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„Pro Nikotin"

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Es war einmal ein kleines Land, in dem die Staatsverschuldung so wahnsinnig hoch geworden war, daß der Finanzminister fast keinen Schilling mehr zum Umdrehen in seinem Säckel hatte und er verzweifelt nach Auswegen aus dieser Misere suchte und jede Gelegenheit, zu Geld zu kommen, wahrnahm. Es war aber die Steuerbelastung bereits an der Schmerzgrenze, und weil der Finanzminister denken konnte, wußte er sehr wohl, daß er andere

Quellen zum Sprudeln bringen mußte, um endlich wieder zu reichlichen Einnahmen zu kommen.

Er verfiel auf einen staatsmonopolistischen Betrieb, auf das riesige Tabakwerk des Landes.

Der von Sorgen geplagte, wohlbeleibte Minister erteilte also sofort den Auftrag, eine Kommission zu bilden, die ein gewinnbringendes Konzept erarbeiten sollte. Schon nach wenigen Monaten, was in diesem Land viele überraschte, präsentierte diese Kommission „Pro Nikotin bringt Lustgewinn" ein streng geheimes Arbeitspapier, das auf seine Realisierung wartete.

Mit dem Finanzrtiinister befreundete Ärzte und Wissenschafter bestätigten daraufhin die gesundheitsunschädliche Wirkung des Nikotins. Demzufolge druckte man ab sofort auf alle Zigarettenpackungen den sinnigen Spruch „Rat des Finanzministers: Rauchen kann die Staatsfinanzen verbessern!"

An nikotinabhängige Staatsbürger wurde das „Raucherbuch" mit Erfolgsgarantie verteilt, mit dem sie jeweils zum Jahresende für Zigarettenstummel der teureren Sorte eine Rückvergütung in Form von Dauerrabatt auf billige Zigarettensorten vom Finanzministerium verlangen konnten. Nikotingeschädigte erlangten auf Anhieb das Anrecht auf Erste-Klasse-Betten in den öffentlichen Spitälern sowie auf rauchhomöopathische Behandlung. Natürlich mußten die Kosten dieser homöopathischen Rauchwarenbehandlung von den Verwandten des Patienten getragen werden, wofür es allerdings wiederum Steuerfreibeträge gab.

Um eine besondere Breitenwirkung dieser Aktionen zu erzielen, verpflichteten sich alle Regierungsmitglieder bei öffentlichen Auftritten demonstrativ zu rauchen: Wahlwerbegeschenke durften nur in Form von Rauch- und Tabakwaren verteilt werden.

Arbeitsplatzprotektion bei Bund und Ländern sowie in der verstaatlichten Industrie genossen nur noch potentielle Raucher, wobei das „Raucherbuch" über dem Parteibuch stand.

Als besonders gelungene Anregung wurde die Einführung einer „Nikotin- und Teerlungenmeisterschaft" angesehen, an der je-derman, jedefrau und jedeskind (ab zehn Jahre) teilnehmeh konn te. Der Meistertitel brachte einen einwöchigen Aufenthalt auf einer Tabakplantage sowie ein Gratis-lungenröntgen von einem Radiologen nach freier Wahl.

Im Fernsehen startete am Sams-tagsabendunterhaltungs- und -quizprogramm „Ein Raucher gewinnt" (ERG): Prominente Rau^ eher fragen nach ihren Lieblingszigaretten, im Rundfunk wurde ein Raucherhilfemagazin eingeführt, dessen Motto die Anregung und Anleitung zum gesunden und erfolgreichen Rauchen darstellte.

Auch im Arbeitsrecht fanden diese budgetären Maßnahmen ihren Niederschlag,; so wurde rauchenden Mitarbeitern eine tägliche Rauchpause von einer Stunde gesetzlich eingeräumt, ebenso ein Raucherbildungsurlaub von zwei Tagen.

Der Erfolg all dieser Aktionen war umwerfend! Die pflichtbewußten Bürger dieses kleinen Landes rauchten, was die Lungen hielten, und sanierten so den arg defizitären Staatshaushalt. Die Wirtschaftspolitik dieses kleinen Landes wurde zum Paradebeispiel für Prosperität.

Doch stellt*! sich alsbald die Folgen dieser Aufopferung für den Staat ein, die Bürger starben wie die Fliegen an den (uns bekannten) Krankheiten, die übermäßiger Nikotinkonsum hervorruft.

Und so kam es, daß dieses kleine Land ausstarb und von der Landkarte verschwand, einzig der Finanzminister blieb damals passionierter Nichtraucher.

Heute sitzt er im Alter von 97 Jahren im Exil in einem Wiener Kaffeehaus bei einer Melange und schmaucht verschmitzt seine Pfeife, während er an seinen wirtschaftspolitischen Memoiren schreibt, auf die nun schon viele europäische Politiker und Wirtschaftsfachleute ungeduldig warten.

Der Verlag kündigt die Aufzeichnungen unter dem Titel „Das Rauchen war der Untergang. Memoiren eines Nichtrauchers" bereits für die Buchmesse im Herbst an.

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