Den ganzen Menschen im Blick

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Rasch sinkt die Zahl der geistlichen Schwestern in den Ordensspitälern. So stellt sich die Frage: Was haben diese Häuser heute noch Besonderes zu bieten?

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Rasch sinkt die Zahl der geistlichen Schwestern in den Ordensspitälern. So stellt sich die Frage: Was haben diese Häuser heute noch Besonderes zu bieten?

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dieFurche: Wie kommt man als Patient in ein Ordenskrankenhaus?

Paul Aiginger: Zu uns ins St. Josef-krankenhaus kommen die meisten Patienten durch Zuweisung ihres Arztes. Wir haben hier im 13. Bezirk eine sehr gute Kooperation mit den niedergelassenen Ärzten. Das ist ein Unterschied zu den Großkrankenhäusern. Auf diese Weise ist die Zuweisung und auch die Entlassung persönlicher.

dieFurche: Haben Ordenskrankhäuser eine gleich große Angebotspalette wie die öffentlichen Spitäler?

Aiginger: In Wien sind sechs der acht Ordensspitäler sogenannte Standard-Krankenhäuser mit einer chirurgischen, einer internen und zwei von ihnen mit einer gynäkologisch-geburtshilflichen Abteilung. Die Barmherzigen Brüder in Wien sind ein Schwerpunkt-Krankenhaus. Sie haben zusätzlich eine HNO-, eine Augen- und eine Urologie-Abteilung. Das Krankenhaus in Wels wiederum ist ein großes, bekanntes Herz-Zentrum.

dieFurche: Geht man ins Josefskrankenhaus, weil man von einem bestimmten Arzt behandelt werden will?

Aiginger: Das ist nicht so typisch wie in den auf Privatpatienten ausgerichten Privatkrankenhäusern. Dorthin geht man mit einem Belegarzt. Hier geht man eher in das Krankenhaus, das man als intim kennt - wo man allerdings auch weiß, daß gute Individualisten arbeiten.

dieFurche: Was ist dann die Besonderheit der Ordensspitäler?

Aiginger: Daß noch mehr als in anderen Spitälern der Patient im Mittelpunkt der Behandlung steht, seine Gesamtsituation betrachtet wird. Das Ganzheitliche ist heute sehr modern. Es hätte nicht wiedererfunden werden müssen, wenn es mehr Krankenhäuser unseres Typs gegeben hätte. Wir haben den Patienten eigentlich seit jeher als Ganzes betrachtet. Bei der Erhebung der Krankengeschichte fragen wir immer: Wie lebt der Patient zu Hause? Mit wem? In welches soziale Feld kehrt er zurück? Wir behandeln also nicht das Symptom, sondern den Patienten. Zeigt ein Röntgenbefund noch so viele degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, hat der Patient aber keine Schmerzen, so behandeln wird diese degenerativen Erscheinungen nicht. Das ist nicht selbstverständlich in der heutigen Apparatemedizin mit den computerisierten Krankengeschichten und dem Wechsel bei den behandelnden Ärzten.

dieFurche: In Ordensspitälern wird die Beziehung von Arzt zu Patient besonders betont: Gibt es etwa mehr Personal pro Patient?

Aiginger: Wir versuchen in unseren Krankenhäusern beispielsweise zu erreichen, daß die Visite jeden Tag vom selben Facharzt gemacht wird. In den Großspitälern geht das angeblich zum Teil deswegen nicht, weil man das mit der Arbeitszeit der Ärzte nicht in Einklang bringen kann. Ich glaube, daß es ganz wichtig ist, daß der Patient - vor allem der alte - jeden Tag denselben visitierenden Arzt sieht. Dieser kennt die Beschwerden des Patienten schon vom Vortag. Kommt jeden Tag ein anderer Arzt, so besteht die Gefahr, daß keine Kontinuität gegeben ist. Denn man kann nicht alles aufschreiben - auch wenn man dies im heutigen System durch unendlich viele Berichte versucht. Eine ganz wesentliche Frage für das Spital der Zukunft ist es, wieder zu erreichen, daß die Visiten vom selben Arzt durchgeführt werden. Dadurch bleibt die Beziehung des Patienten zum Arzt aufrecht. Man kann das nicht systematisieren, nicht durch die Behandlung durch eine Ärztekollektiv ersetzen. Es geht da um eine zwischenmenschliche Beziehung.

dieFurche: Ist das ein spezielles Anliegen aller Ordensspitäler?

Aiginger: Alle bemühen sich darum. Ich glaube auch, daß die Hinweise auf das Arbeitszeitgesetz nicht stichhaltig sind. Mehr Personal haben wir nicht. Im Gegenteil, sogar weniger. Aufgrund der intensiveren Beziehung zwischen Arzt und Patienten und der größeren Begeisterung der Ärzte in unseren Krankenhäusern kommen wir mit weniger Personal aus. Die Identifikation ist in unseren Häusern besser - das kann man ohne weiteres sagen.

dieFurche: Wodurch?

Aiginger: Möglicherweise auch weil wir kleiner sind. Andererseits - und darin liegt sicher ein Geheimnis der Ordensspitäler - haben die Ordensschwestern und Fratres immer noch eine sehr entschiedene Stellung in den Häusern. Ein konkretes Beispiel: Geistliche Schwestern haben keine Arbeitszeitbegrenzung, sie haben eben keine Familie, sondern ihren Beruf und eine Berufung. Dadurch haben die geistlichen Schwestern einen viel besseren Durchblick durch das ganze Spital und halten auch das Ideal des Dienstes am Patienten als ihre innerste Aufgabe aufrecht.

dieFurche: Was hat das für Auswirkungen?

Aiginger: Bei uns gibt es beispielsweise einen Pastoralrat, der sich um eine Mischung aus religiöser und psychologischer Begleitung des Patienten bemüht. Die Patienten - gleichgültig welchen Bekenntnisses - können zu ihm mit ihren Sorgen und Fragen kommen. Sollte es Klagen geben, wird das sofort weitergeleitet und so rasch und einvernehmlich wie möglich gelöst. Unsere Krankenhäuser haben wegen ihrer geringeren Größe flachere Hierarchien. Der Leiter ist dem Patientenbetrieb noch sehr nahe. Diese flache Hierarchie soll auch erhalten bleiben. Daher haben wir als Ordenskrankenhäuser auch keinen zentralen Verband.

dieFurche: Ist das nicht ein Nachteil?

Aiginger: Wenn wir ein Gerät brauchen, dann gehen wir zu unserer Verwaltungsdirektorin und haben derzeit noch keine Budgetpläne gegen uns. Ist eine Anschaffung in den großen Institutionen im Budget nicht vorgesehen, so muß sie ins nächste kommen. Und ob das gelingt, weiß man nicht. Wir hingegen können innerhalb eines Jahresbudgets noch umplanen.

dieFurche: Die Orden haben bekanntlich Nachwuchsprobleme. Wie wirkt sich das auf die Krankenhäuser aus?

Aiginger: Diese Probleme sind spürbar. Die Orden sind aber bestrebt, durch Mitwirkung der Laien die Organisation der Häuser von den vorhandenen Ordensmitgliedern unabhängig zu machen und den Geist dieser Spitäler zu erhalten. Da gibt es in Österreich durchaus Modelle, die funktionieren.

dieFurche: Aber wirft das letztlich nicht die Frage auf, wozu man dann noch Ordenskrankenhäuser braucht?

Aiginger: Es ist eben für Christen ganz angenehm, in ein Krankenhaus zu gehen, in dem sie eine Kapelle und einen Seelsorger haben. In öffentlichen Krankenhäusern sind die Kirchen manchmal klein und weit von den Bettenstationen entfernt.

dieFurche: Wird dieses Angebot in Anspruch genommen?

Aiginger: Ja. Außerdem ist es politisch wünschenswert, daß es in einer pluralistischen Gesellschaft eine Vielfalt von Krankenhausträgern gibt. Auch wenn nur mehr 16 Prozent der Menschen sonntags in die Kirche gehen, so wollen doch viele von diesen, wenn sie krank sind oder sterben, in einem Krankenhaus leben, wo es Seelsorge und eine leicht erreichbare Kapelle gibt.

dieFurche: Gibt es eine größere Zahl von Patienten, die deswegen hierher kommen?

Aiginger: Ja. Das weiß ich. Auch der Umstand, daß wir die Krankheit nicht nur materiell sehen, spielt eine Rolle. So ist bei uns schon lange die Sterbebegleitung ein Thema. Seit Jahren bemühen wir uns darum, keinen Patienten allein und im Vielbettzimmer sterben zu lassen. Egal welche Versicherung er hat. Wir bemühen uns, sterbende Patienten in Einzelzimmer zu legen, wo die Verwandten die Möglichkeit haben rund um die Uhr anwesend zu sein. Das gelingt fast immer. Wir bemühen uns in dieser Situation auch um die Angehörigen. Gehen ihnen wirklich zur Hand. Sie sind ja in der Regel nicht geübte Begleiter. Wenn solche Verwandten fehlen, so gibt es bei uns eine geistliche Schwester, die anwesend ist. Sie tut das bis an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit und leistet Sensationelles. So versuchen wir dem Ideal, niemanden in der Sterbestunde alleine zu lassen, näher zu kommen. Und das machen wir schon seit Jahren, während die Angst des Patienten, in der Sterbestunde alleingelassen zu sein, in der Spitalspraxis die längste Zeit total außer acht gelassen wurde. Erst jetzt entdeckt man dieses Problem langsam wieder.

dieFurche: Merkt der Arzt, daß dieser umfassende Zugang zum Patienten dessen Genesung zuträglich ist?

Aiginger: Absolut. Der Patient hat keine Angst mehr. Wir versuchen von Anfang an, im Gespräch herauszufinden, wovor er Angst hat. Viele sagen, daß das ruhige Ambiente hier auf den Stationen wohltuend ist. Wir legen wert darauf, nicht hektisch zu arbeiten, Türen leise zu schließen ... Noch eines kommt dazu: Weil uns Geld nicht in Hülle und Fülle zur Verfügung steht, müssen wir uns sehr genau überlegen, welche Untersuchungen wir dem Patienten zumuten müssen. In der modernen Medizin ist es leider oft so, daß man aus Sicherheitsgründen etwa zehn Untersuchungen durchführt, von denen sich am Ende herausstellt, daß sieben umsonst waren. Hätte man besser auf den Patienten gehört, hätte man dasselbe Ergebnis mit drei Untersuchungen geschafft. Wir lehren unsere Turnusärzte sehr genau, daß die Krankengeschichte und die Patientenuntersuchung das wichtigste ist. Erst danach sind weitere Untersuchungen sparsam in Auftrag zu geben. Viele dieser Untersuchungen sind ja für den Patienten nicht angenehm. Dem Patienten in den Magen, in den Darm Rohre zu stecken, nur weil ich mir nicht genau überlegt habe, was er hat, ist eigentlich auch eine Zumutung für den Patienten. Und außerdem ist unsere Vorgangsweise auch noch sparsam.

dieFurche: Gibt es von seiten der Kirche eine materielle Unterstützung der Spitäler?

Aiginger: Nein. Sie hat dafür eigentlich kein Geld, unterstützt uns aber ideell.

dieFurche: Nehmen Sie besonders Bedürftige auf?

Aiginger: Es ist heute nicht wirklich mehr eine Facette unseres Tuns. Aufgrund der ökonomischen Bedingungen können wir uns kaum Spendierhosen leisten. Wenn die "Aktion Leben" oder ähnliche Einrichtungen mit Geburten von Frauen, die überhaupt keine Geld haben, kommen, gibt es eine zahlenmäßig eingeschränkte Bereitschaft zu helfen. Aber viel können wir uns nicht leisten. Die Kirche macht uns übrigens manchmal einen Vorwurf daraus, daß wir nicht mehr für sozial Bedürftige zur Verfügung stehen. Unsere Antwort: Wären die ökonomischen Bedingungen günstiger, wir täten es gerne. 85 Prozent unserer Patientinnen sind solzialversichert, nur 15 Prozent haben eine private Krankenversicherung. Da in Österreich keine kostendeckenden Tarife gezahlt werden, müssen die Orden trachten, die Defizite so klein wie möglich zu halten.

Das Gespräch führte Christof Gaspari. Univ. Prof. Paul Aiginger ist Primar am St. Josefskrankenhaus in Wien und Vorsitzender des Arbeitsausschusses Öffentlichkeitsarbeit der Kranken- und Pflegeanstalten der Erzdiözese Wien .

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