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„Meist bin ich total geschafft"

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Wie Krankenschwestern verheizt werden: Zu wenige Posten und zwölfstündiger Dienst

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Wie Krankenschwestern verheizt werden: Zu wenige Posten und zwölfstündiger Dienst

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mittag: Essen austeilen, beim Essen helfen und abräumen. Dann vor allem den bettlägerigen Patienten • wieder das Bett machen. Manche sind ganz frisch zu betten. Nach der Besuchszeit wieder Betten machen. Dann kommt das Abendessen...

„ Man ist zwölf Stunden durchgehend beschäftigt." Zeit zum Verschnaufen? An manchen Tagen hat sie schon am Vormittag ein bißchen Zeit und dann während der Besuchszeit. Manchmal aber, „da rennen wir ununterbrochen. Wenn wir nur zu zweit sind, dann ist das wirklich ein Horror. Es gibt nämlich Tätigkeiten, die kann man nicht alleine machen. Dann aber läutet zwischendurch immer wieder die Glocke oder es gibt einen Akutfall, der unmittelbarer Hilfe bedarf. Dazu kommen noch die Aufnahmen neuer Patienten. Da müssen die Schwestern das Bett zuweisen, beim Ausziehen helfen, den Koffer ausräumen, den Patienten einweisen, Fieber und Puls messen. Sehr oft sind auch die neuen Patienten zu waschen. Und was noch viel Zeit kostet: Wir müssen immer wieder ins Labor gehen. Überhaupt müssen wir sämtliche Wege machen." Und außerdem: Die Angehörigen wollen natürlich auch detaillierte Auskunft, sind besorgt, wollen beruhigt werden.

Zwölf Stunden Dienst ist einfach

zu viel. „Die letzten Stunden mache ich nur mehr das Allernotwen-digste. Ich bin einfach fertig. Zwölf Stunden kann niemand voll durcharbeiten, womöglich noch gut gelaunt und immer verfügbar sein." Aber die meisten Schwestern wollen diese Diensteinteilung wegen der vielen Freizeit nicht ändern.

Zu kurz dabei kommt der Patient, vor allem das persönliche Gespräch mit ihm. „Es gibt Tage, da habe ich mit keinem Patienten etwas Persönliches gesprochen. Man schaut nur mehr darauf, daß man schnell fertig wird. Dann wird alles zur totalen Routine. Und dabei würden manche Patienten es so dringend brauchen, etwa wenn wir einen Krebspatienten haben."

Gibt es weniger Patienten und sind diese besser beisammen, ist alles leichter: „Kürzlich mußten wir nur zwei waschen. Endlich hatten wir einmal Zeit, langsam und ordentlich die Therapien zu machen. Da haben wir alle gespürt: Weil wir selbst weniger ausgelaugt waren, konnten wir auch mit viel mehr Aufmerksamkeit, ja Liebe, auf die Patienten zugehen."

Die Nachtdienste werden von nur einer Schwester bestritten. EineDi-plomschwester für rund 40 Patienten! „Ehrlich gesagt, ab zwei Uhr bin ich todmüde. Ich bin dann einfach physisch geschafft und daher

oft auch grantig. Nach jedem Nachtdienst schwöre ich mir: nie wieder. Kaum wollen zwei Patienten etwas, muß immer einer warten. Und wenn ich einen Weg habe, etwa ins Labor oder in die Intensivstation, dann muß die Nachbars hwester auf zwei Stationen aufpassen, auf 80 Patienten!" Kaum eine Schwestern kommt ausgeschlafen zum Nachtdienst. „Die wenigsten schaffen es, vorher zu schlafen."

Erfolgserlebnisse gibt es eigentlich recht wenig. Lob bekommt man selten. „Wir haben aber einen Assistenzarzt, der sich immer wieder bedankt oder ein Lob spendet. Das freut mich dann schon." Und dann gibt es die vielen Reibereien zwischen den Schwestern.

Wirklich ärgerlich findet sie manche Besucher: „Sie sehen einen Mangel und fallen über uns her: Wenn ich mich nach zehn Stunden Arbeit endlich einmal hinsetze und verschnaufe, macht sicher jemand über unsere Faulheit Bemerkungen. Oder: Manche Patienten machen immer wieder ihr Bett schmutzig: Harn, Kot, Blut, Erbrochenes. Man kommt einfach nicht nach. Dann hat man das Bett womöglich vor fünf Minuten gemacht, es kommt ein Besucher und es schaut schon wieder furchtbar aus. Sofort ist die Kritik da. Unerträglich!"

Und dabei macht sie ihren Beruf gern. „Ich könnte mir keinen anderen vorstellen. Dennoch komme ich manchmal nach zwölf Stunden heim und werfe mich aufs Bett und heule. Ich bin einfach fertig."

Haben die Vorfälle in Lainz irgendetwas an der Organisation im Spital verbessert? „Nein." Vor allem machen die Schwestern, aber auch die Ärzte viel an sich Verbotenes. Eigentlich dürften die Hilfsschwestern nur gesunden Eatien-w ten das Essen oder Einlaufe geben, Diplomschwestern wiederum dürften nicht spritzen, nicht an Infusionen anhängen. „Im Hauptdienst ist das aber meine Arbeit. Eigentlich aber müßten das die Turnusärzte machen. Diese aber dürften wiederum nicht Krankengeschichten verfassen. Das dürfte nur der Assistenzarzt. Da wir aber auf der Internen nur zwei Ärzte mit einer Facharztausbildung haben, geht das nicht. Würden wir Dienst nach Vorschrift machen, würde alles liegen bleiben."

Schwer ist der Kampf gegen die Abstumpfung: Das viele Sterben. „Da kommt unwillkürlich der Gedanke: Wieder alles umsonst. Und oft denkt man sich das auch schon im voraus, wenn wieder ein Patient nur zum Sterben eingeliefert wird. Man stumpft ab. So muß ich mich immer wieder erinnern, daß ich eigentlich anders handeln sollte, besonders im Nachtdienst, daß es gut und wichtig ist, sich für die Patienten Zeit zu nehmen."

Eine Betreuung und Begleitung der Schwestern gibt es aber nicht. Und daher sei dieses furchtbare Geschehen in Lainz auch wieder nicht ganz so verwunderlich: „Das, was in Lainz geschehen ist, passiert, wenn man Schwestern total alleinläßt. Zwar würde keine von uns so etwas machen. Aber ehrlich gesagt: Ähnliche Gedanken haben wohl die meisten von uns schon gehabt. Es kann ein Patient dich furchtbar ärgern und aufregen. Man muß sich nur vorstellen: In der Nacht ist wahnsinnig viel zu tun, du bist selbst hundemüde und einer ist ununterbrochen lästig, fängt zu randalieren an, schreit laut und ununterbrochen, läßt dadurch die anderen nicht schlafen. Dann bricht das Chaos aus und man denkt unwillkürlich: Ich würde ihn am liebsten umbringen. Natürlich tut man es nicht. Ist aber jemand total frustriert, abgestumpft und hat keine Hilfe, naja dann... Ich frage mich oft, Woher viele, die keinen Glauben haben, die Kraft zu ihrem Dienst nehmen. Ich komme ohne Gebet einfach nicht aus."

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