Was geht den Staat mein Laster an?

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Die Grenze zwischen Staat und Privat ist unscharf, aber vermint. Besonders wenn es um das Rauchverbot in Gaststätten geht, wird schnell aufeinander geschossen. Regine Bogensberger lässt einige kluge Köpfe rauchen und zerpflückt die Argumente der Diskussion.

Zwei Bilder prallen aufeinander: Hier die Leinwand-Helden, die entweder sinnlich-erotisch oder bestechend-cool an ihrer Zigarette ziehen, dort die bedauernswerten oder uneinsichtigen Süchtler, die hektisch vor irgendwelchen Türen Nikotin in sich aufsaugen. Hier Freiheit und Lebensgefühl, dort Bevormundung und Verteufelung. Das sind die zwei Extreme, die bei der Debatte um ein Rauchverbot in Gaststätten aufeinanderknallen und in eine Frage zusammenlaufen: Was darf der Staat? Wo führt das hin? Wieviel an Privatleben ist dem Staat noch heilig?

Einige Philosophen und Juristen der Universität Wien ließen bei diesen Fragen ihre Köpfe rauchen; ihr einstimmiger Tenor, angelehnt an den englischen Denker des 19. Jahrhunderts, John Stuart Mill, und seinen älteren Kollegen Immanuel Kant: Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo jene des anderen beginnt, wo der andere Schaden nimmt. So weit, so einfach, einsichtig und altbekannt. Daher würde auch - bei aller Vorsicht bei der Vorhersage von Verfassungsgerichtsurteilen - ein Rauchverbot in Gaststätten verfassungskonform sein, meint Verfassungsjurist Manfred Stelzer.

Das Private wird politisch

Doch wo beginnt der eine durch die Laster eines anderen Schaden zu nehmen? Die Grenzen zwischen Staat und Privat wurden im Laufe der Zeit auch neu gesteckt. "In der traditionellen Rechtsphilosophie wurde zunächst eine strikte Trennung zwischen Öffentlichem und Privatem gezogen. Diese Trennung zu relativieren war ein wesentliches Anliegen der Emanzipation", sagt die Rechtsphilosophin Elisabeth Holzleithner und setzt fort: "Familie galt als Hort des Privaten." Gewalt in Familien war Privatsache beziehungsweise sogar das Recht des Familienoberhauptes. "Die moderne Forschung konzentrierte sich immer mehr auf die Frage, wann ist etwas, das im Privaten passiert, von öffentlichem Interesse", erklärt Holzleithner. Mit den Bürgerrechtsbewegungen, beginnend in den 60er und 70er Jahren, wurden zunehmend individuelle Rechte für alle eingefordert. Ein wichtiger Teil der Bewegungen: der Feminismus. (Übrigens: Damals galt Rauchen gerade bei Frauen als Zeichen der Befreiung von alten Benimmkodizes.) "Die Forderung nach Grund- und Freiheitsrechten ist aktuell geblieben", meint Holzleithner. Mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA sei es aber zu einer Zäsur gekommen. Für den Preis von mehr Sicherheit seien die Bürger zugleich auch bereit, Beschneidungen von Grundrechten in Kauf zu nehmen.

Herlinde Pauer-Studer, Philosphin mit Schwerpunkt Ethik und politische Philosophie, knüpft an diesem Punkt an: "Es ist eine absurde Situation: Dass in Österreich der Aufschrei dort anfängt, wo es um Nikotin und Alkohol geht. Wenn aber die Meinungsfreiheit oder der Datenschutz eingeschränkt werden, dann gibt es kaum einen Aufschrei." Das Bewusstsein dafür, wo der Staat ins Private eingreift, sei gering. Über die Ursachen dafür kann man lange rätseln und spekulieren.

Vielleicht sind die Österreicher doch gegen landläufige Klischees mehr Genussmenschen als die Italiener? Schwer zu glauben. Gehört zum Granteln eben die Tschik? Oder ist es die Idealisierung der Kaffeehaus-Kultur? Warum also tut sich der Österreicher so schwer, eine Regelung für die verrauchten Gaststätten zu finden? Anders gefragt: Warum brauchen wir immer einen "typisch österreichischen Kompromiss"? Der da lauten könnte: Jedem Lokal sein Raucherkammerl; bei den Beisln unter 75 Quadratmetern könnten die Bau- oder Feuerpolizei oder die Denkmalexperten schon einmal Ausnahmen genehmigen. So soll nach ersten Rauchzeichen aus den Ministerzimmern der Kompromiss ausschauen.

"Wir sind Süchtler"

Auch der Philosoph Alfred Pfabigan weiß keine Erklärung auf diese Fragen, bezweifelt aber das oft zitierte Argument, dass es in Italien, Irland oder wo es sonst noch strenge Rauchverbote gibt, wirklich so gut funktioniert. Nach Meinung des Philosophen läuft bei dieser Diskussion etwas schief: Es ist die Argumentation mit dem Genuss, das dem Pfeifenraucher sauer aufstößt: "Es wird immer gesagt, der Staat nehme uns den Genuss, er bevormunde. Das lasse ich nicht gelten. Es ist inzwischen belegt, dass Rauchen andere schädigt. Es schädigt das Personal in Gaststätten. Das sind meine Studenten, die in den Lokalen kellnern!" Er habe auch lange geglaubt, setzt Pfabigan fort, dass Rauchen bei einem gutem Gespräch Genuss sei. "Das stimmt nicht. Raucher sind Süchtler", so sein Eingeständnis: "Durch dieses Hedonismus-Argument wird das Suchtproblem ein Stück weit verharmlost. Die Medien und auch Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky verstärken das Argument auch noch. Wie geht ihr Medien mit uns Süchtlern um?" Die Raucher müssten nur einmal aufhören zu rauchen und danach frische Erdbeeren essen, dann wüssten sie, was Genuss ist. "Die Raucher gewinnen ja etwas, wenn in Lokalen nicht mehr geraucht werden darf", sagt Pfabigan.

Doch noch beruhigen derartige Argumente wenige, es werden eher Ängste geäußert: Wohin geht der Zug? Was ist mit Passivrauchen in den eigenen vier Wänden (wenn Kinder mitatmen müssen)? Welches Laster ist morgen den staatlichen Moral- und Gesundheitsaposteln zuwider: Der Ausschank von Alkohol oder der Genuss von fettem Schweinsbraten? Oder Extremsport und Sahara-Tourismus? Wenn schon nicht verboten, dann von Versicherungen sanktioniert? Die Denker plädieren hier für mehr Nüchternheit und weniger Polemik. Pauer-Studer warnt davor, Fragen der allgemeinen solidarischen Gesundheitsversorgung über individuelle Verdienste oder Schuld zu diskutieren. Es gehe um eine sachliche Begründung und allgemeine Regelungen von möglichen Rechten und Ansprüchen.

Was das Rauchen in den eigenen vier Wänden vor Kindern betrifft, meint Holzleithner: Solange Rauchen legal sei, sollte der Staat über Appelle und flächendeckenden Aufklärungskampagnen hinausgehend nichts tun. "Mehr Eingriffe kann man nicht wollen. Das ginge in Richtung Überwachungsstaat schlechthin. Da ginge etwas Wichtiges verloren."

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