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Digital In Arbeit

Transferstaat Osterreich

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Das Steuersystem wird in Osterreich zu wenig zur Armutsbekämpfung genutzt. Dafür zählt unser Land bei der Belastung der Arbeit zur Weltspitze.

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Das Steuersystem wird in Osterreich zu wenig zur Armutsbekämpfung genutzt. Dafür zählt unser Land bei der Belastung der Arbeit zur Weltspitze.

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Die Umverteilung durch die Aktivitäten des Staates erreicht in Österreich einen beträchtlichen Umfang. Sie erfolgt fast ausschließlich über die Ausgabenseite. Mit einer niedrigen Einkommensund Vermögensbesteuerung, aber hohen Sozialabgaben und indirekten Steuern (Umsatzsteuerundso weiter), die die unteren Einkommensschichten stärker belasten als die oberen, wirkt die Einnahmenseite kaum umverteilend.

Die Möglichkeiten der staatlichen Umverteilungspolitik sind durch den Umfang der Staatstätigkeit und die Struktur der öffentlichen Einnahmen und Ausgaben festgelegt. Österreich hat wohl im internationalen Vergleich einen überdurchschnittlich hohen Staatsanteil, die Umverteilungseffizienz des Abgabensystems ist aber gering, da der Anteil der Abgaben mit progressiver Wirkung, die die Bezieher hoher Einkommen stärker belasten als solche mit geringem Einkommen, niedrig ist.

Während im OECD-Durchschnitt rund 40 Prozent des gesamten Abgabenaufkommens durch Einkommens- und Vermögenssteuern aufgebrachtwerden, entfallen in Österreich nur rund ein Viertel auf diese direkten, progressiv wirkenden Abgabenkategorien. In Österreich spielen dagegen die Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung, die durch die 1 Iöchstbeitragsgrundlage Personen mit hohem Einkommen weniger belasten als solche mit niedrigem, also regressiv wirken, und Steuern auf die Lohnsumme eine viel größere Rolle.

Generell haben sich in den letzten 20 Jahren sowohl die Verteilung der Einkommen als auch die Steuerleistung sehr deutlich zu Lasten der Lohneinkommen verschoben: Der Lohnanteil am Volkseinkommen ist nicht nur zurückgegangen, die Löhne wurden auch immer stärker mit Steuern und Abgaben belastet, während die Einkünfte aus Besitz und Unternehmung, die sich sehr dynamisch entwickelten, steuerlich sogar entlastet wurden. Die Nettolohnquote ist daher etwa doppelt so stark gesunken wie die Bruttolohnquote.

Die Einkommenssteuerreformen seit 1991 (Beschränkung der Sonderausgaben, Anhebung der Absetzbeträge und der KEST) dürften trotz der Abschaffung der Vermögenssteuer den Progressionsgrad des Steuersystems erhöht haben.

Die Staatsausgaben wirken eindeutig progressiv auf die Verteilung. Obwohl die öffentlichen Leistungen mit wenigen Ausnahmen von der Einkommenshöhe unabhängig sind, kommen sie Bevölkerungsschichten mit niedrigem Einkommen in höherem Maße zugute: Die zehn Prozent der Haushalte mit dem niedrigsten Einkommen erhielten durch den staatlichen Umverteilungsprozeß 1991 rund 80 Prozent des Bruttoeinkommens an öffentlichen Leistungen, die mittleren Einkommensbereiche 22 Prozent und das oberste Zehntel knapp zehn Prozent. Am progressivsten wirken die sozialpolitischen Maßnahmen: Arbeitslosengeld und Notstandshilfe, Sozialhilfe, Ausgleichszulagen und Wohnbeihilfen kommen fast ausscfiließlich niedrigen Einkommensgruppen zugute. Auch die familienpolitischen Leistungen belaufen sich für Familien mit Kindern in der untersten Einkommensschicht auf über die Hälfte des Einkommens.

Obwohl die Haushaltsgröße mit der Einkommenshöhe deutlich steigt und daher ein größerer Teil der öffentlichen Ausgaben für Gesundheit, Familienbeihilfen und Erziehung in die obere Hälfte der Einkommenspyramide fließt, wirken auch diese Leistungen im allgemeinen progressiv, da ihnen in Relation zum Einkommen für Haushalte mit niedrigem Einkommen viel größere Bedeutung zukommt. Eindeutig mehr profitieren die oberen Einkommensschichten von der Wohnbauförderung, den Ausgaben für die Zinszahlungen für die Staatsschuld, den Straßenverkehr und die Kultur.

Während also das Steuersystem in

Österreich kaum umverteilend wirkt, gehen von der Ausgabenseite Umverteilungswirkungen von den Haushalten mit hohen zu jenen mit niedrigem Einkommen aus. Eine effiziente staatliche Umverteilungspolitik, die die Armut bekämpfen und Einkommensdisparitäten verringern möchte, sollte aber auch die Einnahmenseite einbeziehen. Das österreichische Steuersystem zeigt ein beträchtliches Maß an Ineffizienzen, da es erstens die Steuerlast und den Progressionsgrad subjektiv größer erscheinen läßt als sie tatsächlich sind, und zweitens Vermögen kaum besteuert. Mit den Steuerreformen 1989 und 1993 und im Rahmen der jüngsten Konsolidierungspakete wurden wohl in der Ei n kommenssteuer Schritte gesetzt, die durch eine Reduktion der Absetz- und Gestaltungsmöglichkeiten die Bemessungsgrundlage verbreiterten und den Progressionsgrad erhöht haben dürften; gleichzeitig wurde aber auch die Vermögenssteuer abgeschafft und Arbeit durch die Kommunalabgabe stärker belastet. In den USA, Japan und Großbritannien stammen über zehn Prozent des Steueraufkommens aus der Besteuerung von Vermögen, im OECD-Durchschnitt fünfeinhalb Prozent, in Österreich nur eineinhalb Prozent; dagegen zählt Österreich in der Abgabenbelastung des Faktors Arbeit zur absoluten Weltspitze.

Auf der Ausgabenseite bildet Österreich einen typischen „Transferstaat”, der in hohem Ausmaß horizontal, also unabhängig vom Einkommen, umverteilt und kaum Bedarfsprüfungen (Ausnahme: Ausgleichszulagen, Notstands- und Sozialhilfen) kennt. Obwohl dadurch ein beträchtlicher Teil der Mittel auch an Haushalte mit relativ hohem Einkommen fließt, wirken die Staatsausgaben insgesamt deutlich progressiv auf die Einkommensverteilung und verringern die Wohlstandsdisparitäten. Ausgabenseitige Konsolidierungsschritte treffen daher ärmere Haushalte an sich schon überproportional; dennoch setzten die Maßnahmen der letzten Jahre zum Teil gezielt den Sparstift bei jenen Ausgabenkategorien - wie Arbeitslosengeld, (Sonder- Notstandshilfe und erhöhtem Karenzgeld - an, die für einkommensschwächere Einkommensschichten und die Verhinderung von Armut große Bedeutung haben.

Wie in allen mitteleuropäischen Ländern, so ist auch in Österreich die soziale Absicherung eng an die Erwerbsbeteiligung und stabile Partnerbeziehungen gebunden. Menschen, die keine kontinuierliche Erwerbsbiographie aufweisen oder nur ein geringes Erwerbseinkommen erzielten, sind daher rasch armutsgefährdet. Mit der Zunahme der Arbeitslosigkeit und alleinerziehender Elternteile wird das bisherige, vom Vesiche-rungsprinzip dominierte, soziale Netz lückenhaft und sollte in Zukunft durch eine „bedarfsorientierte Grundsicherung” wirkungsvoll und systemkonform ergänzt werden.

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