Die FPÖ hat sich auf die Caritas eingeschossen.'Profitgier' unterstellte Klubchef Johann Gudenus der Hilfsorganisation.

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Doch zwei Wochen später erfuhr man aus dem Krankenhaus, dass der Mann gestorben sei. Es gibt leichtere Jobs als jenen der Sozialarbeiter der Caritas.

Politische Angriffe

Und leicht hat es die Caritas gerade auch aus anderen Gründen nicht. Die Regierungspartei FPÖ hat sich auf Österreichs größte soziale Hilfsorganisation eingeschossen: "Profitgier" unterstellte Klubchef Johann Gudenus dem Caritas-Präsidenten Michael Landau und sprach von einem "Geschäftsmodell auf Kosten der Steuerzahler". Dass es sich bei der Caritas um eine Non-Profit-Organisation handelt, schien die Freiheitlichen bei ihren Angriffen nicht zu stören -im Gegenteil: Generalsekretär Christian Hafenecker legte nach und sprach im Zusammenhang mit der NGO von "Asylindustrie". Der Bundeskanzler selbst verteidigte zwar nach einigen Tagen Bedenkzeit die Caritas, so wie manch anderer seiner türkis-schwarzen Parteikollegen. Doch dass Sebastian Kurz, der für sich in Anspruch nimmt, der wesentliche Motor beim Schließen der Balkanroute gewesen zu sein, gerne im gleichen Atemzug von internationalen NGOs und "Schlepperbanden" spricht, geht auch am Image der heimischen Nichtregierungsorganisationen nicht spurlos vorbei.

Im Jahr 2017 war das Gesamtaufkommen an Spenden in Österreich zum ersten Mal seit vielen Jahren rückläufig -ebenso jenes von Spenden an die Caritas. Auch die Gruft selbst betreute in diesem Jahr zwar deutlich mehr Klientinnen und Klienten, bekam aber weniger Spenden -um mehrere Hunderttausend Euro. Im bisherigen Winter scheinen die Zahlen immerhin stabil zu sein, heißt es von der Caritas Wien. Dass die Bundesregierung aber aktuell bei der Sozialhilfe kürzt, stimmt NGOs nicht unbedingt optimistisch. Wie viele Obdachlose es aktuell in Wien gibt, dazu gibt es nur Schätzungen. Über das gesamte Jahr sind rund 15.000 Menschen in ganz Österreich als obdachlos registriert. Viele von ihnen nutzen Notschlafstellen. Laut Einschätzung der Caritas übernachten einige Hundert Obdachlose in Wien aber trotz Wind und Kälte regelmäßig im Freien.

In der täglichen Arbeit der Streetworker spielen Zahlen und Statistiken aber ohnehin keine allzu große Rolle. Sie fahren dorthin, wo sie hingerufen werden. Auf ihrer heutigen Tour geht es weiter in einen nordöstlichen Bezirk Wiens. Auf der Bank einer Straßenbahn-Remise sitzt ein Mann um die Sechzig, eingehüllt in dicke Daunenjacke, Wollmütze und Schal, darüber ein Schlafsack. Auf der Bank hat er eine blaue Isomatte ausgebreitet, daneben steht ein Einkaufstrolley voll mit Decken. Die Streetworker kennen den Mann, nennen wir ihn Ján, schon seit dem Herbst. Er komme aus Bratislava erzählt Ján, der eigentlich anders heißt. Bergarbeiter sei er in der Slowakei gewesen. Und es sei wohl die Arbeit gewesen, die ihn krank gemacht hat. Ján ist Asthmatiker, in seiner Jacke hat er drei Sprays, die ihm Ärzte von Wiener Sozialeinrichtungen gegeben haben.

Susanne Peter und Gerald Lamprecht haben Ján heute neue Schuhe und eine Decke gebracht. Beim nächsten Mal kommt noch ein Pullover. Was bei ihm denn sonst so aktuell sei, fragt der Sozialarbeiter den Mann. "Zu viel essen", sagt der und lacht. Was er denn immer esse? "Am liebsten Fleisch", antwortet er, aber eigentlich alles. "Hauptsache Kalorien", scherzt Lamprecht. Pension aus der Slowakei bekomme er keine, erzählt Ján. Aber Passanten würden ihm gelegentlich ein oder zwei Euro geben. "Er schaut nicht gesund aus", sagt Peter nach der Verabschiedung von Ján zu ihrem Kollegen. Sein Gesicht sei schon irgendwie aufgeschwemmt. "Wart's ihr grade bei dem Mann da drüben auf der Bank?", fragt ein vorbeikommender Jogger. "Wieso will der denn nirgends schlafen?" Sie können niemanden dazu zwingen, in einer Notschlafstelle zu übernachten, erklärt die Streetworkerin.

Es geht weiter nach St. Marx, das große Stadtentwicklungsgebiet im Osten Wiens. Weitläufige Freiflächen aus Schotter, massive Pfeiler von Autobahnbrücken, ums Eck drängen sich Metal-Fans zu einem Konzert im alternativen Wiener Kulturtempel Arena. In wenigen Jahren soll hier die neue große Veranstaltungshalle der Hauptstadt stehen und die in die Jahre gekommene Stadthalle entlasten. Einstweilen aber dient das urbane Brachland einigen Obdachlosen als Notunterkunft der Marke Eigenbau. Wohl nicht mehr lange allerdings, den die ASFINAG hat die Streetworker kontaktiert. Sie sollen die Menschen darüber informieren, dass sie den Platz demnächst verlassen werden müssen.

Lamprecht und Peter suchen den genauen Platz eine Zeit lang auf der Karte. Um die oft versteckten Schlafplätze obdachloser Menschen zu finden, kann Orientierungssinn nicht schaden. Wo die Auffahrten der Stadtautobahnen sich kreuzen, geht es über eine Böschung, dahinter ein Stück Wiese neben dem Beton. Wieder pfeift ein eisiger Wind über die Ebene, eine Luftschneise zwischen Baustellen und Zubringerstraßen. An einem Wellblechzaun sind zwei kleine Verschläge zusammengestückelt: Ein paar Kartons, Abdeckfolien, am Boden mit Steinen beschwert. Fleecedecken darüber geworfen. Dass die Konstruktionen halten und zwei Refugien vor Wetterkapriolen ergeben, verblüfft auch bei längerer Betrachtung.

Für ein paar Euro mehr

Ein hagerer Mann mit Vollbart steigt aus einem der Verschläge. Er gestikuliert stark und spricht schnell in gebrochenem Deutsch. Während die Sozialarbeiter sich mit ihm unterhalten, steckt eine Frau ihren Kopf aus dem zweiten Verschlag und ruft ihm laute Sätze zu. Insgesamt sechs Leute schlafen in den kleinen Selfmade-Schutzhütten. Sie alle kommen aus Bulgarien - und zwischendurch zum Betteln nach Wien. Bald würden sie ohnehin wieder zurück in ihre Heimat gehen, sagt der bärtige Mann. Denn von den Beträgen, die sie hier in einigen Tagen beim Betteln zusammenkratzen, können sie zuhause in Bulgarien wieder die eine oder andere Woche leben.

Ein paar Ecken weiter, Betonwand mit Graffitis, darüber donnert der Abendverkehr hinweg. Hier irgendwo soll noch ein obdachloser Mann sein Schlafquartier aufgeschlagen haben. Peter und Lamprecht gehen voraus. Schon nach wenigen Minuten kommen sie zurück. "Er hat gleich sehr bestimmt gesagt, dass er nichts von uns braucht", sagt der Streetworker. "Der Ton war schon etwas aggressiv." Und wenn sie nicht erwünscht sind, ziehen Peter und Lamprecht wieder ab. "Hilfe" gegen den Wunsch ihrer Klienten gehört nicht zu den Arbeitsgebieten der Sozialarbeiter. Die Aufgaben, die Teil ihrer Job Description sind, dürften sich in nächster Zeit dagegen kaum von selbst erledigen. Das meteorologische Klima erwärmt sich. Das soziale eher nicht.

CARITAS IM WINTER

Von Kältetelefon bis Winterpaket der Gruft

Bei strengen Minusgraden wird die Arbeit der Caritas mitunter zur direkten Überlebenshilfe. Im Jahr 2012 wurde das "Kältetelefon" ins Leben gerufen. Unter der Telefonnummer 01/480 45 53 ist es im Winter sieben Tage pro Woche rund um die Uhr erreichbar. Mitarbeiter der Caritas gehen Hinweisen im Raum Wien nach und suchen obdachlose Menschen mit dem Kältebus auf. Aber auch bei wärmeren Temperaturen ist die Arbeit der Sozialarbeiter entscheidend. Sie bringen Menschen in Notquartiere oder versorgen sie mit Schlafsäcken und Kleidung. Seit Jahren gibt es zudem die Aktion "Gruft-Winterpaket" der Wiener Caritas: Für 50 Euro bekommen Menschen einen warmen Schlafsack und eine warme Mahlzeit. Nähere Infos zu Spenden gibt es unter www.gruft.at

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