6743988-1966_52_09.jpg
Digital In Arbeit

Absenz der Arbeiterschaft

Werbung
Werbung
Werbung

Am Zahltag besuchten im Industriegebiet zwischen Neunkirchen und Gloggnitz von 29.200 Verpflichteten nur 4400 tatsächlich die Sonn- tagsmesise, also 15 Prozent (27,7 Prozent der Männer und 17,3 Prozent der Frauen). Ein Vergleich dieses Ergebnisses mit Resultaten in anderen österreichischen Städten ist nicht sehr erfreulich, denn sogar die Gottesdienstziffern von Wien und Krems (je 19 Prozent) sind höher als die in der Gloggnitzer Bucht. Gegenüber St. Pölten (33 Prozent) und Innsbruck (37 Prozent) schneidet aber das Untersuchungsgebiet im Bezirk Neunkiirchen besondere schlecht ab. Es darf dabei nicht übersehen werden, daß sehr große regionale Unterschiede auftreten. Die kleinen Bauerngemeinden hatten nämlich einen Meßbesuch bis zur Hälfte der verpflichteten Katholiken zu melden, die Industriegemeinden errechneten hingegen einen Stand unter 10 Prozent, zum Beispiel in Pottschach 8 Prozent! Schauen wir uns die Altersstufung der Gottesdienstbesucher („Dominikantes“) an, so stechen die Kinder und die Alten hervor, während die mittleren Jahrgänge von 30 bis 50 Jahren weitgehend fehlen. Bei den Frauen wird zwar mit zunehmendem Alter die Beteiligung an der Sonntagsmesse größer, aber der geringste Anteil überhaupt war — mit Ausnahme der Männer in den mittleren Jahren — bei den Mädchen der Altersgruppe von 14 bis 25 Jahren in Pottschach und Wimpassing zu konstatieren.

Die Zusammensetzung der Kirchenbesucher wird demnach von der beruflichen Zugehörigkeit bestimmt: die Bauern, die Hausfrauen, die Schüler und die Studenten sind bei den Dominikantes anteilsmäßig viel stärker als in der Gesamtbevölkerung vertreten. Dagegen besuchte nur einer von zwölf der in Industrie, Handel, Gewerbe und Verkehr erwerbstätigen Personen den Sonntagsgottesdienst. In der Stadtpfarrkirche von Ternitz waren von 100 Kirchenbesuchern nur 14 Arbeiter und in Pottschach sogar bloß 11.

Welche Milieufaktoren geben aber nach der Meinung der kirchlichen

Sozialforscher für ein derart niederschmetterndes Resultat, für diesen niederen Stand der Religiosität am Fuß von Schneeberg und Rax, den Ausschlag? Die Gottesdienstziffer hängt vor allem von der Berufsstruktur ab: ob die Bauern oder die Arbeiter überwiegen. Die kirchenfeindliche Einstellung der Arbeiterschaft ist traditionell bedingt. Die Arbeiter schätzen zwar die katholische Hilfsbereitschaft und Solidarität, sie sehen aber in einer kirchlichen Praxis ohne wirkliche Nächstenliebe nur eine verabscheuungswürdige Heuchelei. Hemmend für die religiöse Beteiligung sind ebenso die sozialen Kontrollen, in erster Linie durch die Arbeitskollegen im

Betrieb. Trotzdem zählten die

Sozialforscher unter den Dominikan- tes jeweils mehr als 100 Betriebsangehörige der Großfirmen Sehoel- ler-Bleckmann und Semperit. Darüber hinaus spielen noch die auch anderswo gültigen Zeiterscheinungen und Einflüsse eine entscheidende Rolle. Die Wohlstands- und Kon sumgesellschaft mit der Berufstätigkeit von beiden Elternteilen sowie mit den Leitbildern von Fernsehapparaten und Autos formt gleichfalls das primäre Denken und Handeln vieler Zeitgenossen, natürlich zum Schaden der religiös-geistigen Aktivität. Der geringe Meßbesuch der jungen Mädchen ist kein reiner Zufall, sondern der Begleitumstand einer in diesem Industrierevier besonders vorherrschenden sexuellen Freizügigkeit von Jugendlichen und Erwachsenen. Diese komplexe, von anders gearteten Interessen erfüllte Umwelt drückt kräftig auf die Gottesdienstziffer, das quantitativ Merkmal der Religiosität.

Schlüssel für die Zukunft

Das Institut für kirchliche Sozialforschung erkundete aber nicht nur die sozialökonomischen Voraussetzungen und den Grad der katholischen Aktivität, sondern es entwik- kelte auch entsprechende Planungsvorschläge für die absehbare Zukunft. Wir wollen uns hier mit wenigen Hinweisen begnügen. So wurde mit aller Deutlichkeit eine Änderung der Dekanats- und Pfarrgrenzen empfohlen, da die Pfarrgebiete vielfach zu groß und zu unüberschaubar sind. Im untersuchten Industriegebiet sollte überdies an Stelle der „Tradi'tionismaschiinerie“ ein bewußtes Christentum gepflegt werden. Die Pfarrblätter wären nach der Meinung der Soziologen hauptsächlich für diejenigen Leute zu verfassen, die nicht in die Kirche gehen, keineswegs aber nur für die Minderheit der Dominikantes. Die Seelsorgearbeit hätte sich folgerichtig an all Bevölkerungsschichten, darunter besonders an die Arbeiter und die Intellektuellen, zu wenden. Es wäre falsch, sich dabei auf die leicht ansprechbaren gesellschaftlichen Gruppen zu beschränken. Die Zugänglichkeit der Arbeiter würde man auf jeden Fall verlieren, wenn sich die Seelsorger oder die katholischen Aktivisten in den Pfarren mit der ÖVP identifizieren und für diese politische Partei direkt oder indirekt Stellung nehmen sollten. Überhaupt wäre es sehr ratsam, jede antiisozialistiische Aktion zu unterlassen. Und damit haben die katholischen Sozialwissenschaftler den Priestern in ' den Industriepfarren des Schwarzagebietes neue Wege gewiesen, die sie nur noch zu beschreiten brauchen: zum Vorteil der katholischen Kirche und mit dem Ziel, einen Beitrag zur sittlichen und geistigen Aufrüstung der industriellen Wohlstandsgesellschaft zu leisten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung