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Nicht nur sprachlich ist Armut weiblich. Die Statistik zeigt, dass Frauen deutlich öfter von Armut betroffen sind als Männer.

Michaela ist Teil einer Statistik, in die niemand hineinwill und viele nicht mehr herauskommen. Sie ist eine von 204.000 Frauen in Österreich, die in akuter Armut leben. Nach diesen offiziellen Zahlen sind zwei Drittel der manifest armen Menschen weiblich. Zusätzlich sind 536.000 Frauen und 340.000 Männer hierzulande armutsgefährdet - das sind 13 Prozent aller Frauen und neun Prozent aller Männer.

Michaela ist 27 Jahre alt, arbeitslos und allein erziehende Mutter zweier Kinder im Kindergartenalter. Die Vorarlbergerin verließ den Vater der Kinder trotz massiver Probleme in der Beziehung lange Zeit nicht, weil sie Angst davor hatte, mit den Kindern ohne Geld und Dach über dem Kopf auf der Straße zu stehen. Die gelernte Friseurin hat Depressionen und tut sich allein schon deshalb schwer, einen Job zu finden. Vor einigen Monaten hat sie den Schritt doch gewagt: Sie hat die Beziehung beendet und lebt seither mit ihren Kindern in einer betreuten Wohngemeinschaft für Mütter und Kinder. Ihre Chancen, bald eine eigene Wohnung zu haben, sind gering: Die Arbeitssuche ist schwierig, die Notstandshilfe gering. Und wenn die Kinder aus ihren alten Sachen herausgewachsen sind, fehlt das nötige Geld für neue Kleidung.

Unsichtbare Armut

"Weibliche Armut ist sehr oft versteckte Armut, weil die Frauen aus Angst vor Armut und Obdachlosigkeit häufig sogar bei gewalttätigen Männern bleiben oder Zweckgemeinschaften eingehen, um irgendwo unterzukommen", sagt Michaela Moser von der Österreichischen Armutskonferenz im Gespräch mit der Furche. Daher sind auch nur 30 Prozent der Wohnungslosen in Sozialeinrichtungen Frauen.

Laut Statistik ist armutsgefährdet, wer weniger als 60 Prozent des österreichischen Medianeinkommens zur Verfügung hat, also jährlich von weniger als 9.000 Euro leben muss. Manifest arm ist, wer zusätzlich noch in einer Substandardwohnung lebt, Probleme bei der Zahlung von Miete oder Kreditraten hat, sich finanziell schwer tut, die Heizkosten zu tragen, abgenutzte Kleidung nicht durch neue ersetzen kann oder wem es finanziell nicht möglich ist, einmal im Monat jemanden nach Hause zum Essen einzuladen. Auch diese Berechnungen verstecken die Armut vieler Frauen, ist sich Michaela Moser sicher. Denn berechnet wird immer das Gesamteinkommen eines Haushaltes. "Die Statistik geht davon aus, dass das gesamte Haushaltseinkommen gerecht verteilt wird, aber meiner Erfahrung nach sind die Frauen oft die letzten, die drankommen, wenn es ans Geldverteilen geht." Daher dürfte die Dunkelziffer weitaus höher sein, "aber eine offizielle Schätzung traut sich niemand zu", erklärt Moser.

Und warum sind so viel mehr Frauen von Armut betroffen als Männer? "Weil die typischen Risikofaktoren hauptsächlich auf Frauen zutreffen. Man könnte provokant sagen, die weibliche Normalbiografie ist ein Armutsrisiko": 70 Prozent der geringfügig Beschäftigten sind Frauen. Frauen erbringen zwei Drittel der unbezahlten Arbeit. Dadurch begeben sie sich in finanzielle und sozialrechtliche Abhängigkeit vom Partner, sofern ein solcher überhaupt vorhanden ist. 40,4 Prozent der Frauen arbeiteten im ersten Quartal 2004 teilzeit, aber nur 5,6 Prozent der Männer. Mehr Frauen als Männer sind in den unteren, aber weniger Frauen als Männer sind in den oberen Berufsfeldern beschäftigt. Und im Oktober ist die Arbeitslosigkeit bei Frauen um 2,4 Prozent gestiegen, während sie bei Männern um 1,3 Prozent gefallen ist. Das Bruttomedianeinkommen der unselbstständig beschäftigten Frauen ist um 40 Prozent geringer als das der Männer. Auch bei den Sozialleistungen werden Frauen diskriminiert, da viele der Leistungen an die Teilnahme am Arbeitsmarkt gekoppelt sind, wie etwa Arbeitslosen- oder Krankengeld. Bei den Pensionen sind viele Frauen ebenfalls benachteiligt, weil sie entweder gar keine oder nur eine sehr geringe eigene Pension haben, was dazu führt, dass 30 Prozent der Frauen über 65 armutsgefährdet sind, aber nur 14 Prozent der Männer.

Die Erfahrungen der Caritas decken sich mit diesen Statistiken: Im Vorjahr wurde sie in ihren 22 österreichischen Sozialberatungsstellen von insgesamt 16.500 Menschen um finanzielle Hilfe gebeten, 61 Prozent davon waren Frauen. Daher widmet die Caritas die aktuelle Spendenkampagne unter dem Motto "Leben ohne Ausweg - Helfen Sie Frauen in Not" der Bekämpfung von Frauenarmut (Spendenkonto: PSK 7.700 004, BLZ 60.000).

Arbeitszeitverkürzung

Michaela Moser von der Armutskonferenz nennt die zentralen Forderungen, um Armut - und damit vor allem Frauenarmut - zu vermeiden: eine Mindestsicherung, die unabhängig von der Erwerbstätigkeit ausbezahlt wird und existenzsichernd ist; Verbesserung der sozialen Infrastruktur, da besonders Personen mit wenig Geld auf die leichte Erreichbarkeit von Gesundheitsvorsorge- und Bildungseinrichtungen angewiesen seien; und eine Arbeitsmarktpolitik, die die Work-Life-Balance berücksichtige: "Mir ist schon klar, dass die Forderung nach einer Arbeitszeitverkürzung derzeit nicht besonders populär ist", meint Moser. "Aber anders ist eine gerechtere Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit kaum machbar." Die Umsetzungen dieser Forderungen scheitere nur am politischen Willen, ist sie überzeugt: "Österreich gehört zu den zehn reichsten Ländern der Welt, da muss es doch wohl möglich sein, das Volksvermögen so aufzuteilen, dass keiner in Armut leben muss."

Caritas-Präsident Franz Küberl bläst in dasselbe Horn mit seiner Forderung: "Das soziale Netz in Österreich muss endlich armutsfest gemacht werden." Existenzsicherung müsse vor Statussicherung gehen. Beim Kindergeld fordert er für Bedürftige die Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes. Sozialhilfebestimmungen sollten bundeseinheitlich geregelt werden, der Regress existenzsichernder Leistungen gehöre abgeschafft. Die derzeitigen Regelungen der Sozialhilfe gingen jedoch gerade in die verkehrte Richtung, betont Michaela Moser: "Die Auflagen der Sozialhilfe sind so, dass sie eher armutsfestigend denn beseitigend wirken." Ein Stein des Anstoßes: Sozialhilfe wird nur gewährt, wenn der Antragsteller kein Vermögen, also auch kein Auto besitzt. "Aber dadurch sinkt natürlich wieder die Chance auf einen Job, weil der Arbeitsmarkt Mobilität verlangt."

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