"Nächstenliebe läßt sich nicht verstaatlichen"

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Im April wurde die Tiroler Landesrätin Elisabeth Zanon (Ressort Gesundheit, Jugend, Familie, Frauen, Senioren und Wohnbau) wieder zur Obmann-Stellvertreterin von Wolfgang Schüssel gewählt. Die Furche sprach mit ihr über Mängel in der Gesundheitspolitik.

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Im April wurde die Tiroler Landesrätin Elisabeth Zanon (Ressort Gesundheit, Jugend, Familie, Frauen, Senioren und Wohnbau) wieder zur Obmann-Stellvertreterin von Wolfgang Schüssel gewählt. Die Furche sprach mit ihr über Mängel in der Gesundheitspolitik.

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dieFurche: Frau Zanon, wo sehen Sie den vordringlichsten Handlungsbedarf im Gesundheitsbereich?

Elisabeth Zanon: Wir haben heute den österreichischen Krankenanstalten-Plan, der seitens des Bundes mehr oder weniger vorgegeben wird. Die Kompetenzen für die Sozialversicherung liegen beim Sozialministerium. Meiner Meinung nach wurde damals ein Grundfehler begangen, als man das Gesundheitsministerium aufgelöst und dem Sozialministerium angegliedert hat. Mit der Änderung der Spitalsfinanzierung ist der erste Schritt einer Gesundheitsreform sicher erfolgreich durchgeführt worden. Es war aber nur ein Teil einer notwendigen Gesamtreform. Zur Zeit fehlt es deutlich an Reformbereitschaft. Ich habe den Eindruck, daß sich das Bundesministerium nach 20 Jahren Provisorium derzeit erholen muß, und deshalb keine weiteren Reformschritte unternimmt. Die wären aber ganz dringend erforderlich! Es geht eben nicht an zu sagen, ich ändere die Spitalsfinanzierung, aber alles, was außerhalb der Spitäler liegt, wird nicht angerührt. Natürlich kostet die Gesundheitspolitik einen Haufen Geld. Ich weiß aber, daß einiges an Geld zum Teil auch vollkommen falsch ausgegeben wird. Vorhandenes Geld sollte immer dazu verwendet werden, die beste Qualität, die wir ja Gottlob auch haben, weiterhin zu gewährleisten beziehungsweise noch zu verbessern. Verbesserungsfähig ist aber auch die Situation der niedergelassenen Ärzte, sowie die Situation der Übergangspflege. Veränderungen sollte es auch in der Kostenstruktur der derzeitigen Diagnostik geben. Wir betreiben in Österreich eine sehr teure "Stufendiagnostik", das heißt, Röntgen, Ultraschall, CT, sowie viele andere Untersuchungen. Es wäre sicher gut, sich in jedem Fall etwas genauer zu überlegen, welche Indikation welche Art der Untersuchung verlangt, und wo diese am besten durchgeführt werden soll und kann.

dieFurche: In 20 Jahren wird der Anteil der Sechzigjährigen an der Gesamtbevölkerung um rund ein Drittel zugenommen haben. Damit werden auch die Ausgaben für das Gesundheitswesen entsprechend steigen. Wird sich Österreich das leisten können?

Zanon: Ich verwehre mich gegen eine Diskussion, mit dem Grundtenor: ab einem gewissen Alter dürfen Eingriffe nicht mehr gemacht werden. Solche Ansätze halte ich für eine mehr als bedenkliche Entwicklung. Hier kann ich nur sagen: "Wehret den Anfängen!"

Ältere Menschen bleiben heute aber auch, Gott sei Dank, immer länger gesund. Der Begriff der "neuen Alten" freut mich als Seniorenpolitikerin ganz besonders, denn damit ist ja auch gemeint, daß jeder einzelne die Verantwortung für seine persönliche Gesundheit selbst trägt.

Unsere Gesellschaft sollte im Hinblick auf eine finanzierbare Zukunft auch den derzeitigen Geburtenrückgang bedenken, und öfters darüber diskutieren, was uns unsere Kinder und die Institution Familie eigentlich wert sind. Die Schritte der ÖVP in Richtung Steuerreform und Entlastung der Familien sind in diesem Zusammenhang sehr wichtig. Das Familienpaket des Landes Tirol bemüht sich dabei auch, Leistungen sozial treffsicher zu erbringen. Das heißt, es gibt bei allen Maßnahmen eine Einkommensgrenze.

dieFurche: Österreichs Spitäler geben Unsummen für die teure Apparatemedizin aus. Hier herrscht zum Teil immer noch ein regelrechter Wettlauf der Primarärzte um die teuersten und besten medizinischen Geräte. Ist das im Hinblick auf die Kostenexplosion gerechtfertigt?

Zanon: Hier gibt es klare Qualitätskriterien und Standards. Wir haben in Österreich einen sogenannten "Großgeräteplan". Ein Großgerät wird nur dann bewilligt, wenn am Standort die Kenntnis für den Umgang mit ihm sowie die entsprechende Patientenanzahl vorhanden sind. Hier wird sehr genau kontrolliert, damit es zu keinen negativen Entwicklungen kommen kann. Was man keinesfalls tun sollte, ist das Ausspielen von Großgeräten gegenüber anderen weniger vordergründigen medizinischen Leistungen, wie beispielsweise die psychologische Betreuung der Patienten, die mehr als unzureichend ist.

dieFurche: War der im Vergleich zu den Landeskrankenhäusern sehr teure Bau des Wiener AKH ein Fehler?

Zanon: Das Wiener AKH hatte schon zu Zeiten seiner Planung als Mega-Spital ein völlig veraltetes Konzept. Es verursacht pro Bett und Tag rund das Doppelte an Kosten wie ein Landeskrankenhaus, eine Differenz, die mit der besseren technischen Ausstattung nur teilweise gerechtfertigt werden kann. Nachdem man aber diesen Monsterbau nicht mehr abreißen kann, wird er noch jahrzehntelang die Gesundheitsbudgets belasten. Dazu kommt, daß es in Österreich nach wie vor zu viele Spitäler und Spitalsbetten für die Behandlung von kurzfristigen Erkrankungen, sogenannte "Akutbetten" gibt. Für die Versorgung alter und pflegebedüftiger Menschen stehen aber ganz eindeutig zu wenig Betten zur Verfügung. Durch die Krankenhaus-Reform wurden Akutbetten zwar teilweise abgebaut, es kamen aber kaum zusätzliche Pflegebetten dazu.

dieFurche: Es heißt oft, daß die Ärztekammer als eine der effizientesten und strukturkonservativsten Standesvertretungen Österreichs viele Reformen des Gesundheitswesens verzögert beziehungsweise sogar verhindert. Wie sehen Sie das aus Tiroler Sicht?

Zanon: Ich kann die Wiener Situation nicht beurteilen. Als Tiroler Gesundheitspolitikerin habe ich eine sehr gute Kommunikation mit der Tiroler Ärztekammer. Wir treffen uns einmal im Monat und diskutieren unsere Probleme durch. Ich kann über unsere Ärztekammer nicht klagen, denn unsere Zusammenarbeit findet in einem sehr konstruktivem Klima statt.

dieFurche: Warum haben Sie sich entschlossen, in die Politik zu gehen?

Zanon: Ich wurde gefragt, ob ich dafür bereit wäre. Frauen beklagen sich ja oft, daß sie keine Chancen haben. Wenn man gefragt wird, kann man dann eigentlich nicht "nein" sagen. Wer Dinge verändern will, sollte das auch tun, wenn sich die Gelegenheit dafür bietet.

Ich habe ja die große Hoffnung, daß es immer mehr Frauen geben wird, die sich mitverantwortlich fühlen und auch aktiv werden. Wir wissen ja, daß Frauen in der "zweiten Reihe" sehr viel tun. Ich wünsche mir aber, daß sie hervortreten und gemeinsam mit den Männern eine Welt gestalten, die für beide Geschlechter Gleiches bietet. Es sollte einmal dazu kommen, daß man sagen kann, egal ob Mann oder Frau, wir haben eben einfach die besten Leute.

dieFurche: Sie haben von der Eigenverantwortung der Menschen für ihre Gesundheit gesprochen. Sollte diese Verantwortung nicht auch für den Umgang mit den Mitmenschen neu überdacht werden?

Zanon: Ja, da haben Sie völlig recht. Unsere Gesellschaft hat großteils verlernt, Verantwortung für den Nächsten zu übernehmen. Der Staat hat sehr lange Zeit hindurch unheimlich tief in die intimsten Zellen unserer Gesellschaft hineinregiert. Die Verantwortung wurde von ihm in Form von Geldleistungen und Gesetzen übernommen. Ich sehe heute eine große Chance darin, daß sich der Staat mehr zurückzieht und der Bürger wieder lernt, die Verantwortung für sich selbst und auch für seinen Nächsten zu übernehmen. Nächstenhilfe und Nächstenliebe kann man nicht verstaatlichen.

In Innsbruck haben wir ein Projekt, das sich "Zeitbörse" nennt. Jeder der eine Kenntnis hat und in Pension geht, kann seine Fähigkeiten in diesem Büro anbieten. Für jede Stunde die dort umgesetzt wird, erhält der Pensionist eine gewisse Anzahl von Punkten. Diese Punkte kommen ihm, wenn er selbst einmal Hilfe braucht, zugute. Die Friseurin, der Mechaniker, der Manager können - wenn sie es brauchen - später selbst Hilfe in Form von Pflege, in der Haushaltsführung und andere Leistungen bekommen.

dieFurche: Gibt es positive Entwicklungen im medizinischen Bereich, die Ihnen besonders auffallen?

Zanon: Wenn es zu einer deutlichen Verbesserung der Kooperation zwischen niedergelassenen, Spitals- und Universitätsärzten kommt, sehe ich durch die derzeit rasante Entwicklung der EDV und der Telemedizin enorm große Chancen. Wenn über Bildschirm Konferenzen stattfinden können, wenn Befundungen aus der Universitätsklinik über Bildschirm möglich sind, wird das für jeden Arzt und seine Patienten ein Hoffnungsgebiet sein.

Das Gespräch führte Angela Thierry.

ZUR PERSON Von der Chirurgie in die Politik Elisabeth Zanon wurde am 13. 6. 1955 in Linz geboren. Nach dem Gymnasium absolvierte sie in Innsbruck das Medizinstudium und bgann an der Innsbrucker Klinik eine Facharztausbildung für plastische und Wiederherstellungschirurgie. Nach mehreren Jahren als Oberärztin an der Innsbrucker Universitätsklinik eröffnete sie 1993 ihre eigene Praxis. 1994 wurde sie von der Tiroler Volkspartei in die Landesregierung geholt. Elisabeth Zanon hat eine 19jährige Tochter und lebt mit dem Radiologen und Universitätsprofessor Dr. Dieter Zur Nedden in Innsbruck.

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