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Kein Ende des Guten
„Strukturwandel im Krankenhaus“ war das Generalthema des 9. Österreichischen Krankenhaustages, der vorige Woche unter Leitung von Primarius Alfred Karner (Zwettl) in Wien stattfand. Hier stark gekürzte Auszüge aus zwei von vielen Referaten.
„Strukturwandel im Krankenhaus“ war das Generalthema des 9. Österreichischen Krankenhaustages, der vorige Woche unter Leitung von Primarius Alfred Karner (Zwettl) in Wien stattfand. Hier stark gekürzte Auszüge aus zwei von vielen Referaten.
Unsere steigenden Ausgaben für das Gesundheitswesen und insbesondere für das Krankenhaus sind vor allem in erster Linie Reflex einer geradezu dramatisch gestiegenen Leistungsfähigkeit.
Durch fast jede neue medizinische Wundertat werden Kosten begründet, die vorher einfach deswegen nicht entstehen konnten, weil die Patienten mehr oder weniger unbehandelt gestorben sind.
Sicher kann man das eine oder andere Beispiel finden, wo medi-zinischer Fortschritt eine gegebene Therapie auch billiger machen kann.
Das sind aber Ausnahmen von der Regel, und diese Regel heißt: Jeder Fortschritt in der Medizin ruft einen Bedarf hervor, der nicht bestand, als es die Mittel zu seiner Befriedigung noch nicht gab, und erzeugt Kosten, die nicht hätten entstehen können, wäre nicht durch den medizinischen Fortschritt diese neue Ausgabenquelle erst eröffnet worden.
In der Medizin gibt es heute, wie eine amerikanische Studie das jüngst formuliert hat, „kein Ende der guten Dinge“. Die Kluft zwischen Verheißung und Erfüllung ist mittlerweile auch bei bestem Willen aller Beteiligten unüberbrückbar geworden.
Das bedeutet aber einen fundamentalen Wandel in den Rahmenbedingungen, in die die medizinische Wissenschaft und ihr wirk samstes Werkzeug, das moderne Krankenhaus, hineingestellt sind.
Wenn wir von der Hypothese ausgehen, daß der Umfang des medizinisch sinnvoll Machbaren inzwischen in der Tat den Rahmen dessen überschritten hat, was die Gesellschaft als Ganzes zu finanzieren bereit ist, so folgt daraus mit logischer Notwendigkeit, daß eine optimale, alles Machbare ausschöpfende medizinische Versorgung immer mehr ins Reich der Utopie entschwindet.
Statt dessen kommt in immer stärkerem Ausmaß der Zwang auf uns zu, zwischen allesamt nützlichen und sinnvollen Diagnose- und Therapieverfahren auswählen zu müssen.
Nicht mehr alles, was medizinisch sinnvoll ist, Leiden lindert oder Leben rettet, kann in Zukunft allein deswegen schon einen eingebauten Anspruch auf Verwirklichung besitzen.
Auf der Makroebene der nationalen Gesundheitspolitik sind dergleichen Zwänge schon heute vielfältig zu spüren. Bis vor kurzem etwa gab es in Österreich keine Möglichkeiten zu einer Herzverpflanzung, und jedes Jahr sterben, wenn man Pressemeldungen glauben darf, 200 Öster reicher eines vermeidbaren Todes aus Mangel an einem Rettungshubschraubersystem: Ein Beispiel einer möglichen Entscheidungssituation wäre etwa, zwischen herzchirurgischem Zentrum und Rettungshubschraubersystem wählen zu müssen, gegeben, daß man nicht beides haben kann.
Auch auf der Mikroebene z. B. des einzelnen Krankenhauses werden durch den Überhang des theoretisch Machbaren über das praktisch Finanzierbare zunehmend Entscheidungssituationen entstehen, die es in dieser Schärfe möglicherweise früher nicht gab.
Wenn man etwa einen Nieren- steinzertrümmerer und einen Computertomographen oder eine Intensivstation für Brandverletzungen und einen Linearbeschleuniger nicht gleichzeitig ha-ben kann, muß man sich überlegen, was einem wichtiger ist.
Zugleich erhält damit auch die Ökonomie, die traurige Wissenschaft von der Knappheit, eine neue Bedeutung für die Medizin. Sparsames Wirtschaften bei begrenzten Ressourcen heißt, daß mit den gegebenen Mitteln mehr Menschen als andernfalls geholfen werden kann, bedeutet für manche Patienten vielleicht den Unterschied zwischen Leben und Tod und damit für alle im Gesundheitswesen Tätigen eine neue und früher nicht in diesem Ausmaß gekannte Verantwortung ...
Wie wir alle wissen, hat das mit dem medizinischen Fortschritt einhergehende Eindringen der Technik in das Krankenhaus nicht nur Enthusiasmus ausgelöst. Zuweilen scheint mir in der Tat in Krankenhäusern Medizintechnik vor allem um ihrer selbst willen zelebriert zu werden.
Ohne dergleichen Auswüchse bestreiten zu wollen, halte ich die moderne Nörgelei an der Medizin jedoch für Nörgelei von Leuten, die sich waschen wollen, ohne naß zu werden. Man kann nicht von einer Herz-Lungen-Maschine erwarten, daß sie Gefühle zeigt, oder von einer künstlichen Niere, daß sie Witze macht.
Ebenso hat auch der Wandel des Arztes vom mitfühlenden, aber hilflosen Leidensbegleiter zum eher unpersönlichen, aber effizienten Diplomingenieur der Medizintechnik seine Schattenseiten, aber wenn ich ansonsten sterben müßte, hätte ich doch lieber einen Diplomingenieur. Die heutige Medizin krankt nicht in erster Linie an ihren Fehlern. Sie ist im- Gegenteil in Gefahr, ein Opfer ihres eigenen Erfolges zu werden.
Der Vortragende arbeitet wissenschaftlich am Institut für höhere Studien in Wien.
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