Krankheit und Konsequenzen

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Wer ungesund lebt, solle höhere Krankenkassenbeiträge zahlen, wird immer öfters gefordert. Dabei ist Krankheit etwas, das jeden Menschen - unabhängig vom Lebensstil - treffen kann.

Selbstverantwortung ist ein Wert, dem der Medizinethiker Giovanni Maio große Bedeutung einräumt: "Sich so zu verhalten, dass man Gesundheitsschädigungen vermeidet, gehört zu den unbestreitbaren Pflichten eines jeden Menschen nicht nur gegenüber seinem Umfeld, sondern vor allen Dingen gegenüber sich selbst“, betont der Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin an der Universität Freiburg. Doch Maio sieht auch die Gefahren, die damit verbunden sind, wenn die Idee der Eigenverantwortung zu weit getrieben wird: "Es wäre ein enormer Rückschritt für das Humanum der Medizin, wenn das Krankwerden in unserer heutigen Zeit nur noch als Resultat der eigenen Versäumnisse gedeutet wird“, wie er auf dem Symposium "Lebensstil und persönliche Verantwortung“ ausführte, das kürzlich vom Institut für medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE) in Wien veranstaltet wurde.

Das wachsende gesellschaftliche Bewusstsein für Gesundheitsförderung und Prävention hat auch seine Schattenseiten. Das Wissen darum, dass bestimmte Verhaltensweisen ein deutlich erhöhtes Gesundheitsrisiko mit sich bringen, führt leicht zu dem Gedanken, Kranke seien selbst schuld an ihrem Zustand. Exemplarisch sind die Äußerungen des Präsidenten der Österreichischen Ärztekammer, Walter Dorner, anlässlich des genannten Symposiums. Der oberste Ärztevertreter warf die Frage auf, "ob die vorhersehbaren Konsequenzen eines bewussten Raubbaus an der eigenen Gesundheit noch als schicksalhaftes Ereignis bezeichnet werden könnten.“ Es gibt sogar Stimmen, die Sanktionen in Form von höheren Krankenkassenbeiträgen oder Selbstbehalten für all jene fordern, die sich schlecht ernähren, zu wenig bewegen, übermäßig Alkohol trinken oder rauchen. Auch Dorner denkt in diese Richtung: Man müsse hinterfragen, "inwieweit rücksichtslose Verhaltensweisen, die eine hohe Gefahr der Selbstschädigung mit sich bringen, immer eine Verpflichtung der Solidargemeinschaft nach sich ziehen müssen.“

"Prävention mt humanen Antlitz“

"Die ethische Herausforderung im Präventionszeitalter liegt in der drohenden Gefahr einer neuen Moralisierung von Krankheit“, erklärt Medizinethiker Maio. Selbst Krebs oder Schlaganfälle würden zusehends als Folge ungenügender Prävention und Vorsorge gesehen, kritisiert er: "Krankheit aber ist etwas, was jeden Menschen, ganz gleich wie er gelebt hat, jederzeit ereilen kann.“ Doch im Zeitalter der Prävention hätten Begriffe wie Schicksal keinen Platz mehr - eine in Maios Augen fatale Entwicklung: "Eine Gesellschaft, die kein Schicksal mehr kennt, ist eine Gesellschaft ohne Gnade. Eine Gesellschaft, die kein Schicksal mehr duldet, ist eine unbarmherzige Gesellschaft.“ Der deutsche Mediziner und Philosoph fordert daher eine "Prävention mit humanem Antlitz“ und spricht sich dagegen aus, dass jene, die ungesund leben, mehr ins Gesundheitssystem einzahlen sollen.

Sanktionen haben keinen Nutzen

"Nehmen sie eine alleinerziehende Mutter, die mit einem Job an der Supermarktkasse versucht, ihre beiden Kinder zu ernähren. Es wäre ungerecht und inhuman, dieser Frau mit erhöhten Krankenkassenbeiträgen zu drohen, wenn sie nicht ins Fitnessstudio geht oder einen Kurs für gesundes Kochen besucht.“ Sanktionen haben keinen Nutzen für die Gesundheitsvorsorge, ist Maio überzeugt.

Da gibt ihm Gottfried Endel, ein Experte im Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherungsträger, Recht: "Die Entscheidung für einen bestimmten Lebensstil ist nicht rational.“ Strafmaßnahmen gegen Dicke, Trinker oder Bewegungsmuffel würden nicht fruchten, ist Endel überzeugt. In den USA zum Beispiel führe für viele Menschen eine schwere Erkrankung aufgrund des dortigen Versicherungssystems zu einer finanziellen Katastrophe. Selbst diese massive Bedrohung jedoch bewirke kein erhöhtes Gesundheitsbewusstsein bei den Amerikanern. Auch Endels Schluss lautet: "Es besteht die Gefahr, dass mit der Betonung der individuellen Verantwortung das Gesundheitssystem entsolidarisiert wird.“

Prävention und Gesundheitsvorsorge haben auch noch andere Kehrseiten: Anita Rieder, Professorin für Sozialmedizin am Zentrum für Public Health der Medizinischen Universität Wien, verweist auf Verunsicherung, Angst und Diskriminierung als unerwünschte Folgen von Präventionskampagnen. Als Präsidentin der Österreichischen Adipositasgesellschaft ist Rieder mit Vorsorgemaßnahmen gegen Fettleibigkeit beschäftigt und ist sich daher der Gefahr bewusst, dass gut gemeinte Aufklärung über die Risiken des Übergewichts zur Stigmatisierung der Übergewichtigen führen könnte.

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