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Uber das Pfeiferauchen

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Ein Mann, ein Philosoph von achtzig Jahren, erzählte mir: „Bis vierzig rauchte ich Zigaretten, von vierzig bis sechzig Zigarren, von sechzig an aber rauche ich Pfeife. Das muß einen tieferen Grund haben.“ —- Vielleicht den, daß die Pfeife Ruhe verbreitet.

Rauchen ist der dauerndste Genuß, denn Essen und Trinken finden ihre Grenze, aber atmen kann man immer. Eine Würze der lebenslangen Luftschnapperei! Europa begann zu rauchen, als es auch mit dem Kaffee- und Teetrinken anhub, denn eben zu derZeit kamen die Errungenschaften auf, und die gehen bekanntlich auf die Nerven. Koffein, Tein und Nikotin sind nämlich Gegengifte gegen diese Errungenschaften, weil ein Kulturorganismus sich instinktiv jene Antitoxine beschafft, die er braucht. Wenn man einen Volltreffer auf den Unterstand bekommen hat, so empfindet man — mit dem Bewußtsein des Weiterlebens — das dringende Bedürfnis nach einer Zigarette. Explosion und Zigarette gehören irgendwie zusammen.

Seltsam übrigens, daß sich jeder Erdteil gerade jene Gifte aus der Natur holt, die ihn in seinem Eigensten bestärken: die Narkotikas Amerikas, Kolanuß und Peyotl, regen zu unermüdlicher Tätigkeit an; die Narkotikas Asiens aber, Opium und Haschisch, laden zum Träumen ein. Der Tabak nun vereinigt diese beiden Eigenschaften, denn man kann in zweifacher Meinung rauchen: er ist der große Nervenstabilisator, welcher nach Wunsch sowohl konzentriert als auch entspannt. Der Schäfer mit seiner ewigen Pfeife und der Chauffeur, der das Endchen eilig wegwirft — jener raucht, weil er zuviel, dieser, weil er zuwenig Zeit hat.

Undankbar wäre es, wollte ich etwas gegen die Zigarette sagen: hat sie mich doch seit Jahrzehnten durch dick und besonders durch dünn köstlich begleitet. Die Zigarette regt zur Diskussion an, die Pfeife jedoch zur Meditation. Aber die erste Rauchweise ist eben doch das Pfeifenrauchen. Bei den Indianern war Rauchen eine heilige Handlung: als Symbol der Versöhnung ging die kupferne Friedenspfeife von Mund zu Mund. Aber auch bei uns bekräftigt Tabak einen Männerbund, denn wenn ich jemand zu rauchen anbiete, bin ich mindestens bereit, mit ihm zu diskutieren. Allerdings läßt sich ein Pfeifenraucher von seiner Ueberzeugung kaum abbringen, diese Leute sind sehr schwer herumzukriegen. Er hört den anderen schmauchend an, er redet nicht viel, er weiß, was er weiß.

Edler Pfeifenrauch übertrifft sogar die Zigarre, denn diese ist zwar reiner Tabak, jener aber mehr, nämlich Tabak mit feinster Holzeinwirkung. Die Pfeife bestätigt die alte Regel, daß gerade aus der echten Bindung Freiheit entsteht: man ist von der Pfeife abhängig, doch man kann sic sich auswählen und erziehen, wie man sich auch den Tabak selber mischen kann. Ich bin der Pascha eines Harems von sechs wunderbaren, glutäugigen Pfeifen, doch vorher mußte ich mindestens zehn ausscheiden und aus Egoismus verschenken. Meine vier „shell briar“ haben shakespearische Fülle, während die beiden anderen Pfeifen in ihrer milden Süße an Xenophon, die attische Biene, erinnern. Und beim Tabak mische ich, trotz der politischen Lage, Amerika mit Asien, nämlich Virginia mit Sumatra, zusammen, weil das Aroma so erst die dritte Dimension der Tiefe gewinnt. Auch darf man seine Vollblüter nicht zuschanden rauchen. Bekanntlich nennt man das Hohle im Flintenlauf seine „Seele“; auch die Pfeife hat eine Seele, und zwar eine sehr empfindliche.

Heute weiß jedes Kind, daß die Kindheits eindrücke entscheidend sind — der Augenblick, da die Pfeife zum erstenmal geraucht wird, entscheidet über ihr Schicksal. Läßt man nämlich diese erste aus Unachtsamkeit ausgehen, so ist etwas Unwiderrufliches geschehen: denn nun wird sie ihr Leben lang gerade an der Stelle ausgehen! Ueber diese Hemmung, diesen Minderwertigkeitskomplex kommt sie nie mehr hinweg.

Und wozu das alles? Um eines schäbigen kleinen Genusses willen. .. Hat nicht Goethe „genießen ist gemein“ gesagt? Bedeutet jenes Solange mir noch mein Zigarrl schmeckt …“ nicht eine Abdankung sterbenden Menschentums und bereits eine verkappte Todesanzeige? Genuß heißt, die Essenz eines Wesens in sich aufnehmen; darum ist er dem Ekel so nahe verwandt, wenn wir nämlich dieses Wesen ablehnen. Kinder und Tiere genießen unschuldig, weil ihr Drang sich mit ihrer Natur deckt. Genuß ist das Nebenprodukt einer lebensnotwendigen Funktion: wir müssen essen, wir können dabei genießen, also dürfen wir es. Doch es heißt: „Essen, um zu leben; nicht: leben, um zu essen“ — spielt sich das Nebenprodukt als

Hauptzweck auf, so wird der Genuß schäbig, weil er den Lebenssinn verstellt. Es schmeckt uns infolge des Essens; Rauchen aber genießen wir nicht infolge, sondern mit Hilfe des Atmens, was etwas anderes ist.

Auf die Rundfrage: „Rauchen Sie beim Arbeiten?“ antwortete Bernard Shaw: „Nein, aber ich arbeite zuweilen beim Rauchen.“ Damit hatte er die Gefahrenzone listig bezeichnet. Das nächste Stadium wäre bereits das erwähnte „Solang mir noch mein Zigarrl schmeckt…“ Mir persönlich ist Rauchen die erwünschteste Denkunterstützung — denn alles in mir, was nicht denkt, wird dadurch angenehm abgelenkt, und ich bekomme den Kopf frei. „In drei Tagen Nichtraucher“ verheißen die Annoncen. Sehr schön für die Gardinen, aber wer macht mich dann gegen die modernen Errungenschaften immun? Die Hupen und Telephone schrillen ja weiter, und munter explodieren die Granaten. Wer schafft mir den Sperrnebel, mit dem ich mich gegen Mückenstiche des Alltags ein—hülle? In drei Tagen Nichtraucher? Aber dann, bitte, auch: „In drei Tagen Nicht-Zeitgenosse.“ Doch das müßte schon ein sehr starkes Mittel sein… Ich lasse nicht von meinem Tabak, von dem Weihrauch der Weisheit, von dem Feuerzeichen, das dieiGe- danken mobilisiert!

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