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Wieviel Gift steckt im Essen ?

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Nicht die steigende Schadstoffbelastung, sondern übermäßiges Essen bedroht unsere Gesundheit, bestätigen jüngste wissenschaftliche Untersuchungen. Das FURCHE-Dossier widmet sich der Frage, wie wir unsere Gesundheit durch vernünftige Ernährung auch in Zukunft erhalten können.

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Nicht die steigende Schadstoffbelastung, sondern übermäßiges Essen bedroht unsere Gesundheit, bestätigen jüngste wissenschaftliche Untersuchungen. Das FURCHE-Dossier widmet sich der Frage, wie wir unsere Gesundheit durch vernünftige Ernährung auch in Zukunft erhalten können.

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F[URCHE: Die neuesten Untersuchungen des Statistischen Zentralamtes zeigen österreichweit einen eindeutigen Trend zur gesünderen Ernährung. Andererseits leidet noch immer ein Drittel der Bevölkerung an Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und anderen typischen Zivilisationskrankheiten. Essen wir uns nicht langsam zu Tode?

PROFESSOR MICHAEL KUNZE: Zunächst ist einmal festzuhalten, daß natürlich Veränderungen im Ernährungsverhalten eine Zeitlang bestehen müssen, bevor sie sich in Gesundheit oder Krankheit auswirken können. Das Phänomen, das wir zur Zeit beobachten, ist, daß es nach dem Krieg zu einem ausgeprägten Wohlstandskonsum gekommen ist, es geht den Leuten besser, sie haben mehr Geld zur Verfügung, um sich ausreichend und überreichlich zu ernähren. Jetzt ist das Problem, das in der Menschheitsgeschichte neu ist, daß Nahrung im Überfluß vorhanden ist. Die Menschheitsgeschichte insgesamt ist aber geprägt von der Erkenntnis, daß Nahrung knapp und die Masse der Menschen heute auf der Welt schlank ist, weil sie schlank sein müssen, da sie nicht genug zum Essen haben.

FURCHE: Welche Folgen haben sich aus diesem Emährungsver- halten ergeben?

KUNZE: Es geht hier vor allem um den Fettkonsum, um das tierische Fett. Ganz einfach deshalb, weil wir ja alle aus der bäuerlichen Bevölkerung kommen und dort der Fleisch- und Fettkonsum etwas ganz Besonderes ist.

Gleichzeitig haben wir aber auch einen neuen Trend, der insbesondere von den Gebildeten und Jungen ausgeht, eine Hinwendung zur sogenannten gesunden Ernährung, eine bewußte Abkehr vom Fleischkonsum, von den tierischen Fetten, und eine Hinwendung zu pflanzlichen Fetten, ein neuer Lebensstil.

Zum Teil hängt diese Entwicklung mit einem neuen Ernährungsbewußtsein und allgemein steigendem Interesse an diesen Fragen zusammen, zum Teil auch mit oft übersteigerten Befürchtungen einer schleichenden Vergiftung. In Österreich stimmt das meiner Meinung aber nicht. Die Nahrungsmittel werden sehr genau kontrolliert und die Probleme mit den Rückständen oder beispielsweise mit der Radioaktivität sind vergleichsweise zu anderen Problemen des Uberkonsums verschwindend gering.

FURCHE: Trotzdem sprechen die Krankheitsstatistiken noch immer eine ganz andere Sprache …

KUNZE:… das ist die andere Seite des Problems. Die Lebens- • erwartung hat allgemein stark zugenommen, die Leute werden immer gesünder, das hängt auch mit der Ernährung zusammen. Dadurch müssen einfach gewisse Krankheiten stärker auftreten, vor allem Abnützungserkrankun gen werden häufiger sowie Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, weil die Leute das einfach erleben können.

FURCHE: Welche Änderungen in der Ernährungsweise der breiten Masse der österreichischen Bevölkerung halten Sie für vorrangig?

KUNZE: Es gibt für die österreichische Situation ganz einfache Richtlinien. Die erste wäre: Der Fettkonsum ist zu hoch, er gehört reduziert. Wir nehmen fast die Hälfte unserer Energie in Form von Fett auf. Eine Reduktion erscheint daher unumgänglich.

Man kann einerseits bei den sogenannten sichtbaren Fetten sparen, wie Fett wegschneiden oder weniger Butter aufs Brot streichen. Das eigentliche Problem bilden aber die versteckten Fette, etwa in der Wurst.

Hier gibt es interessante Initiativen: Die Salzburger Fleischhauer haben aus der Not eine Tugend gemacht und bieten nun wesentlich fettreduziertere Würste an als bisher. Das ist natürlich auch ökonomisch für die Fleischhauer interessant. Wir bekennen uns dazu, daß wir mit der Industrie, mit Handel und Gewerbe Zusammenarbeiten müssen, sie sollen neue intelligente Produkte bringen, die auch zum Teil teurer sind, aber besseren Umsatz bringen.

Das zweite ist sicher die Hinwendung von tierischen zu pflanzlichen Produkten. Damit erhöhe ich nämlich gleichzeitig meinen Ballaststoffgehalt, und dieser führt automatisch wieder zu einer Senkung meines Fettgehalts. Durch mehr Gemüse- und weniger Fleischkonsum leiste ich einen Beitrag zur eigenen Gesundheitsvorsorge, vielleicht sogar zur Krebsvorsorge und steigere mei ne Vitaminzufuhr.

Beim Salzkonsum liegen wir vermutlich auch zu hoch, vor allem das versteckte Salz im Brot Htldet hier ein Problem.

FURCHE: In den USA gibt es seit mindestens zwei Jahrzehnten eine breite Aufklärungskampagne von Medien, Ärzten, Regierungsverantwortlichen und Sozialarbeitern, die zu überraschenden Verbesserungen in der allgemeinen Gesundheitsstatistik geführt hat. Wird in Österreich Ihrer Ansicht genug an Aufklärungsarbeit geleistet?

KUNZE: Im Moment hat man den Eindruck, daß sehr viel getan wird. Österreich ist aber im gesamten modernen Gesundheitswesen noch immer ein Entwicklungsland. Wir haben einen ungeheuren Nachholbedarf. Das, was in Amerika bereits vor zehn, fünfzehn Jahren diskutiert wurde, beginnt hier erst jetzt. Das hängt zum Teil sicher mit der Grün-Bewegung zusammen, mit einem verstärkten Körperbewußtsein und vor allem auch damit, daß wir einfach einen Nachkriegsnachholbedarf überwunden haben.

Es geht heute nicht mehr um die bloße Erhaltung des Kadavers, sondern wir können zu einer neuen Einfachheit zurückkehren.

FURCHE: Das ungeheure Ansteigen der sogenannten Zivilisationskrankheiten belastet zunehmend das staatliche Gesundheitsbudget. Lassen sich einigermaßen die Kosten abschätzen, die wir durch eine gesündere Ernährung uns allen ersparen könnten?

KUNZE: Dazu gibt es keine genauen Zahlen. Ohne Zweifel müßten aber die enormen Krankheitsbehandlungskosten eingespart werden. Das hängt von vielen Einflußfaktoren ab, beispielsweise vom Angebot der medizinischen Leistung.

FURCHE: Welche Aufgaben könnten hier vor allem die Hausärzte übernehmen?

KUNZE: Die Hausärzte in Tirol und Vorarlberg lernen eine deutlich andere Einstellung zur Be völkerung als im Osten unseres Landes. Sie lernen, daß sie nicht nur zur Behandlung von Kranken da sind, sondern auch zur Gesunderhaltung der Gesunden. Die gesamte Vorsorgemedizin könnte hier neue, sinnvolle und auch ökonomische Beschäftigungen für Ärzte bieten.

FURCHE: Welches Mahlzeitverhalten würden Sie als das für unseren Organismus günstigste betrachten?

KUNZE: Da klafft wieder ein großer Unterschied zwischen Soll und Ist. Die Ernährungsphysiologen sagen uns, man sollte häufiger kleine Mahlzeiten über den Tag gleichmäßig verteilt einnehmen, mit einer gewissen Tendenz, die gegen Abend hin abnimmt. Das hat große Bedeutung für die gesellschaftliche Beziehung des Essens. Es ist eine gewisse Abkehr vom großen gemeinschaftlichen Essen mit großen Portionen. Das hängt auch sehr mit der veränderten Rolle der Frau zusammen, die heute nicht die Zeit hat, groß aufzukochen.

FURCHE: Wir sind gewohnt, im Supermarkt das ganze Jahr über praktisch alles angeboten zu bekommen. Ist das auch immer vernünftig, wenn beispielsweise der deutsche Ernährungsbericht für 1988 vor holländischem Salatgenuß im Winter warnt, weil er oft eine bedenklich hohe Nitratbelastung auf weist?

KŪNZE: ES ist grundsätzlich eine positive Entwicklung, daß wir eine ganze Fülle von Produkten zur Verfügung haben. Ich kann mich aber nicht auf die Salatproblematik einlassen, die ich im einzelnen nicht kenne. Aber allein aus Abwechslung heraus ist es sicher interessant, das ganze Jahr über Gemüse haben zu können.

FURCHE Einerseits leiden viele Menschen an Übergewicht, andererseits stellen wir beispielsweise bei Kindern oft erschrek- kende Mangelerscheinungen fest.

K UNZE: Nicht nur bei Kindern. Ich glaube, es wird bald ein Problem bei jungen Frauen auftauchen, die als Mädchen einem gewissen Schönheitsideal nachgeeifert haben. Es wird in einigen Jähren zu einem neuen Gesundheitsproblem der extrem schlanken jungen Frau kommen, die Mangelerscheinungen etwa im Bereich der Knochen aufweist. Es gibt eben neben der Uberversorgung eben auch das Problem der Unterversorgung. Deshalb versuchen wir auch die Schuljause der Kinder neu zu gestalten.

FURCHE: Welche Maßnahmen zur gesundheitlichen Besserstellung unserer Bevölkerung würden Sie dem Gesundheitsminister am ehesten anraten?

KUNZE: Man kann von staatlicher Seite nichts machen, was nicht im Trend da ist. Wir können nur vorhandene Trends verstärken. Ein Trend ist sicherlich die oben erwähnte Hinwendung der jungen Leute zu mehr pflanzlicher Ernährung, zu mehr Landwirtschaft. Vielleicht könnte auch die Produktdeklaration noch vieles verbessern.

Im allgemeinen ist aber Optimismus angebracht. Seien wir doch eigentlich froh, daß wir das Problem des Überflusses haben, die Masse der Erdbevölkerung hat dieses Problem nicht.

Univ.-Prof. Dr. Michael Kunze ist Vorstand des Instituts für Sozialmedizin in Wien. Das GesprSch mit ihm führte Josef Graisy.

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