DOPING für das Gehirn?

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Mittel zur geistigen Leistungssteigerung werden kontrovers diskutiert. Ein EU-Projekt will das Thema in die breite Öffentlichkeit bringen.

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Mittel zur geistigen Leistungssteigerung werden kontrovers diskutiert. Ein EU-Projekt will das Thema in die breite Öffentlichkeit bringen.

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Wer hätte noch vor ein paar Jahrzehnten gedacht, dass man den Speiseplan dahingehend auswählt, damit das Denken besser funktioniert? Dass bestimmte Proteine und Kohlenhydrate die Konzentration und das Gedächtnis auf Vordermann bringen sollen? Oder dass Mineralstoffe, Vitamine und Spurenelemente für den nötigen Energie-Kick an stressigen Tagen eingenommen werden? Genau das ist das Programm der "Brainfood"-Bewegung: Sie zielt darauf ab, für diverse Arbeits-und Belastungssituationen das richtige Essen bereitzustellen. Der ideale Mix soll dafür sorgen, dass das Gehirn wie geschmiert funktioniert. Denn genau das ist die Grundlage unserer geistigen Leistungsfähigkeit.

Hochgerüstete Hirnforschung

Das Beispiel zeigt nicht nur, dass sich gesundes und genüssliches Essen heute gut vereinen lassen. Es demonstriert auch, wie sehr die Idee der Optimierung bereits in unserem Alltag verankert und wie fließend das Spektrum ihrer praktischen Umsetzung ist - die an anderen Fronten höchst umstritten ist. Denn es gibt nicht nur die "Soft Skills" geistigen Dopings wie etwa "Gehirntraining", ausgeklügeltes Essen oder die gezielte Dosierung von Kaffee und Energy-Drinks. Den größten Effekt zur kurzfristigen Steigerung des geistigen Potenzials versprechen medizinische Eingriffe durch Medikamente oder Verfahren der Hirnstimulation. Vor dem Hintergrund der hochgerüsteten Hirnforschung hat sich die Hoffnung breitgemacht, neuartige Neurotechnologien bald auch in diesem Sinne einzusetzen: Und auch wenn diese Idee des "Neuroenhancements" noch weit von der Realität entfernt ist - ihre Strahlkraft in den modernen Wettbewerbsgesellschaften sorgt zuletzt immer wieder für aufgeregte Debatten, sei es im Feuilleton oder in der wissenschaftlichen "Community".

Um die gesellschaftlichen Einstellungen zu den Mitteln und Methoden dieser ambivalent besetzten Idee zu untersuchen, wurde das EU-Projekt NERRI ins Leben gerufen: Hoffnungen, Befürchtungen und Erwartungen von Fachleuten, Interessenvertretern und der breiteren Öffentlichkeit sollten damit zur Sprache gebracht werden. Denn Substanzen und Techniken, die versprechen, die Gehirnleistung zu steigern, werden bisher kaum öffentlich diskutiert. Das Projekt, das den Zeitraum ab 2013 erfasst hat, wurde erst kürzlich bis Ende Mai verlängert: Die Präsentation der Umfragedaten, die nun am 16. Februar im Wiener Volkskundemuseum erfolgte, ist daher als erster Eindruck zu werten. "In der Akzeptanz des Neuroenhancement zeigt sich offenbar ein Ost-West-Gefälle", berichtet Helge Torgersen vom Institut für Technikfolgen-Abschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, das ebenso wie die Johannes Kepler Universität Linz an den über 60 Veranstaltungen und der Online-Umfrage des europaweiten NERRI-Projekts beteiligt war.

Mehr Druck im Hamsterrad?

"In westeuropäischen Staaten wie England oder den Niederlanden findet sich eine insgesamt viel positivere Einstellung gegenüber dem Neuroenhancement als in Mittel- oder Osteuropa. Dies lässt sich wahrscheinlich auf die stärker ausgeprägte Wettbewerbsorientierung in diesen Ländern zurückführen." In Österreich etwa stoße die Idee nur bei zirka zehn Prozent der Bevölkerung auf positive Resonanz, ansonsten herrsche Skepsis bis Ablehnung, so Torgersen: "Viele Menschen sehen sich ohnehin bereits im Hamsterrad und würden das Angebot eines geistigen 'Dopings' hier nur als zusätzlichen Druck empfinden."

Auch die "Natürlichkeit" der eingesetzten Mittel fungiere in einem Land wie Österreich, in dem etwa Bio-Produkte hoch im Kurs stehen, oft als starkes Argument: Medikamente und aufwendige technische Verfahren werden demnach rasch als "unnatürlich" abgelehnt. Aber genau diese Argumentation lassen Fürsprecher des Neuroenhancements nicht gelten: Denn nicht nur Medikamente entfalten ihre Wirkung durch Veränderung der Gehirnfunktion; auch bei Sport, Ernährung oder Schlaf sind günstige Effekte in den Nervenzellen nachweisbar: Auf der Ebene des Gehirns mache es letztlich keinen Unterschied, wie der Effekt zustandegekommen sei. In einer Publikation im renommierten Fachjournal "Nature" forderten britische und amerikanische Experten bereits 2008, dass die Gesellschaft auf den steigenden Bedarf an geistiger Leistungssteigerung reagieren soll - von der positiven Umwertung des Begriffs "Enhancement" bis hin zur Abklärung von Nutzen und Risiko entsprechender Medikamente bei Gesunden.

Wilde Selbstmedikation

Was die Autoren als "steigenden Bedarf" erkennen, bezog sich auf die Schätzung des illegalen Stimulanzien-Gebrauchs an USamerikanischen Universitäten: An manchen Hochschulen sollen bis zu 25 Prozent der Studierenden im letzten Jahr Aufputschmittel verwendet haben, und in manchen Universitätsstädten kursieren Gerüchte, dass man Ritalin zu Prüfungszeiten im Abwasser nachweisen kann. In Mitteleuropa hingegen ist das Problem vergleichsweise gering: Seriöse Studien berichten von niedrigen Konsumraten im einstelligen Bereich, zeigen aber auch das breite Spektrum an Stoffen, die zur Bewältigung von Leistungsanforderungen herangezogen werden - darunter auch Schmerzmittel, Antidepressiva, Cannabis (sic!) et cetera. All diese Stoffe werden heute auch über das Internet gehandelt, ebenso wie diverse Geräte zur Hirnstimulation.

Hochtrabenden Ideen stehen in der Diskussion rund um das "Neuroenhancement" noch sehr bescheidene Mittel gegenüber: Die Medikamente etwa beeinflussen nur vereinzelte Aspekte der kognitiven Leistung, haben eine bescheidene Wirkstärke und weisen ein beträchtliches Risikoprofil auf (s. Interview rechts). Zum Langzeiteinsatz bei Gesunden gibt es aufgrund fehlender Studien noch keine Daten. "Die Debatte steht auf tönernen Füßen", sagt Helge Torgersen. Aber sie wird uns mit Sicherheit weiter beschäftigen.

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