... ohne den Lebensmut zu verlieren

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Immer wieder überraschen Menschen mit der Fähigkeit, auch inhumane Lebensumstände zu bewältigen: Vom Geheimnis der Resilienz.

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Immer wieder überraschen Menschen mit der Fähigkeit, auch inhumane Lebensumstände zu bewältigen: Vom Geheimnis der Resilienz.

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Dem kleinen William hätte wohl niemand eine große Zukunft prophezeit. Er wurde zwar in Arkansas in einem Dörfchen namens Hope geboren, aber Hoffnung gab es in seinem jungen Leben kaum. Als William eines Tages wieder einmal seine Mutter vor dem gewalttätigen Stiefvater zu schützen versuchte, schoss dieser sogar auf die beiden. Im Suff verfehlte er sie, aber die Einschusslöcher beließ er als Mahnmal in der Wand. Trotz allem nahm William, den sie Billy nannten, mit 14 Jahren den Nachnamen seines Stiefvaters an. Als Bill Clinton sollte er weltberühmt werden. Ein anderes Kind mit anderer Konstitution wäre in diesem Zuhause womöglich zugrunde gegangen. William aber gelang es sogar, zum Präsidenten der USA aufzusteigen. Weshalb hielt er die Tyrannei und Verachtung seines Stiefvaters aus? Was hat dieses Kind so stark gemacht?

Eine geheimnisvolle Widerstandskraft

Immer wieder überraschen Menschen wie Bill Clinton mit ihrer Resilienz. So nennen Fachleute die Fähigkeit, Krisen, Herausforderungen und Schicksalsschläge zu bewältigen, ohne daran zu zerbrechen. Es ist diese geheimnisvolle psychische Widerstandskraft, die einem kleinen Jungen mit einem gewalttätigen Stiefvater die Fähigkeit verleiht, ein solches Martyrium zu überstehen, während andere Menschen schon an viel kleineren Schicksalsschlägen zerbrechen. Resilienz ermöglicht es dem einen Unternehmer, nach dem Bankrott seiner Firma gleich wieder vor neuen Ideen zu sprudeln, während sich ein anderer aufgibt. Sie sorgt dafür, dass eine Frau nach dem Ende einer großen Liebe bald neuen Sinn im Leben findet, während eine andere ihr Schicksal im Alkohol ertränkt. Und sie hilft auch, den Tod eines Partners zu verwinden oder eine schwere Krankheitsdiagnose wie Multiple Sklerose zu bewältigen, ohne den Lebensmut zu verlieren.

Ganz offensichtlich gibt es Zeitgenossen, die wie Felsen in der Brandung kaum zu erschüttern sind. Von ihnen möchten alle gerne lernen. Deshalb haben sich Psychologen auf die Suche nach den Quellen der Resilienz gemacht. Sie wollen die Strategien erkunden, mit denen sich die Lebenstüchtigen durch Krisen manövrieren, und die Ressourcen finden, die sie dafür bereithalten. Inzwischen haben Forschungsergebnisse nicht nur aus der Psychologie, sondern zunehmend auch aus der Neurobiologie und Genetik zum Verständnis der psychischen Widerstandskraft beigetragen.

Die Ursprünge der Resilienzforschung gehen in die 1950er-Jahre zurück. Damals begann die amerikanische Entwicklungspsychologin Emmy Werner eine Studie auf der hawaiianischen Insel Kauai. Vier Jahrzehnte lang beobachtete Werner dort 698 Jungen und Mädchen. Deren Chancen auf ein schönes Leben standen alles andere als gut. Armut, Vernachlässigung, Misshandlung prägten ihre Kindheit. Nicht selten waren die Ehen der Eltern zerrüttet, Geld fehlte immer, viele Väter waren süchtig nach Alkohol.

Ein Drittel dieser Kinder aber wuchs trotz der schwierigen Umstände zu selbstbewussten, fürsorglichen und leistungsfähigen Erwachsenen heran, die im Beruf wie in persönlichen Beziehungen bestanden. Das Besondere an Emmy Werner war, dass sie sich für diese Kinder interessierte, die sich gut entwickelten, und Faktoren in ihrem Leben herausfinden wollte, die die Kinder stark machten. Dabei zeigte sich: Der allergrößte Schutz im Leben ist Bindung.

Die starken Kinder von Kauai hatten etwas, das die anderen, die früh Schulprobleme bekamen oder mit dem Gesetz in Konflikt gerieten, nicht hatten: Es gab zumindest eine liebevolle Bezugsperson, die sich um sie kümmerte. "Das ist unsere pädagogische Chance", sagt Monika Schumann, Professorin für Heilpädagogik an der Katholischen Hochschule Berlin. "Eine solche Bindung macht so stark, dass viele negative Faktoren dadurch wieder wettgemacht werden." Dabei muss die Vertrauensperson nicht unbedingt Mutter oder Vater sein. Eine Tante, ein Lehrer, eine Nachbarin können diese Rolle füllen. "Wichtig ist es, Kindern auf Augenhöhe zu begegnen", sagt Schumann. "Jemand muss ihnen Geborgenheit geben, ihre Fortschritte anerkennen, ihre Fähigkeiten fördern und sie unabhängig von Leistung und Wohlverhalten lieben: Das macht stark fürs Leben."

Das heißt aber nicht, dass man Kinder in Watte packen soll, betont Friedrich Lösel von der Universität Erlangen. Schon die Kleinsten sollten im Sandkasten ihren Streit um die Förmchen austragen. "Wenn Menschen nicht als Kinder lernen, sich bei Gegenwind zu behaupten, werden sie es als Erwachsene auch nicht gut können." Wer stark werden will, muss auch Frust aushalten. Dabei sollten die Kinder aber nicht sich selbst überlassen bleiben. "Wenn sie überfordert sind oder scheitern, muss jemand für sie da sein", sagt Lösel.

Auf diese Weise erlangen die Starken eine weitere wichtige Fähigkeit. Weil sie gelernt haben, dass sie sich auf andere verlassen können, suchen sie sich in der Not gezielt die Hilfe, die sie brauchen. Auch wer stark ist, ist nämlich keineswegs immer gut drauf. Zum Starksein gehört es durchaus, nach einer Krebsdiagnose mit dem Schicksal zu hadern oder nach der Kündigung in ein tiefes Loch zu fallen. Wissenschaftler dachten zunächst, die starken Kinder von Kauai seien unverwundbar. "Nein, das sind sie nicht", erläutert Emmy Werner. "Sie sind verwundbar, aber unbesiegbar."

Das eigentliche Rüstzeug fürs Leben

Wer lebenstüchtig ist, steht eben bald wieder auf -auch, weil ihn mehr stützt im Leben als nur eine einzige Säule. "Wer aus mehreren Quellen Selbstwertgefühl bezieht, kommt mit Niederlagen einfach besser zurecht", sagt Monika Schumann. Der Rüffel des Chefs geht ins Leere, wenn der Beruf nicht das einzig Sinnstiftende im Leben ist. Der misslungene Vortrag ist vergessen, sobald am Abend die Kinder vor Freude quietschen.

Die Resilienz ist das eigentliche Rüstzeug fürs Leben. Dabei zeigen psychologische Tests: Starke Menschen sind emotional ausgeglichener. Das liegt zum Teil an ihren Genen. Wer bestimmte Erbanlagen hat, die den Stoffwechsel des Glückshormons Serotonin im Gehirn beeinflussen, bildet in unangenehmen Situationen weniger Stresshormone. Mehrere Resilienz-Gene haben Wissenschaftler inzwischen gefunden. Die meisten von ihnen greifen in den Serotonin-Stoffwechsel ein. Doch ihre Wirkung ist nicht so linear, wie ihr Name vermuten lässt: Es ist nicht so, dass Menschen mit der "starken" Gen-Variante stark sind und die anderen schwach. Vielmehr machen die Gene offenbar nur vor dem Hintergrund biografischer Ereignisse stark oder schwach. So sind Jugendliche mit einer vulnerablen Gen-Variante für den Serotoninrezeptor nur dann anfälliger für Depressionen, wenn sich in ihrem Leben starke Verletzungen ereignen - wenn etwa der Vater prügelt. Jugendliche mit derselben Gen-Variante, die in einer liebevollen Familie aufwachsen, haben hingegen kein höheres Risiko für Depressionen.

Allerdings zeigt die Forschung mehr und mehr: Die Wechselwirkung zwischen Genen und Umweltfaktoren ist noch viel komplexer als bisher vermutet. Das belegen auch die neuen Erkenntnisse der Epigenetik: Diese Fachrichtung beschäftigt sich mit der Veränderlichkeit der Gene. Die Wissenschaft weiß heute, dass das Leben den Genen seinen Stempel aufdrückt. Die Erbanlagen verändern sich im Laufe des Lebens molekular. Nicht nur Traumata hinterlassen auf diese Weise ihre Spuren im Genom. Auch sportliche Aktivität und Ernährung verändern die Erbanlagen.

Scheitern von Anfang an einkalkuliert

Die Gene bilden demnach eine wichtige Grundlage für die psychische Entwicklung eines Menschen. Aber sie sind letztlich nur die Bühne, auf der die Person tanzen kann. Umwelt und Erbanlagen, sie haben beide einen in etwa gleich großen Einfluss auf den Menschen, heißt es inzwischen. Die Effekte sind ohnehin oft nur schwer auseinanderzuhalten: Starke Persönlichkeiten entwickeln sich zum Beispiel nicht nur durch eine liebevolle, fördernde Umwelt besonders leicht. Umgekehrt gestalten starke Persönlichkeiten ihre Umwelt meist auch stärker als dies vulnerable Personen tun.

"Resiliente Menschen kennen sich oft besonders gut", sagt Monika Schumann. Wer einen unverstellten Blick auf sich selbst hat, sucht sich seinen Partner fürs Leben und seinen Arbeitsplatz nach eigenen Kriterien, Bedürfnissen und Vorlieben und nicht nach den Maßstäben anderer, zu denen vielleicht eine schwarze Dienstlimousine oder ein weißer Arztkittel gehören. So werden Job und Ehe zu Kraftspendern statt zum Ort ständigen Energieverlusts.

Deshalb beginnen die meisten Trainings zum Aufbau von Resilienz damit, dass Menschen ihre Stärken herausfinden. Auch wenn die Grundlagen der seelischen Stärke schon früh gelegt werden, so kann man Resilienz auch als Erwachsener noch erlernen. Wer sich nicht gewappnet fühlt für den nächsten Sturm, dem empfiehlt Friedrich Lösel folgende Strategie: "Man sollte sich nicht zu viel zumuten, aber durchaus einigen Anforderungen stellen." An den Erfolgen lerne man, dass schwierige Aufgaben zu meistern sind. Und wer von Anfang an auch Scheitern einkalkuliert, der lernt auch aus Misserfolgen, ohne diese nur negativ zu sehen.

Die Autorin ist Wissenschaftsredakteurin bei der Süddeutschen Zeitung in München

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