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Digital In Arbeit

Herumdoktern bis zum totalen Bankrott

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Embryos werden gebastelt, Organe verpflanzt, Basketballriesen gezüchtet: Immer extravaganter werden die Leistungen der Medizin. Wie lange geht das noch so weiter?

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Embryos werden gebastelt, Organe verpflanzt, Basketballriesen gezüchtet: Immer extravaganter werden die Leistungen der Medizin. Wie lange geht das noch so weiter?

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Die Befruchtung menschlicher Eier im Reagenzglas ist längst ein florierender Geschäftszweig, die Spannung gilt jetzt nur noch der Frage, wann es möglich sein wird, diese Eier nach den Wünschen der Eltern genetisch zuzurichten, und wann zum ersten Mal ein Elternpaar beschließen wird, ein Ei teilen und seine eine Hälfte ins Kühlfach legen zu lassen, um dann, wenn die erste Hälfte gut geraten ist, den tiefgefrorenen Zwilling nachzubestellen.

Und während schon die ersten Mietmütter fremder Leute Eier ausgebrütet haben, gibt es zaghafte Vorschläge für ein Verbot der Mietmutterschaft. Deshalb arbeitet man andererseits um so eifriger an der Konstruktion von Brutapparaten, mit dem Endzweck, die Erzeugung eines Menschen schließlich vollautomatisch abwickeln zu können, wodurch die Geschmacklosigkeit zwar auf

die Spitze getrieben, zugleich aber juristisch praktikabler wird.

Natürlich widmet man sich nicht nur der Fortpflanzung. Die Umpflanzung von Organen ist ein anderes Arbeitsfeld mit großen Wachstumschancen. Während man beteuert, dies dürfe nie und nimmer eine Sache des Kommerzes werden, sind anderwärts schon Organe zu Festpreisen erhältlich. Ein deutscher Medizinprofessor hat öffentlich gefordert, man möge die Ärzte durch Sonderhonorare zu größerem Eifer beim Ausbau nicht mehr benötigter Ersatzteile ermuntern.

Die Sozialpflichtigkeit des Leichnams ist noch nicht Gesetz. Man denkt jedoch schon darüber nach, ob sich die Weigerung gegen Organspenden nicht als unterlassene Hilfeleistung kriminalisieren ließe, damit man den Bedarf decken kann, der das Angebot derzeit noch weit übersteigt. So muß — so taktvoll wie möglich — große Freude über jeden verunglückten Motorradfahrer aufkommen, und die Krankenschwestern an der Universitätsklinik von Stanford, stets um Spenderherzen verlegen, sprechen deshalb auch nicht mehr von Motorrädern, sondern von „Spenderrädern".

Der menschliche Körper als solcher ist zum verwertbaren Gegenstand geworden. Das wird fatale Folgen haben.

Das Arsenal der Medikamente und Geräte, die Zahl der diagnostischen und therapeutischen Techniken wächst Tag für Tag weiter, auf dem geraden Weg ins Unermeßliche.

Und wenn der Präsident des Deutschen Sportärztebundes nicht ausschließen will, daß mit Hilfe eines neuen Medikamentes demnächst Hochspringer und Basketballer von zwei Meter zwanzig erschaffen werden könnten, dann darf man daraus die Gewißheit ziehen, daß dies tatsächlich geschieht.

An dem Tag aber, da William J. Schroeder in Louisville (Kentuk-ky) ein Kunstherz erhielt, starben auf der Welt 100.000 Menschen den Hungertod, 140 in der Minute: der Tod als Pulsschlag der Erde.

Selbst wenn es keine Zusammenhänge zwischen dem Uberleben des Mister Schroeder und dem Sterben der Hunderttausend gäbe, bliebe dieses Bilderpaar vom Leben und Sterben bestürzend.

(Freilich gibt es Zusammen-

hänge zwischen dem Reichtum eines Landes, in dem man mehrere Millionen Schilling für eine Kunstherzoperation auswerfen kann — und der Armut jener Länder, in denen die Menschen verhungern, weil ihre Nahrungsmittel als Viehfutter ins Kunstherzland geliefert werden. Sie tauschen damit zivilisatorischen Krimskrams ein, der Abhängigkeit, Schulden und Elend früher oder später nur noch vergrößert.)

Daß Mister Schroeder für viel Geld ein Kunstherz bekam, hat weniger mit Humanität zu tun als mit „Humana". Das ist ein medizinisches Großunternehmen, welches 110 Milliarden Schilling umsetzt und nun das Kunstherz in sein Verkaufsprogramm aufgenommen hat.

Mister Schroeder war nur ein Werbespot: Für die nächsten Jahre rechnet „Humana" mit dem Verkauf von hundert Kunstherzen. Das ergibt einen hübschen Batzen und läßt zugleich ahnen,

daß mit dem Äußersten, was der Medizinbetrieb möglich macht, bald auch die äußersten Grenzen der Bezahlbarkeit erreicht sein werden.

Ein einziger Bluter, sachgemäß behandelt, brachte vor einiger Zeit eine Allgemeine Ortskrankenkasse an den Rand des Ruins. Ein einziger Herzpatient, mit einem frischen Transplantat versehen, braucht Monat für Monat bis an sein Lebensende so viel Medikamente, daß fünf Briefträger das ganze Jahr über gesund bleiben müssen, um mit ihren Krankenkassenbeiträgen jenes eine Herz am Leben zu erhalten.

Währenddessen erfinden die Erfinder unentwegt neue Medikamente und neue, immer kompliziertere und immer teurere Apparaturen. Da diese sich amortisieren müssen, ist eine Diagnose oder eine Behandlung im Wert von zehn- oder hunderttausend Schilling leichter zu erlangen als für einen Groschen Barmherzigkeit.

Die Gesundheitsindustrie hat in den USA inzwischen mit einem Jahresumsatz von 400 Milliarden Dollar die Autoindustrie überrundet. Aber was sich in solchen Zahlen spiegelt, ist nur ein Teil des Gesamtaufwandes.

Unzählige öffentliche Institute widmen sich der medizinischen Forschung auf Staatskosten. Und wenn man noch hinzuzählt, was das Publikum über dies hinaus noch auf Rechnung gegen wirkliche und eingebildete Krankheiten unternimmt, dann sieht es so aus, als läge das Idealziel aller menschlichen Aktivitäten darin, daß das Bruttosozialprodukt schließlich nur noch aus medizinischen Leistungen besteht.

An Versuchen, diese tragische Hypertrophie der Heilkunst einzudämmen, hat es nicht gefehlt, doch war ihnen kein Erfolg beschieden. Wie denn auch anders? Sollen die Medizintechniker einfach aufhören zu erfinden? Soll man den Pharmazeuten die Suche nach neuen Medikamenten verbieten? Sollen die Genetiker ihre Forschungen einstellen?

Soll das Leben eines Bluters keine lumpigen paar Millionen Schilling wert sein, wenn ein Tornado 500 Millionen kostet und wenn die etwas gesünderen Zeitgenossen Milliarden im Jahr allein für alkoholische Getränke ausgeben? Was sind dann schon drei Millionen für eine Herzverpflanzung?

Die Vergleiche klingen einleuchtend und jede Widerrede zynisch. Es ist aber kein Zynismus dabei, wenn man vorhersagt, daß die weitere Steigerung diagnostischer und therapeutischer Möglichkeiten früher oder später — und eher früher als später - selbst durch einen völligen Verzicht auf Alkohol und Landesverteidigung nicht mehr aufgewogen werden könnte.

Denn hinter der folgerichtigen Weiterentwicklung, deren jede Stufe begeistert begrüßt und als Menschheitstat gefeiert wird, lauert die Absurdität einer Heilung um jeden und jeden Preis. Aus der schönen und menschlichen Absicht zu helfen und zu heilen ist in Erwerbsunternehmen von gigantischem Ausmaß geworden, das rücksichtslos unsere gesamte Barschaft verschlingen will. Es schert sich übrigens kaum darum, ob nicht der größte Teil der Krankheiten, die es bekämpft, durch eben jene Lebens- und Arbeitsweisen entsteht, die zugleich die Finanzierung des Gesundheitswesens ermöglichen.

Da rundet sich das Bild vom modernen Leben — es ist das Bild eines Teufelszirkels: Das Leben ist ungesund, aber nur auf unge-

„ ... aus der menschlichen Absicht zu heilen ist' ein Erwerbsunternehmen geworden ..."

sunde Weise läßt sich das Geld verdienen, das man braucht, um die Folgen des Ungesunden zu reparieren.

So wird dieses Gesundheitswesen erst dann aus dem jubelnden Delirium erwachen, wenn wir zahlungsunfähig geworden sind. Dann, natürlich, wird man uns achselzuckend mit unseren Schmerzen allein lassen.

Die Pleite steht so nah bevor, daß es nur vernünftig wäre, wenn man sich schon jetzt Gedanken darüber machte, wie man denn dann die Verteilung der noch verbleibenden medizinischen Segnungen arrangieren will: Etwa so, daß alles, was über ein gewisses Limit geht, nur noch jenen zugute kommt, die auch das Geld haben, es zu bezahlen?

Oder wird man, wie vor Jahr und Tag bei den ersten künstlichen Nieren, die Grausamkeit der Selektion hinter der Schein-Ethik irgendwelcher Kriterienkataloge verstecken, nach denen dann der vierzigj ährige Familienvater weiterleben darf, der fünfzigjährige Junggeselle hingegen zum Sterben verurteilt wird?

Der Autor ist freier Schriftsteller. Sein Beitrag ein Auszug aus „Scheidewege" (Jahres-. Zeitschrift für skeptisches Denken), Jg. 15. Die Zeitschrift enthält lesenswerte Beiträge namhafter Autoren, u. a. von Hans Jonas, Erwin Chargaff, Leopold Kohr...

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