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Hoffnung, aber keine falsche

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Gespräche über Krebs” im Wilhelminenspital in Wien. Der Hörsaal der Schwesternschule ist voll besetzt mit Krebspatienten und ihren Angehörigen. Sie wollen soviel wie möglich über die Krankheit erfahren, um besser damit fertigzuwer-den - oder zumindest damit leben zu können. Sie kennen ihre Befunde, die statistischen Heilungschancen, die üblichen Therapien; Wunder erwarten sie nicht. Trotzdem ist beim Thema „Komplementärmedizin” die Spannung spürbar. Sogar die Anstecknadel der Beferentin erregt Aufmerksamkeit: Eine stilisierte Mistel ein alternatives Krebsheilmittel.

Ein Bild, das Jutta Hellan, Leiterin der Ambulanz für Komplementärmedizin im Wiener AKH, jedoch sofort korrigiert: „Es gibt in der Onkologie keine Alternative. Die Therapie zur Verkleinerung der Tumormasse muß durch Operation, Chemo- oder Strahlentherapie erfolgen. Was es zusätzlich gibt, sind Begleitmaßnahmen, die dabei helfen, den Gesamtzustand zu verbessern und Nebenwirkungen der Therapien zu erleichtern.”

Die Inhaltsstoffe der Mistel in der anthro-posophischen Medizin das Gegenbild zum Krebs steigern die körpereigenen Ab-wehrkräfte. Untersuchungen konnten das inzwischen bestätigen. Viele Patienten, die Mistelpräparate erhalten, vertragen die Chemotherapie besser und fühlen sich insgesamt wohler.

Derzeit läuft am Wiener AKH eine Studie, die den Nachweis dafür erbringen könnte. Jutta Hellan: „Schon jetzt steht fest, daß Mistelpräparate im Vergleich zu Placebos eine signifikante Verbesserung des Gesamtzustandes herbeiführen können.” Daß auch das Tumorwachstum gehemmt werde, konnte dagegen bis jetzt nicht bestätigt werden. Damit ist eines klargestellt: Krebs heilen kann die Mistel therapie nach dem heutigen Wissensstand nicht. Viele weitere komplementär-

Als Begleitmaßnahme zu Krebsoperation, Chemo-und Strahlentherapie machen alternative Behandlungsmethoden durchaus Sinn. medizinische Methoden werden in der begleitenden Krebstherapie eingesetzt; empfehlenswert seien, so Hellan, nur einige wenige: „Vieles, was hier geschieht, kostet nur Geld und bringt nichts - ganz abgesehen davon, daß die Behauptung, daß alle diese Dinge unschädlich seien, einfach nicht stimmt.”

Das Mißtrauen der Schulmedizin gegen die Krebs-Begleittherapien ist entsprechend groß; auch deshalb, weil von manchen Verfechtern von Alternativmethoden zu große Hoffnungen geschürt werden. „Wir nehmen alles, was tatsächlich wirkt, mit offenen Armen auf, so Universitätsprofessor Heinz Ludwig, Vorstand der onkologischen Abteilung des Wilhelminenspitals. „Nur: Bis jetzt wirkt nichts, zumindest nicht in dem Sinne, daß der Tumor kleiner wird.” Daß eine Steigerung des Wohlbefindens der Patienten viel wert sei, räumt Ludwig trotz grundsätzlicher Skepsis ein: „Wenn die Komplementärmedi -zin dazu etwas beitragen kann, dann soll sie es tun, solange die medizinisch notwendigen Behandlungen dadurch nicht gestört werden.” Als „geprüft und wertvoll” für die begleitende Krebstherapie bezeichnet Jutta Hellan die Anwendung von Enzymen, Vitaminen und Spurenelementen, wenn auch der klinische Nachweis ihrer Wirksamkeit bis jetzt fehlt. „Die vielfach beobachtete Verbesserung der Lebensqualität ist schwer zu objektivieren und nicht meßbar”, meint Hellan. Krebskranke haben eine erhöhte Neigung zu Thrombosen, Embolien und Venenentzündungen; Enzyme - Eiweißstoffe, die als „Katalysatoren” chemische Reaktionen im Organismus beschleunigen - können dem entgegenwirken. Studien haben bestätigt, daß die Chemotherapie in Kombination mit der Gabe von Enzymen besser verträglich ist.

Die Vitamine E und A sind Hauptbestandteile der sogenannten Antioxidantien, die freie Radikale (Moleküle oder Molekülbruchstücke mit zellschädigender Wirkung) binden und unschädlich machen können. Freie Radikale entstehen nicht nur durch Umweltgifte und falsche Ernährung, sondern auch bei der Chemo- und Strahlentherapie. Nach neueren Untersuchungen gibt es Hinweise dafür, daß Krebsvorstufen mit hohen Dosen von Vitamin A rückgängig gemacht werden können.

Daß Vitamin E die Gefäße schützt und damit Herzinfarkten und Schlaganfällen vorbeugen kann, hat die vor kurzem veröffentlichte „Cambridge-Studie” nachgewiesen. Im Zusammenhang mit Krebs hat das besonders für Frauen Bedeutung: Die Chemo-und die Strahlentherapie, aber auch Hormontherapien können zu einem Östrogenmangel führen. Damit fehlt eine wichtige Schutzsubstanz gegen den Herzinfarkt.

Dem ebenfalls durch den Östrogenmangel erhöhten Bisiko von Krebspatientinnen, an Osteoporose zu erkranken, kann durch Vitamin D in Kombination mit Calcium entgegengewirkt werden. Vitamin C stärkt nicht nur das Immunsystem, sondern verhindert auch, daß (in Blattgemüse enthaltene) Nitrate und Nitrite in krebserregende Nitrosamine umgewandelt werden.

Auch Spuren-demente wie Selen oder Magnesium erfüllen Schutzfunktionen und können schädliche Nebenwirkungen von Krebstherapien mildern. Viele der Komplementärmethoden zielen auf eine Stärkung körpereigener Schutzmechanismen ab. Die Bedeutung des Immunsystems im Zusammenhang mit Krebs ist auch in der Schulmedizin unbestritten. Die Fähigkeit von Antikörpern, Tumorzellen aufzuspüren, wird bei einer neuen Krebstherapie genützt, die tatsächlich eine Verkleinerung von Tumoren bewirken kann: „Dem Patienten werden Antikörper gespritzt, die entweder selbst in der Lage sind, die Tumorzelle zu zerstören, oder aber eine Trägerfunktion erfüllen: Badioisotopenmaterial wird zur Krebszelle transportiert und zerstört sie”, erläutert der Onkologe Peter Sagaster, Universitätsdozent in Wien. Mit dieser schulmedizinischen Immuntherapie ist eine Bekämpfung der Tumorzellen möglich, ohne daß gesunde Zellen angegriffen werden. (Siehe FlJRCHE 33/1996).

Die entscheidenden Fortschritte in der Krebsbekämpfung werden wahrscheinlich auch in Zukunft von der Schulmedizin ausgehen; wie wertvoll aber auch die vorurteilsfreie Auseinandersetzung mit Komplementärmethoden wäre, zeigt sich gerade am Bei -spiel Krebs. Nicht „entweder-oder”, sondern „sowohl-als auch” - diese Devise seriöser Komplementärmediziner sollte wohl auch in die wissenschaftliche Medizin Einzug halten.

Voraussetzung dafür ist, daß Komplementärmethoden - selbst wenn sie sich dem exakten wissenschaftlichen Nachweis entziehen - zumindest durch klinische Studien belegt und hinsichtlich ihrer Möglichkeiten und Grenzen möglichst genau definiert werden.

Das haben die „Gespräche über Krebs” gezeigt: Krebspatienten ertragen Wahrheit, sogar erstaunlich viel davon. Sie brauchen Hoffnung - keine falschen Hoffnungen.

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