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Tugend und Jugend des Dorfes

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Das bäuerliche Elternhaus war früher einmal der wichtigste Erziehungsfaktor neben Kirche und Schule. In der Gegenwart üben auf den jungen Menschen noch Presse, Kino, Rundfunk, Fernsehen, Sport, das Stadtleben mit den technischen Errungenschaften und Modeströmungen in Kleidung und Musik starke Einflüsse aus und sind an der Formung der jungen bäuerlichen Generation maßgeblich beteiligt. Der Nivellie-rungsprozeß zur Stadt hin macht riesige Fortschritte. Der Traditionsschwund zeigt sich besonders in der bäuerlichen Umgangssprache. Die Jahrhunderte alten Sprüche und Redensarten, die eine bäuerliche Lebensphilosophie darstellen, schwinden. Sehr zu bedauern ist es, daß die „Ui“-Mundart von Jahr zu Jahr stärker verdrängt wird. Der Sport, und hier besonders das Fußballspiel, hat viele bodenständige Kinderund Jugendspiele verdrängt. Das alte Sagen-und Märchengut wird von der jungen Generation abgelehnt. Die vielen Kindergebete, wie sie noch die Großeltern kannten, werden von den rrieisten“ Bauernkiridern' nicht mehr ebeteTC' Das Arbeitstempo im Bauernhaus ist so groß geworden, daß man für das Beten nur noch wenig Zeit hat. Das technische Zeitalter ist in das Dorf orkanartig eingebrochen und hat in vielen Gegenden nur noch spärliche Reste des geistigen Kulturgutes übriggelassen. Der Traditionsbruch auf allen Gebieten ist nicht mehr zu übersehen. Die letzten Reste des alten bäuerlichen Kulturgutes zu sammeln, ist ein Gebot der Stunde. Vielfach ist es zu spät, zum Beispiel im Marchfeld oder im Wienerbecken. Es ist heute eine Art neues Weltbürgertum im Entstehen begriffen, das auch vor dem Bauernhof nicht Halt macht. Die reinen Bauerndörfer sind eine Seltenheit geworden und gehören der Vergangenheit an. Durch die Entwicklung des Verkehrs ist es den vielen Pendlern, die im Dorf wohnen, möglich geworden, ihre Arbeitsstätten in den Städten und entfernten Arbeitsplätzen zu erreichen. Sie bringen vielfach städtischen Geist ins Dorf!

Eine Untersuchung über den geistigen Strukturwandel an 950 Burschen und Mädchen, die landwirtschaftliche Schulen und Kurse besuchen, brachte folgendes Ergebnis:

Das Dorf als kleiner Lebensraum ist vielen zu eng geworden. Die Jungen und auch viele Alte verlassen es an Sonn- und Feiertagen mit Moped und Auto. Durch die modernen Verkehrsmittel ist der Erlebniskreis, der früher einmal nicht weit über das Pfarrgebiet hinausreichte, viel größer geworden. Während von der vierzehn-und fünfzehnjährigen Bauernjugend 41 Prozent sehr oft und 50 Prozent gelegentlich bei schönem Wetter an Sonn- und Feiertagen wegfahren, erreicht der Prozentsatz bei den neunzehn- bis vierundzwanzigj ährigen Burschen 83 Prozent, die sehr oft, 14 Prozent, die nur gelegentlich einmal, und nur 3 Prozent, die nie wegfahren. Von den landwirtschaftlichen Lehrlingen und den vierzehn- und fünfzehnjährigen Bauernburschen können 16 Prozent beziehungsweise 9 Prozent an einem Sonntag das Dorf nicht verlassen, weil sie noch kein Fahrrad oder Moped besitzen Der sehnlichste Wunsch in diesem Alter ist: ein Fahrrad oder Moped! Nur in den Gebir;sbauernhöfen b'c'bt die Bauernjugend mehr daheim oder trifft 'ich im Nachbarhaus. Von den Bauernmädchen fahren nur ein Fünftel an einem Sonn- oder Feiertag öfter weg, die übrigen nur gelegentlich.

Das Verlassen des Dorfes gefährdet sehr das dörfliche Gemeinschaftsleben. Es fehlen in der Dorfkirche viele Jugendliche, und die Feuerwehrübungen, die früher oft an einem Sonntag abgehalten wurden, müssen wochentags an einem Abend durchgeführt werden. Es leiden darunter die Gesangvereine und das gesellige Dorfleben.

Das Kennenlernen der Heimat hat freilich auch Lichtseiten. Vieles kann in der eigenen Wirtschaft nutzbringend angewendet werden. Während früher viele von Minderwertigkeitskomplexen behaftet waren, hat sich die heutige Bauernjugend sicheres Auftreten und städtische Umgangsformen angeeignet. Sowohl in der Kleidung als auch im ganzen Gehaben sind gegenüber der Stadtjugend keine allzu großen Unterschiede mehr da.

Das Kino besuchen 40 Prozent sehr oft, 51 Prozent seltener beziehungsweise nur gelegentlich, und nur 9 Prozent nie. Die Nicht-kinobesucher sind in den Kreisen der Landarbeiter (15 Prozent) und bei den vierzehn- und fünfzehnjährigen Burschen (11 Prozent) am höchsten, hingegen besucht von den älteren Bauernsöhnen nur jeder fünfzigste Bursche (2 Prozent!), und von den Bauernmädchen nur jedes zwanzigste Mädchen (5 Prozent) nie ein Kino. In den Streusiedlungsgebieten ist der Prozentsatz etwas höher. Auch die Geldfrage spielt beim Kinobesuch eine nicht unbedeutende Rolle. Wenn auch das Interesse für einen Kino-

Die Feldarbeit und besonders die Stallarbeit hindert viele daran, an interessanten Sendungen teilzunehmen. Man darf nicht alles auf Interesselosigkeit buchen.

In der Musik zeigt sich sehr deutlich, daß der Rhythmus der modernen Zeit auch im Dorf seinen Siegeszug angetreten hat. Die Mädchen und die älteren Burschen lieben noch die Unterhaltungsmusik und die alten Weisen. Leider kommt bei den Sendungen die bodenständige österreichische Note viel zu kurz. Die moderne Schlagermusik ist dagegen bei den jüngeren Burschen und Mädchen sehr beliebt.

Für die täglichen Nachrichten, den Wetterbericht, die Politik und das Weltgeschehen interessiert sich nur jedes dritte Mädchen stärker, und jedes fünfte Mädchen hört sich diese Senbesuch vorhanden wäre, so fehlt es doch am nötigen Taschengeld. Von den Filmen selbst bevorzugen die landwirtschaftlichen Arbeiter und Lehrlinge zu 30 Prozent Kriminalfilme. Ebenso schwärmen 25 Prozent von den vierzehn- und fünfzehnjährigen Bauernsöhnen von solchen Filmen. Das Interesse für Kriminalfilme nimmt mit dem Alter und auch mit der Intelligenz ab, denn von den neunzehn- bis vierundzwanzigj ährigen Burschen besuchen nur noch 10 Prozent und von den Schülern bäuerlicher Fachschulen gar nur noch 8 Prozent Kriminalfilme. Die Mädchen lehnen mit ganz wenigen Ausnahmen die Kriminalfilme ab.

Es gibt auch noch 4 Prozent Bauernhäuser, die kein Rundfunkgerät haben; besonders in Gegenden, wo noch kein elektrischer Strom eingeleitet wurde. Ein Fernsehgerät trifft man erst in jedem fünfzigsten Bauernhaus an, doch haben die meisten Dorfwirte eines, und fast ein Viertel der bäuerlichen Jugend nimmt an Fernsehsendungen oft teil, 60 Prozent besuchen die Fernsehsendungen selten, beziehungsweise nur gelegentlich und nur 16 Prozent nie.

Sehr lehrreich ist das Verhältnis der bäuerlichen Jugend zu den Sendungen des Rundfunks und des Fernsehens. Ohne auf Bauernkinder, Landarbeiter, Lehrlinge, Alter und Geschlecht Rücksicht zu nehmen, ergibt der Gesamtdurchschnitt folgendes Bild: dungen überhaupt nicht an. Von den Burschen dagegen bringen von hundert nur fünf Burschen diesen Sendungen kein Interesse entgegen. Würde auf dem Lande die Frau auch in die Gemeindepolitik eingeschaltet werden, hätte man auch in den Reihen der Bäuerinnen mehr Anhängerinen für politische Fragen. Die Bäuerinnen, die bisher in die Gemeindestube einzogen, haben sich gut bewährt.

Was die Sendungen des Landfunks anbelangt, stehen die Bauernmädchen an der Spitze, denn von hundert hören sich nur fünf diese Sendungen nicht an. Der Landfunk ist eine der beliebtesten Sendungen; seine Sendungen müßten noch ausgestaltet und verbessert werden.

Wenn auch erst jeder fünfzigste landwirtschaftliche Schüler beziehungsweise Schülerin Gelegenheit hat, zu Hause an den Fernsehsendungen teilzunehmen, so stehen doch schon in vielen öffentlichen Lokalen Fernsehempfänger. Die Fernsehsendungen üben eine besondere Anziehungskraft auf die Jugend aus: nur jeder sechste junge bäuerliche Mensch nimmt n i e an solchen Sendungen teil.

Die Bauerngestalten, die die Löwinger-Bühne bringt, sind in den meisten Fällen nicht mehr lebensecht und passen nicht mehr in unsere Zeit herein. Diese Bauernkomödien werden besonders von der intelligenteren bäuerlichen Jugend abgelehnt, man fühlt sich verspottet. Diese Sendungen bergen außerdem noch die Gefahr in sich, daß sich der einfache Städter vom Bauern ein vollständig falsches Bild macht. Während am Fernsehen im allgemeinen nur 16 Prozent n i e teilnehmen, nehmen an den Sendungen der Löwinger-Bühne 42 Prozent nicht teil, von den Absolventen bäuerlicher Fachschulen sind es 54 Prozent und von den Bauernmädchen 56 Prozent! Nur Landarbeiter und landwirtschaftliche Lehrlinge hören sich bis zu 27 Prozent diese Bauernstücke an, von den Schülern der bäuerlichen Fachschulen nur vier Prozent.

Die Krjmirtalsendunoen finden, beiden, Buern-mädenen keinen Anklang: nur jedes zehnte Mädchen hört sich gelegentlich diese Sendungen an. Dagegen finden daran Freude die Landarbeiter und Lehrlinge und die vierzehn- und fünfzehnjährigen Burschen.

Wenig Verständnis bringt man der klassischen Musik und den Opernsendungen entgegen. In den meisten Fällen sind jugendliche Musiker daran interessiert und solche, die bereits Gelegenheit hatten, einer Opernaufführung beizuwohnen und von einem Fachkundigen in eine Opernaufführung eingeführt wurden. Lehrer, die Schüler landwirtschaftlicher Schulen gut vorbereitet hatten und die die Handlung der Oper kannten, fanden in den meisten Fällen auch Freude und Verständnis für solche Aufführungen. Die Großstadtjugend hat durch die Einführung des „Theaters der Jugend“ auf diesem Gebiet gute Erziehungsarbeit geleistest. Der Ausbau der Länder- und guter Wanderbühnen wäre eine kulturelle Notwendigkeit.

Dem guten Buch, der Fachzeitschrift und der Zeitung wird noch immer viel zuwenig Aufmerksamkeit zugewendet. Große Fortschritte konnten bei Zeitungen und Zeitschriften gemacht werden. An erster Stelle stehen das Wochenblatt mit den Neuigkeiten der engeren

Heimat und das bäuerliche Organisationsblatt. Und doch findet man unter hundert Schülern drei, die auch diese Blätter nie lesen! Dann folgt das landwirtschaftliche Fachblatt: nur jeder siebente bäuerliche Mensch bekommt kein solches Blatt in die Hand! Hingegen ist es mit der Tageszeitung noch schlecht bestellt, denn etwas weniger als ein Viertel lesen nie eine Tageszeitung. Zu den eifrigsten Lesern der Wochen-und Tageszeitungen zählen die Schüler der bäuerlichen Fachschulen und die Burschen von achtzehn Jahren aufwärts. Die Mädchen lesen interessanterweise bedeutend weniger die Wochen- und Tagesblätter, hingegen gehören sie zu den fleißigsten Leserinnen der Fachpresse und stellen die Burschen dabei weit in den Schatten. In den Fachzeitschriften, besonders in der „Landjugend“, kommt man den Interessen der Mädchen sehr entgegen, daher sind sie auch bei ihnen so beliebt! Sie finden dort Kochrezepte, Kleiderschnitte, Modefragen und praktische Winke für die Hausfrau. Am geringsten ist die Lesefreudigkeit bei den landwirtschaftlichen Arbeitern — die Fremdwörter und der geschraubte Stil der meisten Blätter vergällen ihnen das Lesen.

Was interessiert nun die junge bäuerliche Generation in den Zeitungen und Zeitschriften am meisten? An erster Stelle stehen die Tagesneuigkeiten, denn 62 Prozent lesen sie sehr . häufig, 30 Prozent seltener und 8 Prozent nie. Dann folgen die Sportnachrichten, 36 Prozent lesen sie sehr oft, 32 Prozent seltener oder nur gelegentlich und !\ Prozent nie. Die politischen Nachrichten werden von 27 Prozent sehr oft, von 48 Prozent seltener oder nur gelegentlich und von 25 Prozent nie gelesen. Aber noch weniger Interesse bringt man den Leitartikeln einer Zeitung entgegen, ein Beweis, daß auch das Zeitunglesen gelernt werden müßte, denn es lesen nur 23 Prozent sehr oft, 45 Prozent seltener oder nur gelegentlich und 32 Prozent nie einen Leitartikel einer Zeitung.

Das Leseinteresse für politische Fragen nimmt freilich mit dem Alter beständig zu. Die Landarbeiter zeigen zu einem Drittel überhaupt für politische Fragen keine Anteilnahme, und nur 10 Prozent lesen in den Zeitungen den politischen Teil. Von den Bauernmädchen lesen 35 Prozent nie politische Nachrichten und

61 Prozent nie die Sportnachrichten! Am interessiertesten für den Sport sind die Landarbeiter, die landwirtschaftlichen Lehrlinge und die vierzehn- und fünfzehnjährigen Bauernsöhne. Von den Genannten lesen 63 Prozent beziehungsweise 49 Prozent den Sportteil in den Zeitungen und hören sich in den Rundfunk- und Fernsehübertragungen die Sportereignisse an.

Auf dem Gebiet des Buches und des Büchereiwesens ist auf dem Lande noch sehr viel nachzuholen. Besonders in der älteren Bauerngeneration wird dem Buch nicht immer das notwendige Interesse zugewendet. Das Ländliche Fortbildungswerk hat in Niederösterreich wohl mit dem Aufbau von Vereinsbüchereien begonnen, doch steckt vieles auf diesem Gebiet des Büchereiwesens erst im Entwicklungsstadium. Es muß noch viel vom großen Vorsprung anderer Berufsstände nachgeholt werden, wenn das Bildungsniveau ausgeglichen sein soll.

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