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Der neue Konsument

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Steigender Wohlstand macht nicht immer glücklicher. Trotzdem wollen die meisten mehr als sie haben. Konsum- und Freizeittrends sind Thema eines Symposiums in Wien (siehe Kasten).

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Steigender Wohlstand macht nicht immer glücklicher. Trotzdem wollen die meisten mehr als sie haben. Konsum- und Freizeittrends sind Thema eines Symposiums in Wien (siehe Kasten).

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Haushaltsbesitz und freiverfügbare Einkommen sind in den letzten Jahrzehnten stark gestiegen. Sie haben den Konsumradius der Menschen drastisch erweitert. Viel vom entstandenen Besitz bildet die „selbstverständliche“ Basis im Leben der nächsten Generation. Das hat zwar unter anderem zur Erkenntnis geführt, daß gestiegener Wohlstand nicht automatisch glücklicher macht, und daß man immer mehr möchte als man hat. Aber Phänomene der Knappheit und der Not sind seltener geworden in unseren Gesellschaften; solche der Sättigung und des Uberflusses haben zugenommen. Viele Menschen — bei weitem nicht alle — verfügen über mehr flüssige Mittel, und die vorhandene Kaufkraft wird immer mehr auch aus Vermögenseinkünften stammen. Die Ausgaben für Existenzielles werden relativ sinken, die für den Luxuskonsum beziehungsweise das, was wir heute dafür halten, werden steigen.

Eine 'Prof ilierung und Positionierung via Konsumniveau wird jedoch schwieriger. Demonstrativer Verbrauch und Erwerb von preisbestimmten Statussymbolen wird problematisch. Objekte, die sich früher dafür eigneten, verlieren ihre Einzigartigkeit und Symbolkraft. Das liegt nicht an einem etwaigen „Postmaterialismus“ — also einem Wertwandelphänomen, das an eine asketische Kultur denken läßt (fälschlicherweise); das hängt mit dem ökonomischen Nutzen von „Positionsgütern“ zusammen. Die ersten, die über ein Auto, ein Zweithaus, hohe Bildung oder einen Urlaubsbungalow verfügen, kaufen eine höhere Konsumqualität als die Nachzügler, die bereits verstopfte Straßen, zersiedelte Landschaft, Akademikerarbeitslosigkeit oder Umweltverschmutzung am Urlaubsort vorfinden. Die Konsumqualität des einzelnen hängt vom Konsum der anderen ab. Wenn einer im Theater aufsteht, sieht er mehr. Wenn alle aufstehen, sehen sie genausoviel wie wenn sie sitzengeblieben wären.

Steigender Luxus

Das Aufstehen und der Aufstieg als Statusdifferenzierung funktioniert also nur mehr bedingt. Der Konsum als „Selbstzweck“ (und als Prestigeerwerb durch Kauf volumen) gehört in die Phase der materiellen „Ankunfts-Euphorie“. Statusdifferenzierung ist vielfach nicht mehr über Produktbesitz herstellbar (obwohl sich neue Statusträger im Bereich der „Haushaltsinformatik“ abzeichnen), sondern über Qualität (Marken) oder Lebensstil, der die Zugehörigkeit zu einer von vielen Gruppen dokumentiert. Es ist durchaus typisch, daß viele Konsumverhaltensweisen immer weniger durch die klassischen Merkmale der sozialen Schichtung (Beruf, Bildung, Einkommen) erklärt werden können, sondern mit Lebensstilvariablen, die Werthaltungen und Einstellung miteinschließen.

Daß beim Wettkampf der Wirtschaft um das locker sitzende, weit weniger knappe Geld ökonomische Rahmenbedingungen, wie Besitzstand, Vermögen, Einkaufsorten und intergenerativer Transfer eine Rolle spielen, wird häufig gesehen. Das Verhältnis von Einkommen .und Auskommen (Konsummöglichkeiten) wurde nicht nur von der Wissenschaft aufmerksam analysiert. Bei Nestroy heißt es dazu: „Zwischen Auskommen und Einkommen ist es schwer, das gehörige Verhältnis herzustellen, denn 's Geld kommt auf schwerfällige Podagrafüß' herein und fliegt auf leichten Zephyrflügeln hinaus“.

Seltener wird Bedacht darauf genommen, daß Konsum nicht nur Geld, sondern auch Zeit braucht. Und hier liegt — entgegen der landläufigen Meinung, die an das Zeitschlaraffenland der Zukunft glaubt — ein Engpaß, dessen Bedeutung für die künftigen Konsumstile längst nicht hinreichend analysiert ist.

Der vermehrte Haushaltsbesitz, die größere Wohnung, das verfügbare Haus führt zum Beispiel vermutlich zu einer starken Zentrierung auf das Leben im Heim. Man braucht nicht mehr in die Enge zu fliehen (zum Beispiel ins Kaffeehaus zu gehen, um dort zu leben), sondern die Wohnung wird Refu-gium und Aktivitätszentrum. Sie bietet Intimität, Möglichkeit der Selbstbestätigung und Selbstverwirklichung und bekommt durch die langjährigen Bewohner auch eine Aura. Auch ist sie ein Investitionsvorhaben in Permanenz. Und — im Gegensatz zu früher — kann man sich die Wünsche auch leichter erfüllen.

Neue ,,Konsumführer“

Zwar wird der Vormarsch der Heimcomputer etwas länger brauchen als ursprünglich prognostiziert, aber schon jetzt sind die Haushalte (wie schon erwähnt) Zentren der Elektronik und Stellplatz eines veritablen Maschinenparks. Sie werden — Anschlüsse vorausgesetzt — auch Schaltstelle für Informationssuche, Entscheidungsvorbereitung und teilweise Kaufauftrag. Von hier aus besorgt man sich dereinst das neueste Wissen für Autoreparatur, Gesundheitspflege und Ernährungstips: wenn die hard-wa-re der PC's einmal einfach und die soft-ware aktuell und griffbereit ist. Die Veränderungsrate massenhaft auftretender Verhaltensweisen — heute noch oft in Form langsamer Diffusion beobachtbar — könnte sich enorm beschleunigen. Und neue Konsumführer, Menschen mit verbesserter Informationslage, die bald beneidet und kopiert werden, weil sie „Vorteile“ haben, könnten entstehen.

Diese und andere Informationsstrategien der Konsumenten stellen ein markantes Merkmal der näheren Zukunft dar.

Der Autor ist Geschäftsführer des Fessel-und GfK-Marktforschungsinstitutes.

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