Ein Platz im warmen

Werbung
Werbung
Werbung

Eine Million Menschen sind in Österreich von Armut betroffen, rund 37.000 sind obdachlos. Vor allem Frauen und junge Menschen sind gefährdet. Aber viele von ihnen bleiben unsichtbar.

Der Obdachlose auf der Parkbank ist nur das offensichtlichste Symptom. Rund eine Million Menschen in Österreich sind arm oder laufen Gefahr, in Armut abzurutschen. Das sind immerhin zwölf Prozent der Bevölkerung. Sichtbar wird Armut aber oft erst an ihrem absoluten Tiefpunkt. Denn in Österreich arm sein heißt auch, sich verstecken zu müssen.

Die unsichtbare Obdachlosigkeit

Insgesamt leben 488.000 Österreicher in manifester Armut. Weitere 500.000 gelten als armutsgefährdet. Das heißt, sie haben weniger als 994 Euro im Monat zur Verfügung. Ihnen fehlt oft das Geld für das Nötigste wie Heizmaterial, Kleidung oder Reparaturen. Sie leben in überbelegten Wohnungen, müssen auf wichtige Zahnarztbesuche verzichten, oder können sich einen Kaffee mit Freunen nicht leisten. Obdachlose sind aus erhebungstechnischen Gründen in diesen Zahlen nicht miteingerechnet. Dabei ist der Schritt von der manifesten Weg in die Obdachlosigkeit oft nur ein kurzer. Im Jahr 2006 wurden 42.000 Verfahren zur Delogierung eingeleitet, 7000 Wohnungen wurden zwangsgeräumt. Neuere Zahlen gibt es nicht. Weil die Sozialhilfe Ländersache ist, existiert keine aktuelle bundesweite Erhebung über Obdachlosigkeit. Offensichtlich geht es den Behörden beim Anblick von Armut genau wie den meisten Passanten: Wenn möglich schaut man lieber weg.

Die letzte Untersuchung ist fünf Jahren alt. Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Wohnungslosenhilfe (BAWO) führte sie im Auftrag des Sozialministeriums durch. Damals waren 37.000 Menschen auf Wohnungslosenhilfe angewiesen. Auch heute noch sind es in etwa so viele, schätzt BAWO-Obmann Sepp Ginner. Allerdings steigt der Anteil der jungen Menschen, die von Obdachlosigkeit betroffen sind. Das belegen neue Studien aus einzelnen Bundesländern. In Oberösterreich sind 28 Prozent der Menschen, die 2010 vom Netzwerk Wohnungssicherheit unterstützt wurden, unter 18 Jahre alt. Von den betroffenen Erwachsenen ist mehr als ein Drittel jünger als 30. In der Stadt Salzburg leben knapp hundert Kinder und Jugenliche zwischen zwölf und 18 auf der Straße. Und in Wien ist ein Drittel der Menschen, die sich an die Caritas Erstanlaufstelle wenden, unter 30 Jahre alt. "Wohnungslosigkeit bei jungen Erwachsenen sticht oft nicht sofort ins Auge“, sagt Hannah Swoboda, die das Übergangswohnheim JuCa leitet (siehe unten). "Ihnen es besonders wichtig, ein Teil der Gesellschaft zu sein. Sie tragen Markenschuhe, aber haben keinen Platz zum Schlafen.“

Das weibliche Gesicht von Armut

"Armut ist zwar oft unsichtbar“, weiß Michael Landau, Direktor der Caritas Wien, "aber sie hat immer ein Gesicht. Und das ist sehr oft weiblich.“ Neben Langzeitarbeitslosen und Familien mit Migrationshintergrund sind es nämlich vor allem Frauen, die von Armut betroffen sind. Jede dritte Alleinerzieherin gilt als arm. In Obdachlosenstatistiken bilden Frauen aber die Minderheit. Von rund 8300 Personen, um die sich die Wohnungslosenhilfe in Wien 2010 gekümmert hat, waren nur etwa 2400 weiblich. "Bei Frauen gibt es eine versteckte Obdachlosigkeit“, erklärt Verena Fabris, Armutsexpertin von der Volkshilfe, "sie gehen häufig Zweckbeziehungen ein, um nicht auf der Straße zu landen. Oft sind das Gewaltbeziehungen.“ (Siehe links)

Wenn Heizen zum Luxus wird

In den Sozialberatungen spürt man derzeit die Auswirkungen der Wirtschaftskrise massiv. Bei der Caritas Niederösterreich haben 2010 um 50 Prozent mehr Menschen um Hilfe vorgesprochen, als im Jahr davor. Und auch Verena Fabris bemerkt: "Die Anfragen sind existenzieller. Jetzt geht es nicht um den Schulausflug, den man sich nicht leisten kann, sondern die Heizkosten.“ 240.000 Menschen werden diesen Winter ihre Wohnung nicht entsprechend heizen können. Die Arbeiterkammer schätzt, dass jedes Jahr in circa 60.000 Haushalten Strom und Gas abgeschaltet wird, weil die Rechnungen nicht bezahlt werden.

An der Armutssituation hat offensichtlich auch die im Vorjahr eingeführte Mindestsicherung nicht viel verbessert. Rund 120.000 Menschen bekommen seither jeden Monat exakt 752,92 Euro zum Leben. "Der versprochene große Wurf der Sozialpolitik hat leider auf die tatsächliche Absicherung des Wohnbedarfs nur marginal Rücksicht genommen“, kritisiert Sepp Ginner. Ein Viertel des Betrags, also 188 Euro, muss in den meisten Ländern für den Wohnbedarf reichen. Eine Wohnung bekommt man darum freilich nicht. Die Armutsgefährdung hat sich durch die Mindestsicherung nur um fünf Prozent verringert, ergibt eine Studie der Gesellschaft für Angewandte Wirtschaftsforschung. Und: Oft wird sie nicht in Anspruch genommen. "Am Land muss man immer noch beim Bürgermeister darum ansuchen“, sagt Verena Fabris. Viele tun das nicht, aus Scham. So bleibt ihre Armut weiter unsichtbar.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung