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„Medizin-Ethik" gelungen

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Dieses Lexikon ist kein Wörterbuch, es ist auch kein Nachschlagewerk, das lexikalisch Definitionen, Erklärungen oder In- terpretationen heruntertrommelt. Dafür ist es zu unvollständig. Aber es ist ein mutiger Versuch, heraus- gefordert durch die Errungenschaf- ten der modernen Medizin, ver- schiedene Lebens- und Wissensbe- reiche zu verbinden.

Der Generationswechsel in der Medizin verlangt nach einem sol- chen Lexikon. Standen unsere Lehrer vor dem Problem „Kann die Medizin, was sie soll?", so drängt sich uns heute immer häufiger die Frage auf: „Darf die Medizin, was sie kann?" Dafür sind sicherlich nicht nur die großen Fortschritte in allen Bereichen der Medizin ver- antwortlich. Diese Fragen stellen sich auch durch die Veränderungen in der Gesellschaft.Immer mehr wird das einst personale Arzt-Pa- tient-Verhältnis - in dem die Medi- zin ethisch und rechtlich nach „dem guten Gewissen des Arztes" alles tun durfte - durch ein Konsilium Patient-Arzt-pflegerisches Team ersetzt, wobei gerade in diesem Zusammenwirken Konflikte der Medizin mit ethischen und rechtli- chen Werten transparent werden.

Um diese neuen Aufgaben der modernen Medizin für die Patien- ten und für die Gesellschaft befrie- digend zu lösen, ist zweifellos ein interdisziplinäres Vorgehen erfor- derlich. Dieser Anforderung ver- sucht das Lexikon gerecht zu wer- den. Ein Lob: es ist gelungen.

Formal einheitlich, sachlich fun- diert und allgemein verständlich für Ärzte aller Fachrichtungen wie auch für Nichtmediziner, funda- mentale genauso wie aktuelle Fra- gen der Medizin aufgreifend, ver- sucht das Buch Informationen zu- sammenzufassen und interdiszipli- näre Verbindungen aufzubauen, um neue Perspektiven zu vermitteln.

Grundlegende Begriffe wie Le- ben, Krankheit, Tod werden genau- so nach medizinischen, ethischen und rechtlichen Betrachtungen be- handelt und interpretiert wie kom- plexe Probleme einer modernen Me- dizin, wie Gesundheitswesen, Kran- kenhaus oder Ethikkommission. Auch zeitgemäße Darstellungen zu aktuellen Fragen wie Aids, In-vi- tro-Fertilisation oder Gentechnik werden im Lexikon gegeben. So heißt es etwa zur Gentechnik:

„Es wird in absehbarer Zeit möglich sein, ein funktionsfähiges Gen in Patientenzellen außerhalb des Körpers einzuführen, diese Zellen zu vermehren und sie wieder in den menschlichen Körper zu- rückzuverpflanzen... Bei Tieren und Pflanzen ist es heute schon möglich, genetisches Material in die Keimzellen einzuführen, so daß die Veränderung nicht nur an dem behandelten Organismus, sondern auch an seinen Nachkommen sicht- bar wird... Es ist heute nicht abzu- sehen, daß eine solche Methode ohne unvertretbare Risiken entwickelt werden könnte.

Die somatische Gentherapie stellt als medizinischer Eingriff in das Leben einer Person kein radikal neues ethisches Problem dar, son- dern muß etwa in der Dimension von Organtransplantationen gese- hen werden,.. .ist ethisch allerdings auch zu fragen, ob nicht durch die Beurteilung der Qualität von Le- ben die Achtung vor ihm immer weiter vermindert wird oder gar verloren geht... Wenn an der be- fruchteten Eizelle ein gentechnolo- gischer Eingriff erfolgt, und sei es mit medizinischer Zielsetzung, dann wird nicht eine existierende Person geheilt, sondern ihre Identi- tät manipuliert. Hier wird nicht die Heilkunde verbessert, sondern ihr fundamentales Gebot verletzt.

Generationen übergreifend könn- te das gentechnische Wissen unse- rer Zeit zu einer ständig wachsen- den Macht über kommende Gene- rationen führen, und das heißt, von jenen aus gesehen: zu einer Herr- schaft der Toten über die Lebendi- gen, der zudem die neue Qualität einer absoluten Irreversibilität eig- nete... Eine entsprechende Gesetz- gebung zur Gentechnik ist daher unabdingbar, und zwar gleicher- maßen im Interesse der Gesellschaft wie des einzelnen, nicht zuletzt auch des Forschers selber."

Allgemein verständlich werden medizinische Begriffe zum Teil in ihrer historischen Entwicklung dargestellt, um eine Analyse ihrer ethischen und rechtlichen Werte verständlich zu machen. Ein be- sonderes Anliegen des Lexikons besteht in der Darstellung der ethi- schen Verantwortlichkeit der Me- dizin heute, wobei versucht wird, verschiedene philosophische Aspekte aus der Geschichte zu berücksichtigen.

Zweifellos wird einem bei der Lektüre - insbesondere aktueller Themen - rasch bewußt, welch großer Nachholbedarf bezüglich rechtlichem Anspruch und rechtli- chem Schutz besteht, gleicherma- ßen für Patient und Arzt. Für alle, die mit der heutigen Medizin kon- frontiert werden oder sich mit ihr kritisch auseinandersetzen wollen, erweitert und ergänzt das Lexikon den Wissensstand um wichtige und fundamentale Informationen.

Der Autor ist Mitarbeiter am Ludwig Boltz- mann-Institut für Leukämieforschung und Hämatologieam Wiener Hanusch-Krankenhaus.

LEXIKON MEDIZIN, ETHIK, RECHT. Her- ausgegeben von Albin Heser, Markus von Lutte- rotti, Paul Sporken unter Mitwirkung von Franz Josef Iiihardt und Hans-Georg Koch. Herder- Verlag, Freiburg/Breisgau 1989. 1.296 Seiten, geb., öS 686,-.

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