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In der Fremd

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Es ist Sonntag mittag. Der Gutsbesitzer Kamyschew sitzt bei sich im-' Speisezimmer an einer üppig gedeckten Tafel und frühstückt langsam. Ein sauberes, glattrasiertes altes Französlein teilt mit ihm die Tafel, Monsieur Champoon. Dieser Champoon ist einmal bei den Kamyschews als Erzieher gewesen, brachte den Kindern Manieren bei, eine gute Aussprache und Tanzen. Dann, als die Kinder Kamyschews herangewachsen und Leutnant geworden waren, blieb Champoon nach Art der Bonnen männlichen Geschlechts. Die Pflichten eines gewesenen Erziehers sind nicht kompliziert. Er muß ordentlich gekleidet sein, nach Parfüm duften, dem müßigen Geschwätz Kamyschews lauschen, essen, trinken, schlafen — und weiter scheinbar nichts. Dafür bekommt er Verpflegung, ein Zimmer und unbestimmtes Taschengeld.

Kamyschew ißt und nach alter Gewohnheit schwatzt er so dahin. „Tod und Teufel!“ sagt er, sich die Tränen wischend, welche ihm nach einem dick mit Senf bestrichenen Stück Schinken aufgestiegen waren. „Uff, in den Kopf und in alle Gelenke ist es mir gestiegen. Das kann bei Eurem französischen Senf nicht passieren, wenn man auch gleich ein ganzes Gläschen aufißt!“

„Der eine liebt französischen, der andere russischen...“ sagt Champoon sanft.

„Niemand liebt französischen, es sei denn die Franzosen. Aber was immer du den Franzosen gibst — alles verschlingt er: Frösche, Ratten, Küchenschaben ... brrrr. Euch zum Beispiel schmeckt dieser Schinken nicht, weil er russisch ist. Aber gibt Ihnen einer gebackenes Glas und sagt, es sei französisches, werden Sie es essen und noch dabei schmatzen. Nach Ihrer Meinung ist alles Russische garstig.“

„Das sage ich doch nicht!“

„Alles Russische garstig, aber das Französische oh, c'est tres joli! Nach Ihrer Meinung gibt es auch kein besseres Land als Frankreich. Aber nach meiner Meinung... nun, was ist schon Frankreich, ehrlich gesagt. Ein Stückchen Land! Versetzte man einen unseres Isprawniks hin, so würde er innerhalb eines Monats um Versetzung ansuchen! Nirgends kann man sich umdrehen. Euer Frankreich kann man in einem Tag durchfahren, aber tritt man bei uns über die Schwelle, so ist kein Ende Landes abzusehen. Man fährt, man fährt ...“

„Ja, Monsieur, Rußland ist ein ungeheures Land.“

„Das ist es ja eben! Nach Eurer Meinung gibt es auch keine besseren Menschen als die Franzosen. Ein gelehrtes, •kluges Volk! Zivilisation! Zugegeben, die Franzosen sind alle gelehrt, manierlich, das ist wahr. Der Franzose läßt sich nie eine Unhöflichkeit zuschulden kommen. Er wird der Dame zur rechten Zeit den Sessel anbieten, wird Krebs nicht mit der Gabel essen, wird nicht auf den Boden spucken, aber .. . der Geist fehlt ihm! Es fehlt ihm der Geist! Ich kann es Ihnen nur nicht erklären, wie könnte man sich ausdrücken, im Franzosen fehlt irgend etwas, so etwas ... (Der Sprechende bewegt die Finger), so irgend etwas ... Juristisches! Ich erinnere mich, irgendwo gelesen zu haben, daß bei Ihnen bei allem der Verstand aus den Büchern gezogen wird, aber bei uns ist der Verstand angeboren. Wenn man den Russen in den Wissenschaften ausbildete, wie es sein sollte, könnte keiner Eurer Professoren ihm das Wasser reichen.“

„Möglich“, sagt wie widerwillig Champoon.

„Nein, nicht möglich, sondern wirklich! Da brauchen Sie gar nicht die Stirne runzeln, ich sage die Wahrheit. Der russische Verstand ist ein erfinderischer Verstand. Nur, natürlich, gibt man ihm keine Entwicklungsmöglichkeit und auch prahlen kann er nicht. Er erfindet irgend etwas und zarschlägt es wieder, oder gibt es sogar den Bengels zum Spielen. Aber wenn Ihr Franzosen irgendeinen Krimskrams erfindet, posaunt er es gleich in die Welt hinaus. Kürzlich hat der Kutscher Jona aus Holz ein Männchen gemacht. Zieht man das Männchen an einer Schnur, macht es allerhand Sachen. Allein Jona prahlt nicht. Uberhaupt — mir gefallen die Franzosen nicht. Ich spreche nicht, von Ihnen, aber überhaupt... ein unsittliches Volk! Äußerlich sehen sie aus, als ob sie Menschen wären, aber sie leben wie die Hunde. Man nehme zum Beispiel die Ehe. Wenn man bei uns heiratet, gehört man zur Frau und keine Rede von etwas anderem. Aber bei Ihnen... der Teufel weiß was! Der Gatte sitzt den ganzen Tag im Kaffeehaus, und die Frau läßt das Haus voll Franzosen und läßt sich mit ihnen auf regelrechte Techtelmechtel ein.“

„Das ist nicht wahr!“ kann sich Champoon, auflodernd, nicht mehr zurückhalten. „In Frankreich hält man das Eheprinzip sehr hoch!“

„Kennen wir schon, dieses Prinzip! Sie sollten sich schämen, es auch noch zu verteidigen! Man soll unparteiisch sein: Schweine sind Schweine. Dank den

Deutschen, daß sie Euch besiegten ... Bei Gott, Dank! Gott gebe ihnen Gesundheit ...“

„In diesem Fall, Monsieur, verstehe ich nicht“, sagt der Franzose aufspringend, mit blitzenden Augen, „wenn Sie die Franzosen verachten, warum behalten Sie mich dann?“

„Wohin soll ich Sie denn stecken?“ „Entlassen Sie mich und ich werde nach Frankreich fahren!“ „Waaas? Wird man Sie etwa nach Frankreich hineinlassen? Sie sind doch ein Verräter Ihres Heimatlandes! Einmal gilt Ihnen Napoleon als großer Mann, ein andermal Gambetta. Der Teufel selbst kennt sich nicht aus!“

„Monsieur!“ sagt auf französisch Champoon, sprühend, die Serviette in den Händen zerknüllend. „Die Kränkung, die Sie eben meinen Gefühlen zugefügt haben, könnte idi nicht einmal meinem Feind antun! Es ist alles aus!“ Mit einer tragischen Geste wirft der Franzose seine Serviette manierlich auf den Tisch und schreitet würdevoll aus dem Zimmer.

Nach drei Stunden wird der Tisch neu gedeckt und die Dienerschaft trägt die Hauptmahlzeit auf. Kamyschew setzt sich allein an die Tafel. Nach einem Aperitif stellt sich die Gier nach müßigem Geschwätz bei ihm ein. Er möchte schwatzen und hat keinen Zuhörer ...

„Was macht Alfons Ljudowikowitsch?“ fragt er den Lakai. „Er packt den Koffer,

Herr.“ „So ein Dummkopf, Gott verzeih mir's!“ sagt Kamyschew und geht zum Franzosen. Champoon sitzt bei sich mitten im Zimmer am Boden und packt mit zitternden Händen in den Koffer: Wäsche, Parfümflaschen, Gebetbücher, Hosenträger, Selbstbinder ... Seine ganze saubere Figur, der Koffer, das Bett und der Tisch atmen Schönheit. Aus seinen großen blauen Augen tropfen Riesentränen auf den Koffer.

„Wohin denn eigentlich?“ fragt Kamyschew, kurz stehenbleibend.

Der Franzose schweigt. „Wollen Sie fortreisen?“ setzt Kamyschew fort. „Das ist schon, wie Sie wissen... Ich wage nicht, Sie zurückzuhalten. Nur das eine ist komisch. Wie wollen Sie ohne Reisepaß fahren? Ich wundere mich! Sie wissen, ich habe doch Ihren Reisepaß verloren. Ich habe ihn irgendwo zwischen die Papiere gelegt und er ist verlorengegangen. Bei uns nimmt man es mit Pässen genau. Keine fünf Werst können Sie fahren, schon schnappt man Sie.“

Champoon hebt den Kopf und sieht ungläubig auf Kamyschew.

„Ja, Sie werden sehen! Am Gesicht wird man es Ihnen ansehen, ' daß Sie keinen Paß haben und sofort: Wer sind Sie? Alfons Champoon! Diese Alfons Champoons kennen wir! — Und ist es Ihnen vielleicht gefällig, in die Etappe? Es ist nicht allzu weitl“

„Da spaßen Sie wohl?“

„Warum sollte ich spaßen? Wozu sollte mir das dienen? Geben Sie nur acht, da ist eine Bedingung: Geruhen Sie dann nur ja nicht zu flennen und Briefe zu schreiben! Keinen Finger' werde ich rühren und wenn man Sie in Ketten hier vorüberführt!“

Champoon springt auf und blaß, mit weitaufgerissenen Augen, beginnt er im Zimmer auf und ab zu marschieren.

„Was tun Sie mit mir?“ sagt er, faßt sich in Verzweiflung nach dem Kopf. „Mein Gott! O verflucht sei jene Stunde, als mir der verderbliche Gedanke in den Kopf stieg, das Vaterland zu verlassen!“

„Nu-nu-nu... ich habe ja Spaß gemacht!“ sagt Kamyschew mit gesenkter Stimme. „So ein Dummerian, keinen Spaß versteht erl Man darf kein Wörtchen sagen.“

„Mein Lieber!“ winselt Champoon, beruhigt vom Ton Kamyschews. „Ich schwöre Ihnen, ich hänge an Rußland, an Ihnen und an Ihren Kindern... Sie verlassen, fällt mir so schwer, wie zu sterben. Aber jedes Ihrer Worte schneidet mir durchs Herz.“

„Ach, Närrchen! Wenn ich die Franzosen beschimpfe, warum fühlen Sie sich dann beleidigt? Wen beschimpfen wir schon nicht? Sollen sich da alle kränken? Närrchen, wirklich wahr! Nehmen Sie sich ein Beispiel an Sazar Issakitsch, den Pächter. So und so schimpfe ich ihn, Saujude, Dreckkerl, Schwein, zupfe ihn an den Kotelettes ...er fühlt sich doch nicht beleidigt?“

„Aber, er ist ja ein Sklave! Für eine Kopeke ist er zu jeder Erniedrigung bereit.“

„Nu-nu-nu ... genug! Gehen wir mittag-essenl Friede und Eintracht!“

Champoon pudert sein verweintes Gesicht und geht mit Kamyschew ins Speisezimmer. Das erste Gericht wird schweigend eingenommen. Nach dem zweiten beginnt dieselbe Geschichte und solcherart nehmen die Leiden Champoons kein Ende.

Ubersetzung von Ilse Nitsch

Nachtrag. Der in der letzten Nummmer des „Krystall“ gebrachte Artikel Giovanni Papinis, „Cölestin VI. an die Fraun“ wurde von Paul Thun-Hohenstein aus dem Italienischen übersetzt.

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