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Ohne Tugend gibt es keine wahre Ökonomie

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Es ist eine nicht wegzuleugnende Tatsache, daß Ordensspitäler bei gleicher medizinischer Leistung um ein Vielfaches kostengünstiger arbeiten als vergleichbare staatliche Einrichtungen.

Meine These dazu lautet, daß diese kostengünstige Kalkulation nicht zuletzt auf die Pflege der traditionellen christlichen lugenden zurückzuführen ist, wie sie in den Ordensspitälern seit Jahrhunderten praktiziert wird. Mit einem Wort: Tugend führt zu Ökonomie.

In einer atheistischen Gesellschaft, in der sich der Mensch selbst als Herr und Eigentümer dieser Schöpfung und nicht als deren Sachwalter versteht, wird sich schwer effiziente Wirtschaftlichkeit etablieren können. Denn eine solche Wirtschaftlichkeit beruht auf rein ökonomischen Sachzwängen und kann daher letztlich nur eine Resultierende aus Interessenkonflikten und Machtverhältnissen sein, niemals aber das Ergebnis echter Gerechtigkeit und Verantwortung. Christliche Wirtschaftlichkeit entspringt hingegen der Überzeugung, daß der Umgang mit der Schöpfung zunächst gegenüber dem Schöpfer verantwortet werden muß; und das heißt: nicht Überfluß oder Knappheit der Ressourcen sind die vorrangigen Kriterien von Sparsamkeit beziehungsweise Verschwendung, sondern die von Gott vorgegebene Schöpfungsordnung. In diesem Sinne wird ein Ordensspital immer einen uneinholba-ren „Heimvorteil" haben. Tugenden können nämlich nicht durch Management verordnet, sondern nur gepflegt und gelebt werden.

Wirtschaftlichkeit beinhaltet zunächst die Tugend des Maßhaltens: und das - rechte Maß zu halten ist gerade in der heutigen Medizin das Gebot der Stunde. Maßhalten bedeutet zum Beispiel eine Absage an ungezügelte Habsucht und Geräteprotzerei, die viele Spitäler heute in den Ruin geführt haben. Das Prinzip der Ordensspitäler war hier immer: Nicht jedes Krankenhaus braucht alle teuren Geräte selbst, sondern jeder Patient muß Zugang zu all jenen Geräten haben, die er braucht. Gemäßigt gehört auch die heute so moderne diagnostische Wut. Eine

Überdiagnostik aus Neugier, Eitelkeit, Bequemlichkeit oder zur Geräteauslastung ist eine typische Fehlhaltung unserer Zeit. Im Wettlauf um möglichst kurze Aufenthaltszeiten werden heute an einem Patienten gleichzeitig alle verfügbaren Untersuchungen auf einmal durchgeführt, ohne gezielte Indikationen und ohne das Ergebnis der Untersuchung abzuwarten, bevor die nächste angeordnet wird.

Wichtige Tugenden zur Kosteneinsparung sind wohl auch die Tugenden der Klugheit und Wahrhaftigkeit. Das heißt: das Machbare muß an der Sinnhaftigkeit ärztlicher Handlungen und an der Effektivität von Therapiekonzepten ausgerichtet werden. Dazu ist es notwendig, unser praktisches Handeln an der wirklichen Not und den Bedürfnissen der Patienten und nicht an den zur Verfügung stehenden Einrichtungen zu orientieren. Hier bedarf es einer Kultur des Herzens und der Liebe, wie sie seit Jahrhunderten in Ordensspitälern gepflegt wurde.

Es gibt auch den Respekt vor dem natürlichen Geheimnis von Krankheit und Tod. Angesichts des unmittelbar bevorstehenden Todes bei einem Patienten macht sich heute oft Panik und sinnloser Aktivismus breit, der höchstens vielleicht zur Selbstbestätigung der Ärzte oder zur eigenen Reruhigung dient. Dabei werden sozusagen noch in letzter Minute sinnlos ungeheure Kosten verursacht, während dem Patienten in dieser Hektik ein Sterben in Würde versagt bleibt. Hier fehlt die Gelassenheit der Gotteskindschaft.

Die Ausdünnung des Hippokrati-schen Eides und der christlichen Tugenden überhaupt hat weiters dazu geführt, daß die Krankenhäuser vielfach einer Art Dienstleistungsbetrieb gleichen, in dem der Kranke mehr als Geschäftspartner erscheint und weniger als Patient im eigentlichen Sinne. Eine Medizin aber, die auf eine krampfhafte Selbstsicherung und eine absolute Verrechtlichung der Arzt-Patient-Beziehung hinsteuert, wird unfinan-zierbar.

Wenn man sich wundert, daß die Ordensspitäler vergleichsweise mit wenig Personal und Material auskommen, die Patienten aber dennoch optimal versorgt und oft zufriedener sind als in öffentlichen Spitälern, so ist dies wohl in erster Linie darauf zurückzuführen, daß hier Werte hochgehalten werden, die heutzutage keine Selbstverständlichkeit mehr sind: Fleiß, Ausnützung der Zeit, Verläßlichkeit, Sorgfalt im Umgang mit den Geräten, Sauberkeit, Ehrlichkeit, Loyalität, Ordnungsliebe, Herzlichkeit, christliche Nächstenliebe: all das sind Tugenden, die sich auf lange Sicht enorm kostensparend auswirken, wenn sie gelebt werden.

Wenn hingegen die Beziehungen zwischen dem Arbeitgeber, den Angestellten und den Patienten in erster Linie unter dem Gesichtspunkt von Vorschrift und Becht gesehen werden, wenn Arbeit nur mehr als Einkommensquelle und als notwendiges Übel angesehen wird, um die Freizeit des Lebens genießen zu können, dann möchte man sie natürlich möglichst bequem und ohne viel Anstrengung über die Runden bringen.

Wenn man sich die Perspektive des LKF-Systems (Leistungsbezoge-ne Krankenhaus-Finanzierung) vor Augen führt, so scheint mir, bekommen alle diese ethischen Aspekte eine unerwartet neue Aktualität, und zwar in doppelter Hinsicht: Erstens geht eine Punktwertverteilung, die eine straffe und effiziente Personalführung bestraft, in die völlig falsche Richtung! Abgesehen davon ist aber zweitens vor allem die Gefahr und die Möglichkeit zum Mißbrauch dieses Systems unübersehbar; nämlich, daß der Patient in erster Linie nach dem Kriterium der Punktemaximierung behandelt wird und nicht ausschließlich nach seinen wahren Bedürfnissen. Dann aber bleibt nicht nur der Patient, sondern auch die Ökonomie auf der Strecke. In diesem Sinne scheint mir, hat vor allem dasjenige Krankenhaus - auch aus ökonomischer Sicht - Zukunft, in dem man sich um die Verwirklichung all dieser christlichen Tugenden ernstlich bemüht, und in diesem Sinne haben gerade heute die Ordensspitäler eine zukunftsweisende Bedeutung, weil hier ihre ureigene Identität angesprochen ist.

Der Autor ist ärztlicher Leiter des Wiener St. Elisabeth-Spitals.

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