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Digital In Arbeit

Die „neue Armut“ in Osterreich

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Zwischen 770.000 und 1,5 Millionen Menschen leben in Österreich an oder unter der Armutsgrenze. Dies ergab eine Studie des „Österreichischen Komitees für Soziale Arbeit“ (ÖKSA). Nicht Pensionisten sind in erster Linie betroffen, sondern überwiegend Menschen im erwerbsfähigen Alter. Sie leben zu 86 Prozent in Haushalten, in denen „nur der Haushaltsvorstand erwerbstätig ist“, so die ÖKSA-Studie.

Wann gilt jemand als „arm“ oder „armutsgefährdet“? Dann, wenn eine Familie mit weniger als die Hälfte des Geldes auskommen muß, als einem durchschnittlichen Haushalt zur Verfügung steht. Dies sind in Österreich laut ÖKSA derzeit rund 6.300 Schilling für einen Erwachsenen (siehe Tabelle).

Die Armut äußert sich im erzwungenen Verzicht auf elementare Güter und Dienstleistungen. Kein Telefon, Radio, Fernseher, keine Zeitung, kein Geld für eine gute Ausbildung der Kinder - Ein weitgehender Ausschluß von gesellschaftlichen Teilha-bembglichkeiten.

Resonders gefährdet sind kinderreiche Familien. Laut Statistik sind Haushalte mit einem Kind „nur“ zu sieben Prozent gefährdet, Haushalte mit drei und mehr Kindern aber schon zu 36 Prozent. Allerdings beträgt die Armutsquote bei Paaren mit zwei Verdienern nur ein Fünftel jener, mit einem Alleinverdiener. Extrem gefährdet sind demnach Haushalte mit mehreren Kindern und nur einem Einkommen.

Ob Frauen arbeiten gehen oder nicht, hängt weniger vom Einkommen des Mannes ab, als von der Anzahl der Kinder. Daß auch Frauen von Angestellten öfter erwerbstätigt sind, als jene von Arbeitern, ist für Hans Steiner von der ÖKSA ein Hinweis dafür, daß die „Frauenerwerbstätigkeit weniger von der freien Entscheidung, als von den generellen Erwerbschancen“ abhängig ist. Es ist also anzunehmen, daß in Haushalten, in denen der Mann wenig verdient, auch Frauen aufgrund ihrer oft fehlenden oder wenig Chancen bietenden Re-rufsausbildung höchstens unattraktive Tätigkeiten angeboten bekommen. Und daher öfter zu Hause bleiben.

Auf die Armutsgrenze wirkt sich dies statistisch folgendermaßen aus:

■ In Haushalten, in denen die Frau berufstätig ist, liegt die Armutsgefährdung mit einem Kind bei zwei Prozent (bei nicht Rerufstätigen zehn Prozent);

■ bei zwei Kindern sind bereits fünf Prozent gefährdet (nicht berufstätig 27 Prozent)

■ und bei drei Kindern sogar 20 Prozent (nicht berufstätig 46 Prozent).

Die Frauenerwerbsquote zeigt, daß bei Paaren ohne Kindern 75 Prozent der Frauen arbeiten, bei Paaren mit einem Kind 61 Prozent, mit zwei Kindern 36 Prozent und mit drei Kindern nur mehr 21 Prozent.

Armut und Ausbildungsstatus stehen in Zusammenhang: Vier Fünftel der sozial Schwächsten haben maximal eine Pflichtschulausbildung. Der Ausbildungsstatus der Kinder korreliert noch immer beträchtlich mit jenem der Eltern.

Apropos Kinder: Schätzungen zufolge leben in Österreich derzeit 100.000 Familien mit über 270.000 Kindern in Armut, jedes fünfte Kind lebt unter der Armutsgrenze. Cacilia Lipp vom Katholischen Frauenverband Österreichs: „Mit jedem Kind steigt das Risiko, arm zu werden.“ Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung leben überdurchschnittlich viele Kinder in armutsgefährdeten Haushalten: 40 Prozent in Familien mit drei oder mehr Kindern, 35 Prozent in Familien mit zwei Kindern, 16 Prozent in ein-Kind-Familien und 9 Prozent in Haushalten mit Alleinerziehern.

Die „traditionelle Armut“ durch kinderreiche Familien und geringes Einkommen ist nicht neu - Im Gegensatz zur „Armut aus Normalsitua-tionen“, zu diesem Ergebnis kommt Ruth Finder vom Interdisziplinären Forschungszentrum W.A.S.. Sie kommt zu dem Schluß, daß Armut immer öfter entsteht, wenn die finanzielle Lebensplanung in Rrüche geht: Ein Mensch hat sich im Reruf und im Privaten an den gegebenen materiellen Rahmenbedingungen orientiert, die Fixkosten entsprechend gestaltet und verfügt plötzlich nicht mehr über das dazu nötige Einkommen. Hier sind vor allem ältere Arbeitslose, die den Wiedereinstieg in den Reruf nicht mehr schaffen, Invalide oder Frauen nach einer Scheidung zu nennen.

Die „neue Armut“ hat aber auch neue Gesichter. Sie ist nicht offensichtlich. Die Armen in Österreich gehen nicht in Lumpen und betteln nicht und dennoch: oft fehlt das Geld, um Grundbedürfnisse wie Kleidung oder Essen zu finanzieren. Viel häufiger aber äußert sich die Armut durch den Ausschluß vom gesellschaftlichen Leben. Wenn Kinder nicht mehr auf Schulschikurs mitfahren können, oder sich die Eltern nicht mehr am gesellschaftlichen und kulturellen Leben beteiligen können.

Die Maßnahmen, die die ÖSKA vorschlägt gehen in Richtung sozialer Ausgeglichenheit und bessere Umverteilung.

Ebenso eine entsprechend gute Bildung, die Chancengleichheit bietet und soziale Absicherung, sowie Chancengleichheit und individuelle Arbeitsplätze für Frauen mit Kindern.

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