Mitten im modernen KLASSENKAMPF

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Die Frage, wie ein moderner Sozial staat besser umverteilen könnte, vertieft die Gräben zwischen Parteien, Kammern, Bünden und Gewerkschaften. Die viel diskutierte Steuerreform könnte gar die Koalition sprengen oder SP-Bundeskanzler Werner Faymann den Sessel kosten, wenn sie nicht bis zum Frühling in trockene Tücher gebracht wird. Über Verteilungs-und Leistungsgerechtigkeit diskutieren Nikolaus Dimmel, Rolf Gleißner und Miriam Rehm.

DIE FURCHE: Für die Definition von Armut gibt es klare Parameter, laut denen Sozialleistungen zugesprochen werden. Eine eindeutige Definition von Reichtum gibt es nicht. Wieviel muss jemand in Österreich verdienen oder besitzen, um Ihrer Meinung nach reich zu sein?

Rolf Gleißner: Reich ist für mich der österreichische Sozialstaat, der nach der OECD gemeinsam mit Belgien weltweit am stärksten umverteilt. Wichtig ist, dass Menschen mit mehr Vermögen oder Einkommen wesentlich mehr Steuern zahlen, dass die Einkommen relativ gleichmäßig verteilt sind, dass es wenig Menschen mit geringem Lebensstandard gibt. Bei privatem Reichtum halte ich es mit dem zehnten Gebot: "Du sollst nicht begehren deines nächsten Gut."

Miriam Rehm: Man muss Reichtum und Armut immer gemeinsam betrachten, weil wir gemeinsam in einer Gesellschaft leben. Wir wissen, dass Vermögen extrem ungleich verteilt ist, dass die obersten fünf Prozent in Österreich zirka die Hälfte des Vermögens besitzen, das oberste ein Prozent ein Viertel. Gleißner: Über den Lebensstandard entscheidet Einkommen mehr als Vermögen.

Rehm: Vermögen ist zentral für die demokratische Teilhabe, für Fragen der politischen Auseinandersetzung, wenn wir bedenken, dass sich sehr vermögende Personen bei Jagdausflügen oder beim Mittagessen ihre politische Teilhabe sichern. Vermögen ist auch viel stabiler über die Zeit als Einkommen. Erbschaften, der Zufall der Geburt werden immer wichtiger. Westeuropäische Gesellschaften entwickeln sich wieder in Richtung einer Erb-Aristokratie.

Nikolaus Dimmel: Die Definition von Reichtum ist eine politische Entscheidung. Österreich ist eines jener Länder, in dem die Reichen und ihre Vermögensverteidigungs-Industrie, vor allem die ÖVP, wie in einer Plutokratie eine Bestandsaufnahme von Reichtum systematisch verhindern. Es gibt keine Vermögens-und Steuertransparenz. Und Einkommen spielt in Österreich keine Rolle für die Akkumulation von Vermögen.

Gleißner: Das ist für mich eine Neid-Debatte. Entscheidend ist doch die Bekämpfung von Armut. Und Reichtum ist nicht die Ursache von Armut. Wenn die Reichen mehr haben, geht es auch den Armen besser. DIE FURCHE: Weil sie Jobs kreieren?

Gleißner: Weil sie etwa viel mehr Steuern zahlen. Zehn Prozent der Österreicher zahlen fast 60 Prozent der Einkommenssteuer. Wer sein Leben lang spart, hat am Ende seines Lebens ein höheres Vermögen, aber hatte einen geringeren Lebensstandard.

Rehm: Beim Vermögen ist die Ungleichheit in Österreich so hoch wie in den USA. Als erstes braucht es eine Umverteilung der Belastung von Arbeit hin zu Vermögen. Wenn man alle Steuern und Abgaben betrachtet, zahlen Niedrig- und Topverdiener gleich viel, gemessen an ihrem Einkommen. Die Lohnsteuer macht einen kleinen Teil aus.

DIE FURCHE: Laut Statistik verbleiben die meisten Menschen ein Leben lang in ihrer Einkommensschicht. Ein Aufstieg ist offenbar nicht nur eine Frage von Fleiß. Was müsste sich ändern, damit mehr Menschen die Chance bekommen, aufzusteigen?

Dimmel: Löhne und Gehälter müssten entsprechend den Produktivitätsfortschritten ansteigen. In Österreich sind die Nettolöhne im OECD-Vergleich seit 2000 am stärksten gesunken. Und wir haben einen explodierenden Billiglohn-Sektor. Außerdem sind wir ein Steuerparadies. Ganze 1,5 Millionen Menschen sind armutsgefährdet oder arbeitsmarktfern oder marginalisiert. Gleißner: Das ist aber sehr selektiv.

Dimmel: Natürlich. Sie sind Teil der Vermögensverteidigungs-Industrie und haben eben andere Interessen.

Gleißner: Und Sie sind der Umverteilungs-Apostel.

Dimmel: Nein, ich sage Ihnen, dass Reichtum etwas sozial extrem Destruktives ist.

Gleißner: In Österreich haben wir ein überdurchschnittliches Pro-Kopf-Einkommen ...

Dimmel: Das sagt doch nichts über soziale Gerechtigkeit aus.

Gleißner: ... und wir haben eine geringe Armutsgefährdung. 76 Prozent der armutsgefährdeten Menschen im Land können sich ein Auto leisten. Fast 50 Prozent nimmt der Staat dem Steuerzahler weg, um sie umzuverteilen. Die Arbeitskosten sind seit 2008 nirgends so gestiegen wie in Österreich.

Dimmel: Der Sozialstaat wird nicht von den Reichen, sondern von den Mittelschichten bezahlt, die durch die kalte Progression in den Höchststeuersatz gerutscht sind. Die Reichen fahren kostenfrei auf den steuerfinanzierten Autobahnen herum, aber tragen fast nichts zum Gemeinwesen bei.

Rehm: Unsere Gesellschaft basiert auf der Vorstellung, über Leistung zu etwas kommen zu können. Die soziale Mobilität sinkt aber. Selbst mit blauäugigen Annahmen wie einem hohen Einkommen über 45 Jahre von zwei Vollverdienern ohne Kinder, einer hohen Sparquote, sehr guten Zinskonditionen, kommt man maximal zu einer halben Million Euro. Das liegt weit unter dem, wo jetzt Vermögenssteuern diskutiert werden.

Gleißner: Aber warum Vermögen noch einmal besteuern, das ich aus bereits versteuerten Einkommen gebildet habe? Jene, die weniger als 50 Prozent des Median-Einkommens haben, zahlen praktisch keine Einkommenssteuern, profitieren aber von den Sozialtransfers. Österreich ist das Land, das am meisten umverteilt von Reich zu Arm.

Dimmel: Nein, von der Mittelschicht zu Arm. Der Spitzensteuersatz ist heute lächerlich gering in Österreich. In Großbritannien gab es bis in die Siebzigerjahre Steuersätze von bis zu 80,90 Prozent. Im letzten Jahrhundert gab es in jenen Zeiten mit dem höchsten Spitzensteuersatz die nachhaltigsten Wachstumsraten. Ich plädiere für einen Spitzensteuersatz von 80 Prozent.

DIE FURCHE: Sprechen wir über die vielzitierte schrumpfende Mittelschicht. Der Medianlohn von österreichischen Angestellten liegt bei nur 1848 Euro brutto. Wer gehört nun zur Mittelschicht?

Dimmel: Die Reichen rechnen sich arm, die Armen rechnen sich reich. Wer ein Mickeymouse-Einkommen von 1050 Euro hat, zählt sich zur Mittelschicht. Aber ein Herr Bartenstein stilisiert sich als Teil der leistenden Mittelschicht -das ist grotesk. Dieser Reichtums-Diskurs ist eine ideologische Klassenkampf-Veranstaltung von oben nach unten. DIE FURCHE: Ab welchem Einkommen würden Sie von Mittelschicht sprechen?

Dimmel: Ich meine, ab 140 Prozent des Median-Einkommens, also etwa ab 2700 Euro. Und die Mittelschicht endet meiner Meinung nach bei rund 4500 oder 5000 Euro.

Gleißner: Wenn man Superreiche mit 80 Prozent besteuert, ist damit der Staat noch nicht gerettet, so viele Superreiche gibt es nicht. Zudem vertreibt man die Gérard Depardieus dieser Welt aus Österreich und hat weniger Steuereinnahmen. Wenn Vermögenssteuern eine Steuerreform finanzieren sollen, muss man in die Mittelschicht gehen. Im Übrigen gibt es keinen Beleg dafür, dass die Mittelschicht in Österreich schrumpft.

Rehm: Zur Mitte gehören am Einkommen gemessen drei Viertel der Österreicher. In punkto Vermögen gehören zwei Drittel nicht dazu. Wegen dieser Vermögenskonzentration kann man über Vermögenssteuern viel Geld lukrieren, ohne die Mitte zu treffen.

Gleißner: Sie wollen anderen etwas wegnehmen. Ich will Armut bekämpfen und Leistung fördern -dann ist mehr Geld da, das man umverteilen kann.

Dimmel: Niemand hat gesagt, das gesamte Einkommen mit einem 80-Prozent-Satz zu besteuern. Da sprechen wir nur von Einkommen jenseits der 200.000 Euro pro Monat. Die alte Oma, die sich vor einer Besteuerung ihres Sparbuches fürchtet, ist Ausdruck dieser ideologischen Verblendung.

Gleißner: Diese 200.000 Euro-Einkommen wird es dann nicht mehr geben. Dimmel: Na und? Wo ist das Problem?

Gleißner: Dass Sie keine Steuereinnahmen mehr aus dieser Gruppe bekommen, wenn Sie ihnen 80 Prozent wegnehmen.

Dimmel: Es ist völlig destruktiv zu glauben, dass Einkommen jenseits der 200.000 Euro irgendwie sozial gerechtfertigt wären. Sie können mir nicht erzählen, dass die Brutto-Wertschöpfung 200.000 Euro wert ist. Was machen diese Manager? Kaffee trinken und sagen, sie treffen Entscheidungen. Gleißner: Ja, über Milliarden von Euro.

Dimmel: Na und? Die Wirtschaftskrise hat uns gezeigt, wie hochwertig die Arbeit dieser Personen ist, die diese abenteuerlichen Einkommen lukrieren, weil sie die Welt in das jetzige Desaster geführt haben.

DIE FURCHE: Zum Gender Gap: Frauen verdienen nicht nur weniger, sie besitzen durchschnittlich sogar 40 Prozent weniger Vermögen als Männer. Wie das?

Dimmel: Langfristig betrachtet ist Vermögen von der Sklaverei über den Manchester-Kapitalismus bis zur Ära der Gründerzeitbauten und den Stahlvermögen der Zwischenkriegszeit von Männern angehäuft worden. Wir leben noch immer in einer patriarchal strukturierten Gesellschaft, daher diese patrilineare Vererbung von Reichtum.

Rehm: Es gibt nun mal eine Vermögensschere genauso wie eine Einkommensschere. In dieser Gesellschaft gibt es leider noch immer Grenzen, wieweit Frauen kommen können. Traditionell sind viele Politiker und Manager Männer. Das ist Ausdruck der gesellschaftlichen Diskriminierung.

Gleißner: Ein Großteil der Einkommensunterschiede liegt an objektiven Faktoren wie Berufswahl, Karriere-Unterbrechungen, Teilzeit, früherem Pensionsantrittsalter.

Rehm: Das erklärt nur einen Teil der Schere. Gleißner: Nicht jeder Unterschied ist schlecht oder diskriminierend. Der Einkommensunterschied zwischen Mann und Frau hat nichts mit dem Patriarchat zu tun. Der ist in Schweden höher als in Italien.

Rehm: Schweden macht ja auch seit zehn Jahren konservative Politik.

DIE FURCHE: Kapital wird ja nicht nur in Form von Geld weitergegeben, es geht auch um soziale und kulturelle Privilegien, Bildung, Netzwerke etc. Ist diese Form der Chancenungleichheit jemals ausgleichbar?

Dimmel: Gesellschaften mit weniger starken gläsernen Decken zeigen: Sobald die patriarchale Diskriminierung beseitigt ist, haben Frauen ganz andere Aufstiegsmöglichkeiten. Mit einer niederschwelligen Kindertagesbetreuung kann man die Arbeitsmarktbeteiligung der Frauen schnell Richtung Vollzeit steigern.

Gleißner: Der Staat schafft es weitgehend, Chancengleichheit zu gewähren. Den Ausbau der Kinderbetreuung halte ich für sinnvoll, auch eine Nachmittagsbetreuung. Es kommt aber auch auf die Menschen an. Im Bildungssystem kommt man durch eigenen Fleiß und eine Bildungsmentalität weiter - oder eben nicht. Manche Eltern kaufen ihren Kindern Play-Stations, andere Bücher. Der Staat kann und soll keine völlige Gleichheit mit der Planier-Raupe herstellen.

Rehm: In den 60er-und 70er-Jahren wurde sehr wohl einer Gruppe, die Sie als Play-Station-Käufer bezeichnen würden, der berufliche und soziale Aufstieg ermöglicht.

DIE FURCHE: Zum Abschluss: Was macht eine Gesellschaft letztlich reich?

Dimmel: Soziale Qualitäten wie die Abwesenheit von Krankheit, Marginalisierung, Kriminalität. Privater Reichtum ist ökonomisch destruktiv, weil die Reichen seit 1980 das Geld aus der Produktion abziehen und hin zur Spekulation verschieben. Zweitens ist Reichtum politisch destruktiv, weil politische Entscheidungen von finanzstarken Agenturen und Investoren gesteuert werden - Graf Aly etc. Und der kulturell destruktive Effekt des Reichtums ist eine radikale Privatisierung und der systematische Ausschluss erheblicher Bevölkerungsteile.

Gleißner: Wenn Österreich wirklich in der Hand von Plutokraten ist, sind die sehr sozial. Insofern verstehe ich diesen Hass auf die Reichen nicht. Alle österreichischen Parteien bekennen sich zur Umverteilung. Die einen wollen Reichtum umverteilen, die anderen wollen ihn zunächst erarbeiten. Der Staat soll den Menschen durch Bildung und Anreize helfen, ihre Fähigkeiten zu entfalten. Dazu muss er Eigentum garantieren, die Steuerlast sollte nicht zu hoch sein. Leider ist der Staat nicht sparsam, sondern gierig. Rehm: Sich zum Verteidiger der Superreichen zu machen und zu sagen, man solle sich Reichtum erarbeiten können, ist ein Widerspruch. Wir wollen es nicht denen leicht machen, die schon am Reichtum drauf sitzen, sondern jenen, die sich etwas erarbeiten wollen, etwa durch geringere Lohnsteuern. Eine gerechte Verteilung ist zentral. Gleichere Gesellschaften leben nachweislich glücklicher, gesünder und sicherer.

Mythen des Reichtums Warum Ungleichheit unsere Gesellschaft gefährdet. Von BEIGEWUM, Attac, Armutskonferenz (Hg.), VSA Verlag 2014,176 Seiten, ungeb., € 12,80

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