6689360-1962_31_04.jpg
Digital In Arbeit

Das Thema bleibt auf der Tagesordnung

Werbung
Werbung
Werbung

Der Friedensschluß zwischen Ärztekammer und Kassenleitung war daher sicher kein voller Sieg Dr. Daumes und seiner engeren Anhänger, die ja mit ihrem Wiener Programm die Gewährung einer rein schematischen Honorarerhöhung in den Vordergrund gestellt hatten, ohne konstruktive Vorschläge für eine Reorganisation des gesamten Honorierungssystems zu machen. Daß eine solche Reorganisation absolut notwendig war und noch ist, wird aber von niemandem, von keiner politischen oder unpolitischen Ärzteorganisation, von keinem politisch nicht gebundenen individuellen Arzt, aber auch von keinem Funktionär der Sozialversicherung und keinem Versicherten, praktisch von keinem vernünftigen Bürger dieses Landes bestritten. Das Thema der zweckmäßigsten Organisation der Krankenversicherung wurde endlich einmal in der ganzen Öffentlichkeit zur Diskussion gestellt und wird so bald nicht mehr unerledigt beiseite geschoben werden; das ist sicher ein Erfolg der Ärzte, aller Ärzte, gegenüber der Mammutorganisation der Sozialversicherungsträger, die sich bisher in ihrer Monopolstellung noch nie bemüßigt gefühlt hatte, über solche grundsätzliche Fragen mit gewählten Vertretern der mit ihnen in Vertrag stehenden Ärzte als gleichberechtigten Partnern im Rahmen ihrer eigenen Organisation zu verhandeln, anstatt ein veraltetes, Ärzte wie Patienten gleichermaßen in ihrem moralischen Standard überforderndes System starr zu verteidigen.

Die Siegesmeldungen der Kasse sind auch bemerkenswert milde und schonungsvoll, um nicht zu sagen flau ausgefallen. Die Notwendigkeit, nach der Urabstimmung der Ärzte nun doch von dem absoluten Nein abzugehen („sie bekommen keinen Schilling mehr als geboten“), läßt ein echtes Siegesgefühl nicht aufkommen. Es besteht die deutliche Tendenz, den „besiegten“ Gegner nicht zu verbittern und um die loyale Mitarbeit der 53 Prozent zu werben, die für die Fortführung des Kampfes gestimmt haben und bereit waren, diesen unter beträchtlichen finanziellen Opfern durchzustehen. Es waren wahrscheinlich nicht gerade die schlechteren und bei den Patienten unbeliebteren Ärzte unter denen, die sich eine solche Haltung leisten konnten.

Warum hat die knappe Mehrheit dieser Unentwegten aber doch nachgegeben und dem Kompromiß zugestimmt? Man kann über die Motive ihrer Führung nur Mutmaßungen anstellen. „Die neue Führung der Ärztekammer hat die Absicht, die Ärzte als geschlossene Gruppe wieder in die Sozialversicherung hineinzuführen ...“, schrieben wir am Beginn des Zustands. Es war darum gegangen, den Grad der Solidarität und der mit ihr verbundenen Opferbereitschaft unter den Ärzten festzustellen und damit die Machtpositionen abzustecken. Wenn die Ärzte die Lehre aus dem abgelaufenen Kampf ziehen und dessen Ergebnis mit den ersten gewerkschaftlichen Kämpfen in der Frühzeit der Arbeiterbewegung vergleichen, so müssen sie nicht unzufrieden sein.

Bisher galt es für die Kassenführung als ein unanzweifelbares Axiom, daß der einzelne Arzt ohne die Sozialversicherung überhaupt nicht existieren könne, daß er sie brauche und nicht die Sozialversicherung ihn. Dies wurde nicht völlig widerlegt, denn für den Großteil der Ärzte waren die Einnahmen aus ihrer Arbeit im Rahmen der sogenannten kleinen Kassen (Bundes-, Meister-, Eisenbahnerkrankenkasse usw.) ein starker Halt in diesem finanziellen Engpaß. Hier wirkte sich die Zersplitterung unseres Krankenkassenwesens, die nur aus der Geschichte der Entstehung der einzelnen Kassen erklärlich ist, günstig für die Ärzte aus. Dadurch, daß die Ärzte für einen Teil der im Hauptverband der Sozialversicherungsträger vereinigten Kassen weiterarbeiten konnten, wurde ihnen das Durchhalten gegenüber ihrem größten Gegner, der Gebietskrankenkasse, erleichtert. Ob davon die Tendenz zu einer Fusion zumindest der Krankenversicherungen ausgehen wird, die parteimäßig gleichgeartete Führungskader haben, wird sich zeigen, die Schwierigkeit, den Genossen Generaldirektor auf gleichem Niveau unterzubringen, steht dem entgegen.

Jedenfalls aber hat sich gezeigt, daß die Ärzte einen Kampf durchhalten können, wohl mit großen finanziellen Einbüßen, aber doch ohne zu verhungern. Der „Zustand“ hat ihren Wohlstand, ihren Lebensstandard bedroht, aber nicht ihre nackte Existenz. Diese Erkenntnis ist ein wichtiger Faktor für den Fall weiterer Auseinandersetzungen. Sie erwächst aus dem Ergebnis der Urabstimmung, die zu einer Zeit stattfand, als sich die Unannehmlichkeiten der Einkommensverminderung schon für viele Ärzte recht bemerkbar machten. Die symptomatische Bedeutung dieser Abstimmung war daher stärker, als wenn sie vor Beginn der Kampfmaßnahmen stattgefunden hätte. Sie wurde ja durchgeführt, als die Einkünfte der Ärzte an einem Tiefpunkt angelangt waren. Allmählich wären diese wieder angestiegen, denn so mancher Patient, der den Besuch beim Arzt aufgeschoben hat, weil er auf eine baldige Beendigung des Konflikts hoffte, wäre früher oder später doch bereit gewesen, ein Honorar auf den Tisch zu legen. Daß nur zehn Prozent der Ärzte bedingungslos kapitulieren wollten, unter diesen sicher so mancher aus politisch-ideologischen, nicht aus rein ökonomischen Gründen und daß sie damit die Mandatare des Ge-werkschaf-esbundes gezwungen haben, einen Weg zu finden, um doch wieder mit Ärztevertretern ins Gespräch zu kommen, ist ein ganz beachtlicher Erfolg, jetzt und für alle Zukunft.

Ins Gespräch zu kommen mit welchen Vertretern der Ärzteschaft? War Daume sehr klug, als er dem Kompromiß zustimmte, obwohl er rein formal, auf Grund des Votums, zur Fortsetzung des Kampfes berechtigt gewesen wäre? Tat er es nur, weil er befürchten mußte, daß es sonst zu Sonderabmachungen mit den 47 Prozent der kompromißbereiten Ärzte gekommen wäre? Oder wollte er zeigen, daß er kein Hitzkopf, sondern ein geschickter Taktiker ist, der zwischen harten Kampfmaßnahmen und elastischem Einlenken variieren und langsam durch kleinere Erfolge die Position der Ärzte verbessern, das fortschreitende finanzielle und soziale relative Absinken des ehemals bevorzugten Standes im Vergleich zu anderen Berufsgruppen aufhalten kann? Wird das seinen Einfluß auf die Ärzteschaft vermehren und festigen oder werden sie bei der nächsten Ärztekammerwahl in größerer Zahl wieder zu ihren alten Organisationen zurückfinden?

Dies wird in erster Linie davon abhängen, ob die beiden politisch maßgebenden Gruppen der ÖVP- und der SPÖ-Ärzte imstande sein werden, konstruktive Programme vorzulegen. Heute sieht ein Teil der Ärzte in den Mandataren dieser Gruppen sicher nur Manager, die den Verlust ihrer führenden Positionen nicht verwinden und dem Außenseiter keinen durchschlagenden Erfolg gönnen können, die deshalb bereit waren, ihre Anhänger zum Streikbruch aufzurufen und daher nichts anderes sind als „Gelbe“. Für die sozialistischen Ärzte ist dieser Vorwurf angesichts ihrer ideologischen Tradition sicherlich eine schwere Bürde, für die bürgerlichen Ärzte ebenso angesichts der politischen Position des Arbeitgebers, dem ihre Haltung zugute kam.

Auf lange Sicht werden diese politischen Gruppen nur dann wieder Boden zurückgewinnen können, wenn sie grundsätzliche Fragen aufwerfen und eine klare Haltung dazu beziehen. Ein Anfang ist gemacht mit der Vereinbarung der Bestellung eines ständigen ärztlichen Beirates der Gebietskrankenkasse, der aus gewählten Vertretern der Vertragsärzte zusammengesetzt sein soll. Freilich besteht da wohl bei dem Sozialversicherungsträger die leise Hoffnung, in diesem Beirat eine Mehrheit gefügigerer Vertreter bzw. im guten Sinn echter, dem Gedanken der Volksgesundheit ergebener Mitarbeiter zu gewinnen und auf dem Umweg über diese Organisation die Ärztekammer auszuschalten für den Fall, daß keine genehmere Kammerführung mehr zustande kommt. Aber hier kommt es weniger auf das Motiv als auf das Prinzip an. Zum erstenmal wird anerkannt, daß es nicht angeht, keinem gewählten Vertrauensmann der Ärzte auch nur den leisesten Einfluß auf die Verwaltung und Gebarung der Krankenkasse, ja auch nur den geringsten Einblick in diese zu gewähren. Wenn die Mandatare der den beiden Regierungsparteien nahestehenden Ärzteorganfc sationen klug sind, dann haken sie hier ein und versuchen, aus diesem Beirat ein echtes Instrument zur allmählichen Demokratisierung der Kass:nverwal-tung zu machen. Sie können auf eine

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung