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Über die Schädlichkeit des Tabaks

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Der Tabak ist ungeheuer schädlich. Fast so schädlich wie das Leben selbst, das ja doch zumeist einen letalen Ausgang nimmt. Allein innerhalb dieser Schädlichkeit gibt es Unterschiede. Man hat Zigaretten (das heißt wenn man sie hat), die machen fast nichts, die sind sozusagen warme Luft, in Rauch aufgehende Illusionen, kurz der Schnuller des erwachsenen Mannes. Und dann wieder gibt es anderen Tabak, wie eine Notiz lehrt, die kürzlich als Lauffeuer durch den Blätterwald flog. Darnach steckte sich der im Emslande ansässige Landwirt Uwe Jens Karsten mit den Worten „Nu wfillt wi ja ok en Piipfull von dem nigen Tabak smoken“ eine Pfeife seines eigengebauten Krautes an. rauchte sie mit der ganzen Zähigkeit des ostfriesischen Stammes zu Ende, stürzte darauf krachend zu Boden und blieb drei Tage bewußtlos liegen. Starker Tabak! kann man da nur sagen.

Die Schädlichkeit hängt von der Tabaksorte, der vorangehenden Behandlung und endlich von der Art des Rauchens ab.

Es gibt im Grunde — wie ich soeben aus dem Konversationslexikon erfahre — nur zwei Tabakgattungen. Der;eine ist der Tabak für die Griten, der andere der Tabak für die Bösen. Der Tabak für die Guten heißt Havanna, und darin liegt ein blauer Rauchringel, eine purpurgoldene Leibbinde und ein gehabtes Mittagessen. Der Tabak für die Bösen aber heißt Machorka — ein Wort, das seine sowie seiner Konsumenten Minderwertigkeit, Bosheit und Heimtücke deutlich ausdrückt. Havanna, das klingt fast wie Hosianna, das hat etwas Triumphierend-Hingebendes, so könnte ein Mädchen heißen; wie gänzlich unrasiert aber klingt Machorka, das ist ja mehr ein heiseres Ausspucken und ein krächzender Fluch! Havanna entspricht einem Bordeaux, Machorka aber einem stinkenden Fusel, und das zeigt sich auch im Habitus der beiden Gewächse: Havanna hat eine rote Blüte und schmale, lange Blätter; Machorka jedoch fuselfarbige Blüten und runde, fleischige Blätter, die die ganze Verworfenheit dieser Pflanze kundtun.

Wer sich an Fusel gewöhnt hat, dem schmeckt Bordeaux wie Himbeerwasser; wer dem Machorka verfiel, an dem ist nichts mehr zu verderben, er bleibt für alle höheren Zigarettenideen verloren... Havanna-Menschen tragen einen Scheitel und breiten nachts die Hose unter den Strohsack, damit auch diese tagsüber einen Scheitel trage; Machorka-Menschen aber fahren sich höchstens mit ihren Fünfen durch den Wildwuchs der Haare und brechen alle Bügelfalten durch die Kniebeulen der Natur.

Sb kann es nicht wundernehmen, daß diese beiden Sorten auf ganz verschiedene Art geraucht werden. Der Havanna-Mensch sitzt bei einem Glas Wein oder Bier und liest dazu die Zeitung, deren Inhalt er tief in die Seele aufnimmt, während er den Rauch wie auf eine Pusteblume von sich bläst, Der Machorka- Mensch nähert sich ebenfalls der Zeitung, blickt sich aber scheu um, reißt sie mittendurch/ formt daraus einen keulenartigen Behälter und streut hastig seinen Tabak hinein. Dann zieht er die glimmende. Zeitungskeule — ohne ihren informierenden Inhalt zu beachten — tief in die Seele ein und läßt darauf den Rauch aus Nase, Mund und Ohren ' strömen, indem er bereits gierig einen zweiten Zug nimmt.

Dem entspricht auch der Unterschied in Aufzucht und Behandlung der beiden Tabaksorten. Beim Havanna hat jedes Blatt seinen Namen; da gibt es Sandblatt und Deckblatt und Pfeifenblatt, kurz, er ist ein Herzblatt und wird von den Stürmen des Lebens ängstlich ferngehalten. Wie alle, so hat auch er nämlich das heftige Bedürfnis, sich fortzupflanzen, das heißt Samenkapseln und Sprößlinge zu bilden. Das alte Lebensgesetz „Jedes legt noch schnell ein Ei, und dann kommt der Tod herbei“ wirkt auch bei ihm: jede Pflanze hofft nun mal auf Nachwuchs, und daß der was ganz Besonderes wird! Aber gerade das mit allen Mitteln zu verhindern, ist das Bemühen der Tabakskultur. „Nicht fortpflanzen, sondern hinaufpflanzen sollt ihr euch!“ spricht der Tabakpädagoge und bricht dem jungen Säuser ohne Gnade seine Triebe und Samenkapseln ab, damit er fett wird und sein Gift ins Kraut schießen läßt. Das ist aber noch gar nichts. Denn nun wird er vom elterlichen Stamm gerissen, an Schnüren aufgereiht, man überwacht seinen jugendlichen Gärungsprozeß mit dem Fieberthermometer, er muß schwitzen, wird mit Spirituosen angebraust, mit Salzen ausgelaugt, auf dem Rost gebraten, in Streifen zerschnitten, bis er endlich ein wohlerzogener, bürgerlich genießbarer Tabak geworden ist und seinen festen Preis hat.

Anders der verworfene Machorka. Kein Mensch zählt dessen Blätter oder benennt sie gar. Von rauher Faust wird er eines Tages ab gerissen und auf den Boden zum Trocknen geschleudert: Sein Gärungsprozeß besteht höchstens darin, daß man ihn auf den Misthaufen wirft und mit ein paar Schaufeln Mist zudeckt. Da mag er denn liegen und über sein Dasein nachdenken. Und endlich wird er keineswegs in säuberliche Streifen zerschnitten, sondern die rauhe Faust von vorhin steckt ihn in die Tasche, zerknautscht und zerkrumpelt ihn wie in einem Wutanfall und verurteilt ihn dann mit dem Daumen zum Feuertode. Sein Hinsterben wird von vielfachem Ausspucken begleitet.

Das Sonderbare ist nun, daß zwischen Havanna- und Machorkasamen kein nennenswerter Preisunterschied besteht und daß auch die Säe-, Pikier- und Pflanzarbeit bei beiden die gleiche ist. Woher, fragt man, gibt es dann überhaupt noch Machorka? — Die Antwort ist ein Achselzucken.

Am schädlichsten ist jedoch der Eigenbau des

Tabaks. All die kostbare Zeit, die doch besser zu Feuerwehrübungen und Schulungskursen verwendet wäre, geht nun damit verloren, daß man, Hände in den Hosentaschen, vor der Pflanze steht und wartet, daß sie wächst. Wachse schneller, Genosse! Und was werden später die Tabakfabriken anfangen, wenn jeder seinen eigenen Tabak baut? Sie werden eine Marke „Eigenbau- Privat“ herausbringen und annoncieren, daß selbstgebaute Zigaretten giftig sind. Nur eines werden sie nie ersetzen können: das Tabak- schmurgeln. Dieses steht dem Weinpanschen nahe und gewährt mindestens dieselbe Befriedigung: man sitzt wie ein lieber Gott vor dem Tisch, auf dem sich die verschiedenen Häufchen befinden — ein Häufchen „warme Luft“, ein Häufchen Havanna, ein Häufchen Machorka, ein schwachgiftiges, ein ganzgiftiges, und nun schmurgelt man diese Sorten A, B, C, D in den mannigfachsten Permutationen zusammen wie ein Parfümerzeuger, worauf das Pröbchen jedesmal neugierig äbgeschmöckt wird. Manche geraten in ein Schmurgelfieber, wie damals die Alchimisten, können sich nie genugtun und leben vom Rauch in den Mund. Ist nun die Mischung zu stark (sie ist es meistens), so stellt sich beim Eigenbauer nachts, wenn er still im Bett liegt, das sogenannte „Schlegeln“ ein — ein Wort, das sich überraschend schnell in der Tabakswelt eingebürgert hat. Schlegeln nennt der Jäger die Todeszuckungen des erlegten Rehes. Und nun schlegelt der stille Tabaksbauer im Bett mit seinen Beinen, ohne sonst größere Aehn- lichkeit mit einem Reh zu haben. Natürlich ist er dann morgens unausgeschlafen, bockig und kommt der Allgemeinheit wenig zugute.

Unnütz, den Tabak verteidigen zu wollen. Immerhin finden sich einige, die da behaupten, daß kein Mittel zu verschmähen sei, welches so angenehm lehrt, das Maul zu halten; höchstens, daß dabei etwas mehr ausgespuckt wird. Natürlich ist es klar, daß der Schrei nach der Zigarette (der in seiner Intensität dem weiblichen „Schrei nach dem Kinde“ und dem „Schrei nach dem Drilling“ der Jäger nahekommt) heutzutage besonders schrill erklingt. Aber diese Leute sollten Gott danken, daß sie nicht vor vierhundert Jahren lebten, als nur ganz wenige Tabaksballen nach Europa kamen. Die hätten damals gut und gern eine Mark achtzig für ’ne Zigarette gezahlt, schätze ich.

Freilich waren damals die meisten Menschen Nichtraucher. Nichtraucher, die haben’s gut! Ignoti nulla cupido — ihr Leben gleitet dahin. Wer aber einmal den Sündenapfel des Tabaks gepriemt hat, wird aus dem Nichtraucherparadies vertrieben: von einem Engel mit flammendem Schwert, den er gerade noch um Feuer bitten kann. Er ist verflucht, den Tabak im Schweiße seines Angesichts zu bauen für und für, Disteln und Dornen zu rauchen und sich aus Steinen Funken zu klopfen. Von nun an ist seine Morgenhymne ein Husten, es stellen sich Gleichgewichtsstörungen ein, und endlich stirbt er, vom Leben satt, an Arteriosklerose. Er hat ausgeraucht!

Ueberflüssig zu sagen, daß der Tabak aus Amerika stammt — ebenso wie die Kartoffel und die Lues. Aus Kartoffeln aber brennt man den Schnaps, wie jeder weiß. Da sieht man wieder, wie sonderbar sich die Hoffnungen erfüllen. Europa zog aus nach Amerika, um dort. das Goldland Ophir, den Großmogul, Indien und weiß Gott was alles zu finden. Und was brachte es heim? — den Schnaps, den Rauchtabak und die verfluchte Liebe.

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