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Staatlicher Gesundheitsdienst

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Die vom Oesterreichischen Arbeiterkammertag und Gewerkschaftsbund herausgegebene Zeitschrift „Arbeit und Wirtschaft” veröffentlichte kürzlich (1. Juni 1959) unter dem Titel „Gesundheitsdienst für alle — unser nächstes Ziel” die ersten konkreten Vorschläge zur gesetzlichen Verankerung eines staatlichen Gesundheitsdienstes. Der offensichtlich von zahlreichen Experten des an dem Projekt interessierten Sozialministeriums und der öffentlichen Krankenversicherungsinstitute inspirierte Entwurf argumentiert zunächst mit dem anscheinend als „unheilbar” betrachteten Defizit der Krankenkassen, dem man, wie immer, wenn die’ Wirtschaftsgebarung öffentlicher Institutionen Passiva aufweist, durch ein finanzielles Engagement des Staatssäckels — das heißt, des Volksvermögens — abzuhelfen wünscht.

Im einzelnen sieht der Entwurf — nach außen hin nur eine „Diskussionsgrundlage”, in Wirklichkeit ein festumrissenes Konzept, das bei der Budgetdebatte im Oktober dem Parlament vorgelegt werden soll — die zentralistische Verwaltung aller Spitäler vor (auch der privaten und der von Religionsgemeinschaften geführten), ferner die für jedermann kostenlose Behandlung durch staatsvertraglich gebundene Aerzte — wobei die praktischen Aerzte weiterhin in ihren Ordinationen, alle Fachärzte hingegen nur noch ausschließlich in Spitälern und Ambulatorien zur Verfügung stehen würden — sowie die kostenlose Abgabe von Medikamenten vor. An Stelle der festgesetzten Honorartarifverrechnung soll eine fixe Besoldung der Aerzte zuzüglich eines Patientenpauschale treten,. die Zulassung der Medikamente soll auf Verordnungsweg geregelt werden — wobei in dem Artikel in „Arbeit und Wirtschaft” die bezeichnende Meinung vertreten wird, daß von den derzeit rund 5000 angewendeten Medikamenten annähernd 600 ausreichen würden, um alle anfallenden Krankheiten zu heilen …

Als ‘Oberste Inst a iii-’Würden neuzugrün- d fdėį ‘G undheitsmihistėHtirtf-und ’tin „•Gei.’; siffiffli ltsrat” fungieren, dös’sefi ‘Zusämihen- setzung von den Wahlen in die Arbeiterkammern beeinflußt und der von Vertretern des obersten Sanitätsrates, der Landesregierungen, der Landesärztekammern, Arbeiterkammern, Landwirtschaftskammern und Landesexekutiven des Gewerkschaftsbundes beschickt werden soll. Ein beratendes „Direktorium” würde aus den übergeordneten Instanzen auf Bundesebene bestehen. — Für die Politik bleibt also, wie nicht anders zu erwarten, genügend Spielraum …

Zur Finanzierung werden entgegen den aus den Erfahrungen des als Modell herangezogenen englischen verstaatlichten Gesundheitsdienstes in Relation zur österreichischen Bevölkerungsziffer errechneten sieben bis acht Milliarden Schilling vorderhand „ungefähr” drei Milliarden als hinreichend betrachtet, von denen jeweils ein Drittel (das wie die Lohn- oder Einkommensteuer in Progression eingehoben werden würde), von allen steuerpflichtigen Personen, ein Drittel von den Dienstgebern für die bei ihnen beschäftigten Dienstnehmer und ein Drittel aus Staatsmitteln eingebracht werden soll. Da allerdings — wiederum im Gegensatz zum englischen Gesundheitsdienst - die Krankenkassen (zur Auszahlung von Krankengeldern, Mutterhilfen, Sterbegeldern usw.) erhalten bleiben sollen, würden auch die Pflichtbeiträge für die konventionelle Sozialversicherung wohl reduziert, doch immerhin zusätzlich weiterhin eingehoben werden!

Neben den ernsten Bedenken, die diesem Projekt schon deshalb entgegengebracht werden müssen, weil die tiefgreifende Mechanisierung und Schabionisierung so eines Gesundheitskollektivs eine auch nur annähernd individuelle Behandlung und Medikamentenversorgung des einzelnen, nunmehr endgültig zur namenlosen Nummer degradierten Patienten kaum mehr zulassen würde — und zuzüglich der in überreichlicher Erfahrung begründeten Skepsis, die in jenen Fällen prinzipiell berechtigt erscheint, in denen sich der Staat anschickt, menschliche Belange auf dem Verordnungswege zu organisieren, bliebe abzuwarten, ob so ein aus Gesundheitssteuern und Krankenkassenabgaben gekoppeltes System dem Staatsbürger letztlich nicht teurer zu stehen kommen würde als das derzeitige Pflichtversicherungsprinzip.

Denn während wir einerseits sicher sein können, daß der relativ bescheidene Kostenvoranschlag von drei Milliarden viel eher propagandistischen Motiven als realistischen Berechnungen entspringt, müssen wir uns vor Augen halten, daß mit einem staatlichen Gesundheitsdienst vor allen Dingen die Sanierung des Kassendefizits angestrebt wird — was letztlich nur auf den Steuerzahler zurückfallen kann. Das gilt ebenso für die Lohntüte des Arbeitnehmers, aus der — auf welchen Umwegen immer — ein zusätzlicher Beamtenapparat würde bestritten werden müssen, wie für etwaige kleine, einkommenversteuerbare Nebenverdienste, die künftighin mit einer zusätzlichen Gesundheitssteuer belastet werden würden, wiewohl dem Betreffenden die Betreuung im Krankheitsfälle bereits auf Grund seiner Lohnsteuer, Pension oder Rente zusteht — wie aber auch schließlich für jenes Drittel, mit dem der Staatshaushalt belastet werden soll (und von dem der Aufsatz in „Arbeit und Wirtschaft” scheinheilig als „vorhandene Staatsmittel” berichtet). Man muß da nur ein bißchen weiterdenken — und zwar konsequent und realistisch, nicht demagogisch. Das empfiehlt sich auch in Hinblick auf das so harmlos, quasi nur so nebenbei erwähnte Drittel, das den Unternehmern aufgebrummt werden soll, als weitere Belastung der Industrie und Wirtschaft — und somit zu guter Letzt des Konsumenten.

Nicht zuletzt gilt aber das Augenmerk dem Aerztestand: Neben der zielbewußt-schrittweisen Forcierung der allgemeinen Vermassung, die- unter- den Fittichen wohlklingender und von der breiten ©effentlichkeit bedenkenlos und arglos aufgegriffener Schlagworte in Richtung unüberbietbar scheinender sozialer Errungenschaften die Bevölkerung unter die Abhängigkeit vom Staate führen soll, dürfen wir sicher sein, daß den Initiatoren des verstaatlichten Gesundheitsdienstes etwas ganz besonders am Herzen liegt: die Eliminierung des freien ärztlichen Berufes. Denn während nur jener Patient die „Heilkraft” einer auf straffen Paragraphen beruhenden Behandlungsmethodik würde beurteilen können, der, zwar nur mit dem Meldezettel bewaffnet, dafür aber auch von staatlichen Gesundheitsfunktionären inmitten des Routinebetriebes überfüllter Ambulatorien und mit einer rigoros beschränkten Anzahl von Medikamenten verarztet werden würde, zielt der verstaatlichte Gesundheitsdienst darauf ab, dem Arzt jedwede freie Entscheidung „abzunehmen”.

Der Arzt wäre fixbesoldeter Dienstnehmer des Staates im Achtstundenrhythmus: der Verantwortungsvolle eingeengt in die Zwangsjacke der Verordnungen und Obrigkeitsentscheide, der Verantwortungslosere dem „Gesundheitsdienstpatienten” gegenüber noch bedeutend entfremdeter, desinteressierter als dem Kassenpatienten heute.

Der kleine individuelle Spielraum aber, den die Maschen der ärztlichen Gesetzgebung dem Arzt und Patienten weiterhin (vornehmlich in den Abendstunden, in der Privatordination) gewähren würde, dürfte wohl kaum billiger werden als heute. Der Unterschied würde nur darin liegen, daß ein Patient, der rascher, schmerzfreier, erfolgversprechender oder persönlicher würde geheilt werden wollen, das Privathonorar aus derselben Tasche zahlen müßte, aus der er bereits die Gesundheitssteuer und den Beitrag für die bestehenbleibenden Kassen bezahlt hat. Die Oeffentlichkeit wird gut daran tun, diese „Diskussionsgrundlage” in „Arbeit und Wirtschaft” scharf im Auge zu behalten.

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