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Die Frau entscheide

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Die folgenden Gedanken vertrat die Autorin auch auf der Jahreshauptversammlung des Katholischen Familienverbandes der Erzdiözese Wien am vergangenen Wochenende, bei der Vorsitzender Leopold Kendöl über das Thema „Aufbau einer Interessensvertretung der Familien“ referierte. Einstimmig wurden Resolutionen zur Hauptschulreform, gegen die Benachteiligung von Mehrkinderfamilien und gegen die gesetzliche Scheidungsautomatik verabschiedet.

Es gibt Menschen, gläubige Menschen, die meinen, der Mann solle Christus nachfolgen und die Frau solle die Nachfolge Marias antreten, wobei das Leitbild Maria häufig einer frommen bürgerlichen Frau zu Ende des 19. Jahrhunderts entspricht.

Eine derartige Ansicht stellt ein großes Mißverständnis dar, denn wir alle sind zur Nachfolge Christi aufgerufen „In Christus gibt es weder Mann noch Frau.“ Christus selbst hat die Würde der Frau als Person hervorgehoben, hat ihr Menschsein -unabhängig von ihrer reproduktiven Funktion - deutlich gemacht.

Es entspricht dem christlichen Ideal, daß jeder einzelne zur Fülle des Menschseins gelange, daß er die ihm gegebenen Talente zur Entfaltung

und Blüte bringt. Dabei kann kein Einzeltalent wegen einer geschlechtlichen Rolle unterdrückt werden.

Wir pendeln derzeit zwischen zwei Polen. Der eine liegt bei der Auffassung, daß eine Frau vorrangig als Mutter und Gattin tätig zu sein hat und diese Tätigkeiten lebenserfül-

lend seien, der andere Pol bei der Überzeugung, daß nur über wirtschaftliche Unabhängigkeit und im außerhäuslichen Erwerb die Möglichkeit der Selbstbestimmung zu finden sei.

Als besonders wichtig erscheint mir in diesem Zusammenhang, einmal ganz deutlich auszusprechen, daß durch den Wandel in unserem Jahrhundert __- die Gesellschaft allgemein und die Frauen im besonderen sich in einer neuen Situation sehen, die sie noch nicht bewältigt haben.

Vor allem für die Frau in den Ballungszentren ergeben sich Fragen und Probleme. Sind sie in der Familie und im Erwerb tätig, dann leiden sie häufig unter einer Doppelbelastung. Stehen sie nicht im Erwerbsleben, dann droht ihnen geringe gesellschaftliche Anerkennnung, Ungewißheit bezüglich ihrer Altersversorgung, ein Mangel an Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten, geringe Chancen zum Wiedereintritt in das Erwerbsleben.

Zweifellos ist es Aufgabe einer verantwortungsvollen Familienpolitik die finanziellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß es den Eltern möglich ist, die Kinder so zu betreuen, daß nicht beide Elternteile erwerbstätig sein müssen. Die Arten der Förderung wären wieder einmal neu zu überdenken, wenn wir alle einer Meinung sind, daß eine echte Wahlmöglichkeit und nicht finanzieller Zwang zum Doppelverdienertum bestehen soll.

Auf der Suche nach Selbstbestimmung können jene Jahre, die eine Frau daheim verbringt, ein ungeheurer Gewinn sein. Nicht nur für ihre Kinder - das sind sie fast immer und diese Tatsache ist auch weitgehend bekannt - sondern auch für sie, auch für ihren Mann. Sie werden dann ein Gewinn sein, wenn die Frau sie nützt, als eine Zeit der Besinnung, der Weiterbildung, der Möglichkeit der Hinwendung zu anderen Menschen.

Neue Dimensionen tun sich auf und gerade jene Menschen, die in der Erziehungsarbeit stehen, sollten auch an die Zukunft der Menschen denken und die Kinder darauf vorbereiten, daß die Zeit der industriellen

Entwicklung zur Neige geht. Wir stehen an der Schwelle zum Zeitalter der nachindustriellen Entwicklung, in dem der Wert des Menschen nicht mehr vorrangig an seinem Arbeitseinkommen zu messen sein wird, sondern in dem die Sinnfragen des Lebens, Kreativität, Dienst am Mitmenschen einen höheren Stellenwert haben werden als derzeit.

Es wäre eine Aufgabe der christlichen Familien, der Frauen insbesondere, an der Mitgestaltung dieser Zeit mitzuwirken. Aber auch die Gegenwart verlangt ihre Rechte und es werden andere Formen der Anerkennung gefunden werden müssen, will die Gesellschaft die Frau auch in ihren Famüienaufgaben fördern.

Selbstbestimmung ist ein Weg, ein Versuch, sein Leben zu gestalten, der zur dauernden Auseinandersetzung mit der Umwelt führt. Selbstbestimmung heißt nicht, rücksichtslos das zu machen, wozu man Lust verspürt, sondern in ehrlichem Bemühen und aus eigener Gewissensentscheidung seinen Veranlagungen gerecht zu werden, egal ob man alleinstehend oder verheiratet, verwitwet oder geschieden ist.

Selbstbestimmung ist nicht Utopie, sondern Auftrag in der Gegenwart, ein Auftrag, der in der Nachfolge Christi uns allen gegeben ist.

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