wirtschaftsthemen, Persönlichkeitsbildung und Fragen zur Familie und Erziehung. Bei allen Seminaren werden die Kinder betreut, dabei sollen die Frauen in erster Linie Eigeninitiative entwickeln. Die rund 20 Kurse, die derzeit laufen, konzentrieren sich vor allem auf die Randgebiete. Dort ist der Bedarf an Kommunikation, der Mangel an Bildungsmöglichkeiten, aber auch die Zahl der Kinder am größten. Der Ausbau der Mütterseminare ist nicht nur eine Frage der Räumlichkeiten, sondern auch der qualifizierten Referenten. Die durchschnittliche Teilnehmerzahl an den Kursen liegt bei fünfzehn, die Obergrenze bei zwanzig. Jeweils am Ende jedes Semesters finden Besprechungen statt, wo die Mütter ihre Wünsche und ihre Kritik Vorbringen können.

Die Idee Grit Ebners wurde vor etwa zwei Jahren auch von den sozialistischen Frauen übernommen. Mit dem Schwergewicht auf Einzelveranstaltungen werden in einigen Volkshochschulen gleichfalls in der Zeit zwischen neun und elf Uhr Mütterseminare mit Kinderbetreuung abgehalten.

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