6536918-1946_20_13.jpg
Digital In Arbeit

Baedeker von einst

Werbung
Werbung
Werbung

Heute ist es kein Wunder, daß es für jedes Fleckchen der Erde Reiseführer gibt; aber wundernehmen muß'es, daß es früher in der sogenannten „guten alten Zeit“, wo das Reisen äußerst kostspielig, zeitraubend und mühselig gewesen ist, doch schon so viele „Baedekers“ gegeben hat, die mit den besten Ratschlägen für jede Art des Reisens aufwarteten. Vielleicht deshalb, weil das Reisen damals wirklich keine Kleinigkeit war, was ein Reisehandbuch nach 1736 also ausdrückt: „Reisen is; eine Sache, so man Zeit seines Lebens nur einmal unternimmt.“

Da ]st das „Reißbüchlein“ des hochgelahrten Doktors Geögr P i $ t o r i u s aus dem Jahre 1566, das den langatmigen Titel führt:

„Sehr wol erfahrne und heilsame ratschlag / wie sie alle die so in frömde und unbekannte land / zu Rossz und Fuß / reisen wollen / ihr gesundheit erhalten mögen / oder wenn sie die umb ungelegenheit des luffts / landes / oder sunst verloren / durch was mittel sie die wider erholen mögen. Sampt einem angehencktem regime / für Kauf-leut / Kriegsleute / und andere so sich dem Meer oder anderen wassern vertrauwen unnd ergeben wollen.“

Und hochinteressant beginnt das Büchlein gleich damit, ernstlich anzuraten, sich vor der Reise

„des Überflusses seines leibt zu entladen /

und dieweil die Leber dcß geblüts fundament/ so geschieht diß am bequemsten / wenn er etlich tag vor dem hinziehen an einem morgen gebaucht ein lind gesotten ey / sampt einem trunck wein / und laßt jm (sich) darnach öffnen die niderist ader in der krümme deß arms ...“ (Armbeuge).

Also der früher als erstes und letztes Mittel viel gebrauchte' und oft mißbrauchte Aderlaß, der hier als vorbeugendes Mittel wirken sollte. Natürlich mußte der Reisende erst in den Sternen lesen, ob sie ihm und seinem yorhaben günstig standen. So wird geraten, ein Phlegmatiker soll die cholerischen Zeichen „als den Wider, Löuwen und Schützen“ beobachten, ein Choleriker wieder

die phlegmatischen Zeichen, ab 'da smd:

„Skorpion, Visch oder Krebs“. Dann bekommt der Phlegmatiker ein Rezept für eine Pjlle, die er „hinabschlucken soll, hernach vier stund fasten / nach den vier stund gibt man zu trinken / ein gesottne grauwe erbsbrüe / on saltz, und on schmaltz / mit wenig gepülferte Zimet... aber altem oder neu wen Mon nit zu nahe“! Die Erbsenbrühe hat den Armen wohl reisfertig gemacht und so bekommt er jetzt viele schöne Sprüchsein über Diät und Verhalten auf der Reise zu hören. Auch das Zelt müsse man richtig aufstellen, so daß der Ostwind gut ein- und 'ausziehen könne,' zu hüten hat man sich vor Speise, „die allein den Bauch füllt / und wenig guter Nahrung in ir (sich) hat“. „Rettich und nüß widerstehen dem gifft / knob-lauch bessert sdiaden, so von trinken des faulen wassers erfolgen mag.“ Der große arabische Mediziner Avicenna (890 bis 1037) dreht dann eine wirksame Pille gegen den Hunger:

„da eines so man isset / einen ganzen Tag narung gibt!“ Von dieser Pille in der “Westentasche träumt auch unsere moderne Zeit wieder. — Gegen Durst nehme man rote Korallen in den Mund und wenn man nicht schlafen kann, so hilft das „nachfolgende Sälblein, so streiche der unsdilaffend in seine naslöcher und an die pulsadern“.

Noch die letzten Kapitel: „Von dem Hauptweh (Kopfschmerzen). Von abgang des Lusts zu der speiß. — Von dem Blutfluß zu der nasen. Wie der reisend sich vor gifft bewaren soll.“ Wunden Füßen unterbinde man eine warme Lammslunge und in die Schuhe streue man die Asche von verbrannten Sohlen.

Kein Zweifel, daß die damaligen Geschlechter stärker waren als wir, denn sie haben nicht bloß • das mühselige Reisen, sondern auch diese ärztlichen Kuren überstanden! ,

Mehr BrftamiHfsbqch *ts Reiseführer kc

4er 1702 namenlos erschienene „Unentbehrliche Dreyfache Leitstern des Reisende n“. In großer Fülle stehen da Zuerst Reisegebete, wie: „Gebet in langwieriger Nässe“ — „Gebet wenn man die Kleider anzeucht“ — „Gebet wenn man anschauet die schöne Creatur Gottes“ — „Gebet wenn man in die Höhe siehet und das Firmament des Himmels betrachtet“ — und noch viele andere. Interessant aber ist ein Abteilung dieses Buches, die als Vorläufer unserer „Sprachführer“ angesehen werden kann, etwas „Fünfzig Worte“ aller europäischen Sprachen. „Wie die Französische Schrifft gelesen wird: oi wird gelesen wie ein teutsches ä usw.... Auch Gespräche figurieren da schon: „Wo ist die beste Herberg in dieser Stadt? Das ist zum gülden Löwen! — Großen Dank! Mein Wirth, wollet Ihr uns beherbergen? Oja, gar gern!“ Mit einigen Wegkarten, Wechseltafeln und einem drehbaren „Sternührlein“ (zur Bestimmung der Zeit!) schließt das gemütliche Büchlein.

Ein Reisehandbuch in unserem Sinne, nur recht schwatzhaft und endlos moralisierend, gab der Globetrotter G. F. K r e b e 1 um 1736 heraus: „D i e vornehmsten •europäischen Reisen.“ Vor allem soll man in der Fremde die Zunge gut behüten, besonders nicht von Königen und Fürsten etwas Nachteiliges fahren zu lassen, oder deren „Conduite mit ungebetenen Cen-suren zu beleidigen“. Ob Herr Krebel da persönlich schlechte Erfahrungen gemacht hat? Der Reisende muß feststehen in der Sittlichkeit, „damit er nicht durch die Laster der Ausländer verderbet und also von seiner Reise mehr Schaden als Nutzen habe“. Vorteilhaft ist es auch, wenn mehrere zusammen reisen, „allein dies ist zu verstehen von honeten Leuten, und die einerley Humeurs sind, denn sonst geht es bey solchen Vereinigungen wie bey denen Heyraten, wenn die Humeurs nicht übereinstimmen“. Da klingen die mittelalterlichen Jahre über die körpefliehe Säftemischung und deren Einfluß auf die Gemütsart an. — Dann geht der Verfasser sehr sachlich weiter. Nicht zuviel Gepäck mitnehmen I Traue nicht jedem Träger, „wenn derselbe auch gleich etliche silberne Schilde zum Zei chen seiner Treue auf die Kleider geheftet hätte!“. — Wegen der Wirtshäuser hat einer zu remargulieren, daß er sich nicht in den schlechtesten und geringsten, sondern vielmehr in den vornehmsten und besten einlogiere.“ Audi soll man einen Wachsstock in einer Blechdose mit sich führen, die man samt „Feuerzeug und Gewehr (bezeichnete damals jede Waffe!) des Abends vor das Bette“ legt. Vorsichtig ist der Herr Krebel und rät sogar, das Bett zu untersuchen, bevor man sich hineinlegt. „Am rathsamsten ist, man versehe sich mit einem Schlafsacke und leinenen Unterkleidern,* Sogar ein „Reiseapothekgen“ kennt er.

So interessant dieses Buch zu plaudern weiß, so langweilig und trocken-kathederhaft its das 1795 erschienene zweibändige Werk von Fr. Posselt abgefaßt: „A p o-demik oder die Kunst zu reise n.“ Man lese nur die Kapitelüberschriften: „Von der Art, wie derjenige reisen soll, der bloß als Mensch reist. Von der Bildung des Herzens (erster Abschnitt), des Verstandes (zweiter), des Geschmackes (dritter) auf Reisen. Von der Art, wie angehende Staatsgelehrte, Regenten (je ein langes Kapitel), Gesandte, Militärs, Theologen, Rechtsgelehrte, Ärzte, Wundärzte, Natur-forsche, Tonkünstler, Gartenkünstler usw. reisen sollen. Ob und wie Frauenzimmer reisen sollen.“ „Sie müssen so reisen, daß sie sich dadurch ihrer allgemeinen und besonderen Bestimmung immer mehr nähern. Die allgemeine Bestimmung hat das Weib mit dem Manne gemein ... die besondere der Frauenzimmer überhaupt oder ihr Beruf ist der Ehestand.“ Sie müssen also beobachten: „den ernstlichen häuslichen Geist der deutschen Frauen, die ungezwungene Artigkeit der Französinnen, das Zartgefühl und die Sanftheit und Reinlichkeit der Engländerinnen ..,“

Nun kommt der Verfasser breit zu sprechen auf die guten und schlechten Seiten der Reisearten, zu Pferd, zu Wagen, mit der Post. „In Frankreich bekommt man gar keine Postchaisen; jeder Reisende muß daher seinen eigenen Wagen mitführen. Auch weiß er schon, daß Kleider Leute machen, empfiehlt aber noch mehr feine Wäsche; denn feine und gute Wäsche macht auf Reisen mehr Ehre als reiche und prächtige Kleider.“

Mit wahrem Eifer werden dann die Hauptkapitel der Reiseausstattung behandelt. Da

ist vor allem das eigene Bettzeug, „wenigstens eine gegerbte Hirschhaut, sechs Fuß sechs Zoll lang und drey Fuß sechs Zoll breit, zwey paar Bettücher und eine baumwollene oder seidene Bettdecke“. Ferner in Holzschatullen: Schreibzeug, Teekessel, Kaffee- und Milchkanne, Teller, Rasier- und Frisierzeug, Spiegel und Flakons! Selbstverständlich auch einen „Reisekuffert“ aus russischem Juchtenleder, „denn der starke Geruch desselben hält überhaupt alle Insekten ab“. Nicht zu vergessen: ein Eisenbett, ein Reiserouleau, drey Fuß lang, so man um den Kopf legt beim Schlafen im Wagen, Speisekorb und Flaschenkeller mit

etwa acht guten Bouteillen. „Eine davon fülle man mit Himbeeressig, eine mit Weinessig an, die übrigen mit Wein und Wasser!“ Wichtig sei vor allem auch eine starke Winde, um den Wagen leicht heben zu können, eine Einlegkette, Hacken, Hämmer, Stricke, Lichter, Decken, Pistolen mit Pulver und Blei.

Nun ist die Liste noch lange nicht am Ende. Aber endlich kann der Reisende die Chaise besteigen. Wenn alles gut geht, ist er in drei Wochen in Paris. Freilich zerädert im buchstäblichen Sinne, übernächtig, , vom Ungeziefer zerbissen und verwahrlost. Romantik der Postkutsche!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung