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Magister im Käfig

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Der Apothekerberuf ist nicht nur einer der verantwortungsvollsten in der hochdifferenzierten Berufswelt. Er ist nicht allein das Ziel eines Studiums, das besonders , hohe Anforderungen an Intelligenz und Disziplin stellt. Er gilt auch als besonders attraktiv, was den Status, das Einkommen, vor allem aber auch die sozialen Errungenschaften betrifft.

Und der Apothekerberuf hat diesen Ruf auch durchaus mit Berechr tigung — vor allem, wenn man die Situation des in der Stadt lebenden und arbeitenden Pharmazeuten im Auge hat. Auf dem flachen Land sieht es für einen erheblichen Teil der dort tätigen Apotheker etwas anders aus. Etwas (aber nicht sehr) überspitzt kann man sagen: In einer vollmotorisierten, bis ins letzte Almtal durch Straßen erschlossenen Welt, in der echte Abgeschiedenheit für viele Menschen schon zur Mangelware wurde, ist der Landapotheker der letzte Gefangene einer Provinz, die für die anderen akademischen Berufe ihre Schrecken verloren hat, ja mittlerweile vielen schon erstrebenswert erscheint. : Der Landarzt zum Beispiel hat bestimmt kein leichtes Leben, und es sollte zum Ausgleich seiner Belastungen viel mehr geschehen. Aber auch ein Landarzt hat durch Turnuseinteilungen meistens mehr Möglichkeiten, . an Wochenenden Ausflüge zu machen, in die Stadt ins Theater zu fahren und so weiter, als ein alleinarbeitender Landapotheker.

Viele Landapotheker sind 24 Stunden pro Tag zwischen Apotheke und Wohnung in ihrem Haus festgenagelt,, 168 Stunden pro Woche, und so mancher manchen Monat vom Mo-natsersten, nun Uhr, bis zum Mo-natsletzteh, 24 Uhr. Dem alleinarbeitenden Landapotheker wird die Apotheke zum Käfig. v '

Ohne die Hilfestellungen der Österreichischen Apothekerkammer und der Pharmazeutischen Gehaltskasse könnte so manche Landapotheke nicht leben. Der österreichische Apothekerstand hat sich in der Gehaltskasse eine einzigartige Sozialeinrichtung geschaffen. Sie ist ein seltsamerweise von keiner anderen Berufsgruppe aufgegriffenes Modell, die steigenden Ansprüche der älterwerdenden Arbeitskraft mit voller Erhaltung ihrer individuellen beruflichen Mobilität auf einen Nenner zu bringen. Der in einer Apotheke angestellte Pharmazeut wird nicht von seinem Dienstgeber direkt, sondern von der Pharmazeutischen Gehaltskasse bezahlt. Der Dienstgeber überweist für jede bei ihm angestellte pharmazeutische Fachkraft denselben Betrag an die Gehaltskasse (die sogenannte Gehaltskassenumlage). Die Gehaltskasse überweist dem Angestellten entsprechend seinen Dienstjahren das Gehalt. Ein 60 Jahre alter, erfahrener Magister kostet den Dienstgeber nicht mehr als eine frisch von der Universität kommende Kraft. Ältere Pharmazeuten brauchen sich nicht — wie in fast allen anderen Berufen — zur Wahrung ihrer erworbenen Rechte an einen bestimmten Arbeitsplatz zu klammern. Jungen Pharmazeuten kann es finanziell ziemlich gleichgültig sein, ob sie in einer kleinen Apotheke oder in einem großen Betrieb mit hohem Umsatz arbeiten.

Nur auf diese Weise ist sichergestellt, daß das Können und das Verantwortungsbewußtsein in jeder österreichischen Apotheke auf dem gleichen hohen Niveau steht. Der Pharmazeut wird nicht für schnelles Arbeiten oder für Verkäufertalente, sondern für seine genaue und verantwortungsbewußte Arbeit honoriert.

Die verschiedenen Zulagen (Ausgleichszulage, Leiterzulage, Nachtdienstentgelt, eventuell Belastungszulage) werden allerdings vom Dienstgeber direkt an den angestellten Pharmazeuten gezahlt. Hier beginnt die Benachteiligung der Landapotheke. Die großstädtische Apotheke hat nur durchschnittlich jede fünfte Woche Dienstbereitschaft. Die Landapotheken haben jede zweite Woche, viele von ihnen aber 365 Tage des Jahres dienstbereit zu sein. Das bedeutet einen hohen finanziellen Aufwand. Dazu kommen finanzielle Äquivalente für einen täglich von der Stadt zur Landapotheke hinausfahrenden Angestellten und so weiter.

Weitere Handikaps der Landapotheke: Sie ist nicht nur finanziell höher belastet, sie hat auch meistens einen geringeren Umsatz. Viele der für Patienten, die in ihrem Einzugsgebiet wohnen, ausgestellten Rezepte entgehen ihr, weil Menschen, die in die Stadt zum Facharzt fahren, die vom Facharzt ausgestellten Rezepte gleich in einer Apotheke am Sitz dieses Facharztes einzulösen pflegen. Dabei handelt es sich im Durchschnitt um die besonders ertragreichen Rezepte.

Fazit: Gerade in der Landapotheke, wo einem kleineren Ertrag ein wesentlich höherer Arbeitsaufwand gegenübersteht, arbeitet oft ein einziger Pharmazeut, eben der Inhaber der Apotheke. Und er verdient oft weniger als ein angestellter Apotheker. So ist es manchmal keineswegs leicht, Interessenten für vakante Apotheken in weniger günstiger Lage zu finden. In Niederösterreich ergriffen zwei ägyptische Pharmazeuten die Chance, sich eine Existenz in Europa aufzubauen. (Selbstverständlich sind beide österreichische Staatsbürger, haben in Österreich Pharmazie studiert und entsprechen voll allen in Österreich gestellten Anforderungen.) -

Das strenge Konzessionsverfahren, das eine neue Apotheke nur dort zuläßt, wo tatsächlich Bedarf besteht, bedeutet eine gewisse Existenzsicherung und verhindert einen Konkurrenzkampf, der nur auf dem Rük-ken der Patienten ausgetragen werden könnte. In der Bundesrepublik verfügte das sogenannte „Karlsruher Urteil“ totale Niederlassungsfreiheit für Apotheker, was dazu führte, daß in einem einzigen Jahr — bei einem Gesämtbestand von rund 10.000 Apotheken — 238 Betriebe neu eröffnet und 180 geschlossen wurden. In Österreich wurden seit 1945 nur 62 Apotheken neu zu- und nur zwei aufgelassen. Aber auch hierzulande hat sich ein gewisser Konkurrenzkampf entwickelt — wenn auch nicht zwischen den Apotheken.

Die österreichische Apothekengesetzgebung betrachtet die Apotheke nicht in erster Linie als gewinnorientiertes Unternehmen, sondern als primäre Abgabestelle für Medikamente und somit als eine Einrichtung im Rahmen der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung. Nur dort, wo eine Apotheke wegen zu geringer Einwohnerzahl nicht oder noch nicht in Frage kommt, ist das Substitut der sogenannten ärztlichen Hausapotheke (der Medikamentenverkauf durch den Arzt) vorgesehen. Ein Apothekennetz von optimaler Dichte dient den.Menschen nicht nur in Normalzeiten , (Medikamente aus der ärztlichen Hausapotheke sind ja nur dann zu bekommen, wenn der Arzt anwesend ist). Es hat auch eine wichtige Funktion im Rahmen der Krisenvorsorge, denn Österreichs 827 Apotheken unterhalten nicht allein ein Arzneimittellager im Wert von 400 Millionen Schilling, sie können im Krisenfall als pharmazeutische Produktionsstätten herangezogen werden (wie es etwa nach dem Zweiten Weltkrieg der Fall war).

War die ärztliche Hausapotheke ursprünglich ein Substitut für eine fehlende öffentliche Apotheke, so wurde sie in den letzten Jahren und Jahrzehnten mehr und mehr zu einem Substitut für ein ungenügendes Einkommen vieler Landärzte. Ärzte, die Hausapotheken führen, beziehen einen oft keineswegs unerheblichen Teil ihres Einkommens aus dieser Tätigkeit, und das führt zu Friktionen teils mit geplanten, teils mit bestehenden Apotheken. Der Präsident der Österreichischen Apothekerkammer, Magister Dr. Zeidler, hofft auf eine Gesamtlösung des Problemkomplexes Gesundheit auf dem Lande, die es für die Ärzte, etwa durch großzügigere steuerliche Erleichterungen für Landärzte, unnötig macht, ihr Einkommen mit Hilfe einer berufsfremden, wenn auch berufsnahen Tätigkeit aufzubessern.

Obmann Magister Dr. Tschochner von der Niederösterreichischen Apo-thekerka'mmer hält das Fortbestehen

ärztlicher Hausapotheken auf Grund der österreichischen Topographie in vielen Gebieten für absolut notwendig, registriert aber eher betrübt, daß die meisten hausapothekenführenden Ärzte im verkehrsmäßig ohnehin gut erschlossenen Flach- und Hügelland zu finden sind, wo manche öffentliche Apotheken „von ärztlichen Hausapotheken eingekreist und an den Rand der wirtschaftlichen Existenzfähigkeit gedrängt wurden“.

Dabei wirken oft mehrere Faktoren zusammen: Die schwächere Kaufkraft im. ländlichen Raum, das erwähnte Abwandern der Facharztrezepte, die ärztliche Kpnkurrenz, die höhere Lagerhaltung bei langsamerem Umschlag, die geringeren Rabattmöglichkeiten bei höherer Kapitalbildung im Vergleich zur städtischen Apotheke, die physische und psychische Überlastung der Fachkräfte. Manche Apotheken werden dann nicht zuletzt durch die berufsständische Solidarität über Wasser gehalten, die ihre Organisationsform in der Pharmazeutischen Gehaltskasse fand. Diese übernimmt fallweise ganz oder teilweise die Kosten eines Dienstablösers für den alleinarbeitenden Apotheker.

Österreich hat 827 öffentliche Apotheken mit 1920 angestellten Pharmazeuten. 384 Apotheken, immerhin 47 Prozent, sind echte Landapotheken. (312 von ihnen sind allein an einem Ort.. 65 von diesen 312 Apotheken haben die Möglichkeit eines Bereitschaftsturnusses mit einer Apotheke in einem anderen Ort. 72 Apotheken sind gemeinsam mit einer zweiten Apotheke, mit der sie in der Dienstbereitschaft abwechseln können, an einem Ort. Aber nicht weniger als 132 Landapotheken werden von einem einzigen Pharmazeuten geführt, müssen aber 365 Tage pro Jahr rund um die Uhr dienstbereit sein. Nur ein Teil dieser Alleinarbeiter wird von einem Dienstablöser vier Tage und Nächte pro Monat vertreten. Viele Apothekeninhaber und Alleinarbeiter verdienen weniger als ein angestellter Pharmazeut, und leisten sich wegen der hohen Vertretungskösten oft nicht einmal einen Urlaub. . Sie sind zwar weit davon entfernt, ihren Berufsstand krankzujammern, aber sie sind einem Lebensrhythmus ausgesetzt, von dessen physischen und psychischen Belastungen sich der Außenstehende keine Vorstellung macht. Die dauernde Dienstbereitschaf t des Alleinärbeiters ist praktisch lückenlos. Er ist ein Gefangener der Offizin. Er kann die Apotheke kaum, den Ort keinesfalls verlassen. Es gibt keine Situation seines häuslichen Lebens in der er nicht damit rechnen muß, durch ein Klingelsignal gestört zu werden. Wenn er einmal seinem Käfig für zwei Stunden an den Stammtisch eines nahegelegenen Gasthauses entflieht, muß man daheim wissen, wo er ist. Nur in Ausnahmefällen kann er den Apothekenschlüssel beim Arzt hinterlegen.

Wenn er auch normalerweise nur in den Abendstunden, nachts aber doch eher selten herausgeklingelt wird — rechnen muß er damit, und der Streß des Landapothekers resultiert aus dieser inneren Anspannung, aus der Erwartung plötzlicher Störung, aus der Gefangenschaft zwischen Apotheke und Wohnung, und aus dem oft totalen Kulturverzicht, was Theater und Konzerte betrifft.

(Dafür sind viele Apotheker große Leser vor dem Herrn.)

Viele Apothekerfrauen leiden unter den Beschwernissen dieses Lebens auf Abruf mehr als ihre Männer, da ihnen ja die emotionelle Verankerung im Beruf fehlt.

Die etwaige Angst eines nächtlicherweile mit einem Rezept zur Apotheke eilenden Kranken oder Angehörigen ist grundlos. Verstöße gegen die Anwesenheitsdisziplin sind äußerst selten, und werden, wenn sie der Apothekerkammer zur Kenntnis gelangen, stets mit hohen Geldbußen geahndet. Und nur ganz selten muß einer, der zu nächtlicher Stunde einen Beruhigungssauger für sein schreiendes Baby oder ein Paket Watte verlangt, damit rechnen, mit einem vorwurfsvollen Unterton behandelt zu werden.

„Wer nachts“, so ein alleinarbeitender Landapotheker mit Rund-um-die-Uhr-Dienst, „an einer Apotheke läutet, hat einen Grund dafür, auch wenn er selbst uns nicht immer gleich einleuchtet Mordgedanken hege ich höchstens, wenn mich jemand vom Sonntagsessen wegholt, um nach dem Preis eines in der Auslage stehenden Nervenstärkungsmittels zu fragen — das er dann doch nicht kauft. Aber auch dann bleibe ich höflich.“

Wenn der Landapotheker schünpft, dann schimpft er, altem Landapo-theker-on-dit zufolge, auf dem Weg vom Bett zur Tür und wieder zurück ins Bett. Bei geöffnetem Durchreichefenster aber ist er fast immer höflich.

Heitere, allzu heitere, dem Betroffenen gar nicht sehr heiter erscheinende Seiten eines Beruf sstandes, der gezwungen ist, seine persönlichen und kaufmännischen Probleme mit seinen Verpflichtungen im Dienst an den Menschen auf einen Nenner zu bringen und der sich dabei als Partner des Arztes versteht. Und der sich für seine Leistungen im Dienste der Volksgesundheit in manchen Fällen doch etwas mehr Verständnis (wie etwa steuerliche Begünstigungen für Landapotheken) und Entgegenkam-, men der Gemeinden bei der Neuerrichtung von Landapotheken erwarten dürfte...

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