Zeit zum Ausdämpfen

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"Schon früh tobte eine medizinische Debatte über die umstrittene Genussdroge. Doch die Einstellung zum 'Tabak-Saufen' war lange Zeit von geradezu mythischen Vorstellungen geprägt."

Theodor Billroth war im 19. Jahrhundert jemand, den man heute als "Meinungsführer" bezeichnen würde: Der Wiener Arzt war eine anerkannte Autorität mit großem Einfluss auf seine Kollegen. Und im Hinblick auf das Rauchen war sein Urteil klipp und klar: "Ich halte das Tabakrauchen und Schnupfen entschieden für gesundheitsschädlich", betonte er 1889 in einer Stellungnahme. Der Pionier der Bauch-und Kehlkopfchirurgie ging davon aus, dass Rauchen die Ursache für Katarrhe und Zungenkrebs ist. Er sah das Nikotin als schädlich für das Nervensystem und warnte vor der Gefahr der Erblindung: "Ich halte es somit für besser, die Jugend nicht an das immerhin ekelhafte Laster des Rauchens und Schnupfens absichtlich durch eine Art conventionellen Zwang zu gewöhnen, wie es leider meistens geschieht." Billroth hatte dabei wohl einen hochroten Kopf, vermutet Martin Haidinger in seinem informativ-amüsanten Buch "Rauchen Sie ruhig weiter!" (Metro-Verlag 2013). Das freilich bleibt Spekulation -historisch ist die Warnung des berühmten Arztes jedenfalls wegweisend.

Rauchende Revolutionäre

Damals erfuhr der Zigarettenhandel einen steilen Höhenflug. In Österreich-Ungarn wurden 1866 eine Million Glimmstängel verkauft, gut zwanzig Jahre später waren es schon 533 Millionen, wie Haidinger berichtet. Und die Nachfrage war weiter stark steigend; 1913 wurde bereits die Sechs-Milliarden-Marke überschritten. Zugleich hatte der wissenschaftliche Fortschritt zu einer neuen Bewertung des Genussmittels geführt. Zunehmend rückte dessen gesundheitsschädliche Wirkung in den Vordergrund. Im Ersten Weltkrieg warnten die Heeresleitungen ihre Soldaten erstmals vor den Gesundheitsrisiken des Rauchens.

Davor hatten sich die Motive für Tabakverbote wenig um die Gesundheit geschert. Sie drehten sich um die Brandgefahr, um moralische oder steuerpolitische Überlegungen. Umso drakonischer waren die damit verbundenen Strafen: Im 17. Jahrhundert mussten Raucher in Russland noch mit dem Aufschneiden der Lippe rechnen - im Osmanischen Reich wurden sie sogar mit der Todesstrafe bedroht. In intellektuellen Raucherzirkeln witterten die Regierenden oft eine gefährliche Ideenschmiede. Die Ideale der bürgerlichen Revolution von 1848 wurden vom blauen Dunst inspiriert, umgekehrt kämpften die 48er-Revolutionäre für die Freiheit, in der Öffentlichkeit rauchen zu dürfen -durchaus mit Erfolg. (Die Gefahren des Passivrauchens waren damals nicht bekannt: Heute wiegt das Argument schwer, dass die Freiheit des Individuums dort aufhört, wo andere Individuen durch dessen gesundheitsschädliches Verhalten in Mitleidenschaft gezogen werden.)

"Anti-erotische Trockenlegung"

Schon früh tobte eine medizinische Debatte über die umstrittene Genussdroge, die die Spanier einst bei den Ureinwohnern Amerikas entdeckt hatten. Doch die Einstellung zum "Tabak-Saufen", wie die seltsame Gewohnheit ursprünglich hieß, war lange von geradezu mythischen Vorstellungen geprägt: Die Ärzte des 17. und 18. Jahrhunderts beschrieben den Tabak als "trockenen Stoff", der die Körpersäfte des Menschen entschleimen kann. Die Gegner des Genussmittels befürchteten eine Störung des "Säftegleichgewichts"; seine Fürsprecher sahen diese "anti-erotische Trockenlegung" als günstig für die Gesundheit und Produktivität. Ganz im Gegensatz zu den Nationalsozialisten, die das Tabakrauchen als Gefahr für die deutsche "Volksgesundheit" geißeln sollten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb der Siegeszug des Glimmstängels ungebrochen. Mit dem Marshallplan kamen amerikanische Zigarettenmarken nach Europa; ihr Konsum wurde mit dem Geschmack von Freiheit und Abenteuer assoziiert. Zugleich konzentrierten Tausende von Wissenschaftern ihr Interesse auf den blauen Dunst, denn für die steigende Häufigkeit von Lungenkrebs gab es einen Hauptverdächtigen - den Tabak. Aus ihren Labors kamen bald alarmierende Nachrichten: Im Rauchkondensat wurden krebsauslösende Stoffe entdeckt, und Gewebsuntersuchungen bei Rauchern zeigten krebstypische Veränderungen. Auch Statistiker traten auf den Plan und erhärteten den Verdacht mit großen Fallzahlen. Anfang der 1950er-Jahren sorgte der US-Krebsforscher Cuyler Hammond für Aufsehen: Seine Studie gründete auf 37.000 zusammengewürfelten "Paaren" von Amerikanern, die sich in 17 Punkten ähnelten wie Zwillinge (Alter, Beruf, Lebensgewohnheiten, etc.), aber in einem Punkt unterschieden: einer war Raucher, der andere nicht. Das Ergebnis war vielsagend: Egal, ob Krebs oder Herzinfarkt -an jeder Krankheit starben mehr Raucher als Nichtraucher.

Giftiges Gemisch

Heute weiß man noch viel mehr. Tabakrauch enthält über 4800 Substanzen, von denen rund 250 giftig oder krebserzeugend sind. Diese beeinträchtigen den Stoffwechsel in der Lunge, im Herz-Kreislaufsystem, im Gehirn (siehe unten) oder bei der Wundheilung. Weltweit sterben rund sechs Millionen Menschen jährlich durch den Tabakkonsum, berichtet das Fachjournal Lancet. Ohne weitere Maßnahmen werde diese Zahl bis 2030 auf acht Millionen ansteigen. Rund ein Drittel aller Krebserkrankungen gehen wohl auf das Konto des Tabakrauchs. Diese Risiken treffen auch jene, die im beruflichen oder privaten Umfeld die Rauschschwaden anderer einatmen müssen. "Passivrauch verursacht hierzulande circa 800 Tote pro Jahr", betont der Wiener Diabetes-Experte Helmut Brath. Und Passivrauch ist für vulnerable Bevölkerungsgruppen besonders schädlich -zum Beispiel Diabetiker, Schwangere, oder Kinder und Jugendliche. Eine aktuelle Grazer Studie kommt zu dem Schluss, dass ein totales Rauchverbot in der heimischen Gastronomie rund 1500 Spitalsaufenthalte in der Altersgruppe bis 14 Jahre verhindern würde.

Kein Wunder also, dass zahlreiche medizinische Fachgesellschaften das "Don't Smoke"-Volksbegehren unterstützen. Für Länder wie Irland, Italien, Schweden oder Großbritannien wurde durch Studien längst bewiesen, dass Rauch-Beschränkungen im öffentlichen Raum die Erkrankungs-und Sterberaten binnen kürzester Zeit senken können, so Andrea Podczeck-Schweighofer, Präsidentin der Österreichischen Kardiologie-Gesellschaft: "Aus gesundheitlicher Sicht sollte Rauchen deshalb zur Gänze aus dem öffentlichen Leben verschwinden."

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