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Bereinigte Lohnquote seit Jahren konstant

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Fragen der Einkommensverteilung haben in den letzten Jahren in Österreich merklich an Aktualität gewonnen. Dazu mag das gestiegene Bewußtsein einzelner Bevölkerungsgruppen beigetragen haben, daß nicht alle der bestehenden Einkommensdifferenzen durch Unterschiede in der Leistung oder der Verantwortung erklärt werden können, aber auch die Frage, ob und in welchem Umfang es der Regierung gelungen ist, ihrem Ziel eines Abbaus der Einkommensdiffe*-rentiale näherzukommen. Schließlich ist es plausibel, daß zu Zeiten geringeren Wirtschaftswachstums die Diskussion um die Verteilung des vorhandenen Kujchens an Gewicht gewinnt.

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Fragen der Einkommensverteilung haben in den letzten Jahren in Österreich merklich an Aktualität gewonnen. Dazu mag das gestiegene Bewußtsein einzelner Bevölkerungsgruppen beigetragen haben, daß nicht alle der bestehenden Einkommensdifferenzen durch Unterschiede in der Leistung oder der Verantwortung erklärt werden können, aber auch die Frage, ob und in welchem Umfang es der Regierung gelungen ist, ihrem Ziel eines Abbaus der Einkommensdiffe*-rentiale näherzukommen. Schließlich ist es plausibel, daß zu Zeiten geringeren Wirtschaftswachstums die Diskussion um die Verteilung des vorhandenen Kujchens an Gewicht gewinnt.

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Diesem gesteigerten Interesse der Öffentlichkeit und der Medien steht nach wie vor ein relativ großes Desinteresse von Regierung und Opposition sowie der Sozialpartner gegenüber und in deren Gefolge jener Institutionen, die Einkommensverteilungsdaten erstellen und analysieren.

Soweit es in Österreich zu Diskussionen über Fragen der Einkommensverteilung kommt, herrscht eine verhältnismäßig große Verwirrung. Im Vordergrund jeder Auseinandersetzung steht nach wie vor die sogenannte „funktionelle" Einkommensverteilung, die die Aufteilung des Volkseinkommens auf die beiden großen Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital beschreibt, also die Entwicklung der „Lohnquote", des Anteils der Lohn- und Gehaltssumme am Volkseinkommen.

Nun scheint diese Größe eine der .uninteressantesten für die Beurteilung von „Verteilungsgerechtigkeit" zu sein. Ihre Popularität beruht auf ihrer leichten statistischen Verfüg-;! iubarken>im Rahmen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ihre Bedeutung sowohl in der neoklassischen wie marxistischen Theorie und - wie so oft - in der Tatsache, daß man mit einer Kennziffer eine komplexe Wirklichkeit einzufangen können glaubt.

Bei der Interpretation der Ergebnisse der funktionellen Einkommensverteilung ist zu bedenken, daß zahlreiche Unselbständige „Gewinneinkommen" beziehen, z. B. Zinsen auf Vermögen, anderseits die „Gewinneinkommen" auch einen beträchtlichen Anteil „Arbeitseinkommen" enthalten, wie man sich unschwer bei freiberuflich Tätigen und Bauern überzeugen kann. Darüber hinaus verstellt die Befassung mit der funktionellen Einkommensverteilung weitgehend den Blick auf die wesentlich schwerwiegenderen Probleme der großen Einkommensdisparitäten innerhalb einzelner Berufsgruppen, seien es nur die beiden großen der selbständig und unselbständig Erwerbstätigen.

Schließlich kann eine Volkswirtschaft westlicher Prägung mit weitgehend freier Investitionsentscheidung nur funktionieren, wenn der Gewinnanteil am Volkseinkommen nicht gegen Null geht. Da Investition wieder Wachstum nach sich zieht, damit auch eine Zunahme der Lohneinkommen, kann es durchaus sein, daß das Realeinkommen eines Arbeitnehmers in einem Land mit niedrigerer Lohnquote wesentlich höher ist als in einem Land mit höherer

Lohnquote. Es ist keine Frage, welches Land die überwiegende Mehrheit der Arbeitnehmer vorziehen würde.

Anders verhält es sich bei der sogenannten „personellen" Einkommensverteilung, die idealerweise die Verteilung aller für Konsumzwecke

zur Verfügung stehenden Einkommen nach ihrer Höhe für alle Erwerbstätigen oder für Untergruppen von ihnen angibt.

In einer vor kurzem erschienen, von Hannes Suppanz und Michael Wagner herausgegebenen Studie des Instituts für Höhere Studien in Wien „Einkommensverteilung in Österreich" wird von zwei Autoren, Kurt Bayer und Günther Chaloupek, die funktionelle und personelle Einkommensverteilung in Österreich für die Jahre 1954 bis 1975 analysiert.

In dieser Zeitspanne hat in Österreich die Lohnquote beträchtlich von schwach 60 auf über 70 Prozent zugenommen. Diese Veränderung geht allerdings im wesentlichen auf Verschiebungen in der Beschäftigtenstruktur zurück. So ist im genannten Zeitraum der Anteil der Unselbständigen an den Erwerbstätigen von etwas über 65 auf nahezu 83 Prozent angestiegen.

Schaltet man diesen Faktor rechnerisch aus, zeigt sich, daß die sogenannte „bereinigte" Lohnquote sich in den letzten 25 Jahren kaum verändert hat. Wohl gibt es konjunkturelle Bewegungen. In der Phase eines Konjunkturaufschwungs erhöhen sich in der Regel die Gewinneinkommen stärker als die Lohneinkommen, da die ansteigende Kapazitätsauslastung die Stückkosten der Unternehmen senkt und gleichzeitig die Lohnentwicklung durch die vorangegangene Lohnrunde weitgehend festgeschrieben ist.

Erst in der Spätphase der Konjunktur fallen die Gewinneinkommen wieder relativ zurück, so daß es auf längere Sicht zu einer weitgehenden Konstanz des Anteils der Lohn- und Gewinneinkommen am Volkseinkommen kommt. Besonders wenig zielführend ist es daher, die kurzfristige Bewegung der Lohn- oder Ge-

winnquote zu verfolgen und daraus weitreichende Schlüsse über Erfolg oder Mißerfolg der Gewerkschaftsund Arbeitgeberpolitik zu ziehen.

Eine typische Frage der „personellen" Einkommensverteilung wäre folgende: Wieviel Österreicher haben ein Einkommen von monatlich 5000 S, wieviel ein solches zwischen 5000 und 10.000 S, zwischen 10.000 und 15.000 S usw.?

Dabei ist nicht allein die absolute Einkommenshöhe dafür entscheidend, ob jemand mit seinem Einkommen zufrieden ist, es als gerecht empfindet, sondern auch seine relative Einkommensposition im Vergleich zu anderen. Wenn wir also eine gerechtere - was immer der einzelne hier unter gerecht verstehen mag -Einkommensverteilung anstreben, so meinen wir damit eine Veränderung der personellen Einkommensverteilung.

Für eine Analyse der personellen

Einkommensverteilung fehlt es in Österreich an der geeigneten Datenbasis. So sind praktisch keine Aussagen über die Verteilung der Gewinneinkommen nach Einkommensklassen möglich. Auch die für die Lohneinkommen zur Verfügung stehenden Statistiken, wie Lohnsteuerstatistik und Lohnstufenstatistik der Sozialversicherung, weisen ernste Mängel auf. So wird die Lohnsteuerstatistik nur alle drei Jahre erstellt

und nicht einmal regelmäßig veröffentlicht. Darüber hinaus ist sie nicht repräsentativ.

Aus den vorhandenen statistischen Unterlagen läßt sich der Schluß zie-' hen, daß auf eine Phase einer leichten Nivellierung der Unselbständigeh-einkommen in der unmittelbaren Nachkriegszeit in den Jahren 1953 bis 1960 eine Phase beträchtlicher Ent-nivellierung, also der Vergrößerung der Einkommensunterschiede gefolgt ist. Anders ausgedrückt: In diesen Jahren erhöhten sich die oberen Einkommen rascher als die unteren.

Seit Anfang der sechziger Jahre ist die personelle Einkommensverteilung im großen und ganzen unverändert geblieben. Der Grund für die starke Auseinanderbewegung der Einkommen in den fünfziger Jahren liegt wohl in der Reaktion auf die eher dirigistische und zentralistische Wirtschafts- und Lohnbildungspolitik der Nachkriegszeit.

Nach der Normalisierung der wirtschaftlichen Bedingungen wurde auch die Lohnpolitik der Gewerkschaften stärker dezentralisiert. Erste Mangelerscheinungen machten sich bei qualifizierten Fachkräften bemerkbar, die sich in entsprechend überproportionalen Lohnsteigerungen niederschlugen. Mit der Entstehung der Sozialpartnerschaft in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre , verlagert sich der Lohnbildungsprozeß wieder stärker zum Gewerkschaftsbund.

Das Prinzip der österreichischen Sozialpartnerschaft beinhaltet wohl auch den beiderseitigen Verzicht auf spektakuläre Veränderungen in den bestehenden Verteilungsrelationen. Uberraschend mag das Ergebnis einer Analyse der Arbeiterverdienste in der Wiener Sachgüterproduktion trotz aller Vorbehalte wegen des Problems der Vergleichbarkeit über einen längeren Zeitraum sein: Diese Erhebung wurde erstmals 1925/26 von der Wiener Arbeiterkammer durchgeführt und deutet bei den männlichen Arbeitern auf eine weitgehend konstante Lohnstruktur während der letzten 50 Jahre!

Zusammenfassend sei festgehalten, daß der. Stand der Statistik und der Analyse von Verteilungsfragen in Österreich äußerst bescheiden ist, so daß umfassende Schlußfolgerungen und insbesondere Anweisungen zum politischen Handeln noch kaum möglich sind. Ein besonderes Anliegen muß es sein, die Einkommenslage des einzelnen in eine Beziehung zu seinem Arbeitseinsatz und seinen persönlichen Umständen, insbesondere der Familiengröße zu bringen. In Zukunft werden die Anstrengungen auf dem Gebiet der Verteilungsforschung beträchtlich verstärkt werden müssen. Die Untersuchung des Instituts für Höhere Studien hat dazu hoffentlich einen Anstoß gegeben.

Dr. Erhard Fürst ist beigeordneter Direktor des Instituts für Höhere Studien in Wien.

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