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„Armut ist durch nichts zu rechtfertigen!"

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Armut" ist eine konkrete Größe, die immer mehr Menschen betrifft. Das zeigte einmal mehr die „Zweite Österreichische Armutskonferenz" im Bildungshaus St. Virgil in Salzburg: Bund eine Million Menschen allein in Österreich wird als „armutsgefährdet" eingeschätzt. Der erzwungene Verzicht auf einen Teil der alltäglichen Güter und Dienstleistungen kennzeichnet das Leben an der Armutsgrenze: Maximal 6.000 Schilling kann eine Person aus dieser Gruppe monatlich ausgeben. Während das durchschnittliche „Pro-Kopf-Ausgabevolumen der österreichischen Haushalte immerhin 15.000 Schilling beträgt.

In den armutsgefährdeten Haushalten entfallen 42 Prozent der gesamten Ausgaben allein auf die Ernährung. Und das, obwohl hier für Nahrungsmittel ein Drittel weniger ausgegeben wird als in Durchschnittshaushalten.

Massive Einschränkungen in anderen Bereichen sind die Folge: Für Bildung, Verkehr und Wohnkosten steht kaum ein Viertel des Betrages der Durchschnittshaushalte zur Verfügung. Die Menschen in zwei Drittel der armutsgefährdeten Haushalte können sich keinen Urlaub leisten, ein Viertel der Haushalte verfügt über kein Telefon.

Nun ist zwar auch der Lebensstandard armutsgefährdeter Menschen in den letzten Jahren insgesamt gestiegen. Dennoch bedeute „Armutsgefährdung" nicht nur ein Zurückbleiben hinter dem Durchschnitt, sondern tatsächliche Entbehrungen beim Lebensnotwendigen. Daß unter den herrschenden Bedingungen selbst „Normalität" zum Bisiko und „Armut trotz Erwerbsarbeit" immer mehr zum Thema wird, wurde am Beispiel kinderreicher Familien aufgezeigt.

„Frauen sind vom Armutsrisiko besonders betroffen." Auch der Sozial-wissenschafter Bernd Marin vom „Europäischen Zentrum für Wohlfahrtspolitik" bestätigte, daß Armut und Langzeitarbeitslosigkeit besonders Frauen träfen: 70 Prozent aller langzeit-arbeitslosen Frauen in den EU-Ländern bekämen nicht einmal mehr eine Arbeitslosenunterstützung.

Susanne Schunter-Kleemann, Wirtschafts- und Sozialwissenschaf-terin aus Bremen, bestätigte die Gefahr sozialer Ausgrenzung durch Armut: „Die Vereinzelung der Armen, die nur ganz wenigen gestattet, ein eigenes soziales Milieu aufzubauen, ist zugleich die Ursache neuer Armutsformen. Die Armut wird als Ausschluß vom gesellschaftlichen Leben, als Mangel an sozialen Kontakten erfahren." Am bedrohlichsten würden die fehlenden Möglichkeiten erlebt, die eigene Lage zu verändern: „Die alten Armutsdimensionen, nämlich Einkommensmangel, Arbeitslosigkeit, Krankheit und Wohnungsnot, werden heute durch neue Dimensionen des sozialen Ausschlusses erweitert. Das diskriminiert nachhaltiger als momentane materielle Notlagen."

„Armutsbekämpfung setzt ein gewisses Maß an gesellschaftlichem Konsens voraus", meinte Ernst-Ulrich Huster, Professor für Politikwissenschaft an der evangelischen Fachhochschule in Bochum. Er vermute dafür in Österreich ein „kooperativeres Klima" als in Deutschland, „wo die Lage zugespitzter" sei. Es sei unumgänglich, bisherige Absicherungssysteme durch eine „Grundsicherung" zu ersetzen: Viele Formen gegenwärtiger Armut seien durch Erwerbsarbeit allein nicht zu verhindern. Die Forderung nach einem „Modell sozialer Grundsicherung" war eines der Hauptanliegen der Armutskonferenz: „Die jetzige Struktur des Wohlfahrtsstaates verfestigt soziale Probleme anstatt sie zu lösen", heißt es im Schlußkommentar. „Einzelfallhilfe behebt Symptome, ohne an die Wurzeln sozialer Ausgrenzung zu gehen. Es entstehen Armutsfallen, private Hilfe verdeckt staatliche Verantwortung." Sozialleistungen seien ein Bechtsanspruch und kein Gnadenerweis. Dennoch stigmatisiere die Inanspruchnahme sozialer Hilfe.

Gefordert wurde daher eine bundeseinheitliche Sozialhilferegelung, etwa in Form eines „StaatsVertrages" zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. So würden, ähnlich wie bei der Pflegegeldregelung, einheitliche Leistungsstandards und Zugangsbedingungen für Sozialhilfeempfänger geschaffen. Eine weitere Forderung: „Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und Sozialhilfe sollten, um existenzsichernd zu sein, mindestens in der Höhe der Ausgleichszulage (derzeit 7.800 Schilling) liegen." Nachdem der Aufruf im Vorjahr ungehört verhallte, wurde erneut die Erstellung eines „Armuts- und Beichtumsberichtes" durch das Sozialministerium gefordert. Die nächste gesamtösterreichische Armutskonferenz soll eine Aktionswoche in den Bundesländern vorbereiten, 1998 eine „Frauen-Armutskonferenz" stattfinden.

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