Sozialkürzungen auf Kosten von Kindern

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Die Kürzungen der Mindestsicherung in Niederösterreich werden neben Flüchtlingen vor allem heimische Familien mit mehreren Kindern sowie Alleinerzieherinnen treffen. Gespart werden muss dann auch bei den Bildungs- und Zukunftschancen der Kinder und Jugendlichen.

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Die Kürzungen der Mindestsicherung in Niederösterreich werden neben Flüchtlingen vor allem heimische Familien mit mehreren Kindern sowie Alleinerzieherinnen treffen. Gespart werden muss dann auch bei den Bildungs- und Zukunftschancen der Kinder und Jugendlichen.

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Was derzeit auf Facebook kursiert, dürfte den niederösterreichischen Landeshauptmann Erwin Pröll (ÖVP) nicht freuen. Es ist ein sogenanntes Memes, ein Bild des Politikers unterlegt mit einem Text. Darin werden zwar bloß Fakten genannt, die leicht verifzierbar sind, doch trocken aneinander gereiht klingen sie ziemlich böse. Kurz zusammengefasst lautet die Botschaft: Erwin Pröll verdient als Landeshauptmann 16.880 Euro brutto - und meint, dass für eine große Familie mit beliebig vielen Kindern 1500 Euro zum Leben ausreichen sollten, für subsidiär schutzberechtigte Einzelpersonen 572,50 Euro.

Während die schwarz-blaue Landesregierung in Oberösterreich "nur" bei den Flüchtlingen Leistungen reduzierte, trifft es in Niederösterreich auch Einheimische am unteren Rand. Dabei hat das Land laut Rechnungsabschluss 2015 nur 0,8 Prozent des Sozialbudgets für Mindestsicherung (MS) ausgegeben. "Die Deckelung wurde zuerst nur für Flüchtlinge diskutiert wie in Oberösterreich, und jetzt über die Hintertür für alle eingeführt", kritisiert Sozialexperte Martin Schenk von der Diakonie. "Die untersten drei Prozent haben keine Lobby, da zieht man Maßnahmen durch, die man sich bei keiner anderen Gruppe traut."

Mehrere 100 Euro weniger

Was diese Einschnitte für die Betroffenen bedeuten, kann die Diakonie bereits mit konkreten Beispielen belegen: Herr F., alleinverdienender Familienvater von drei Kindern im Schul- bzw. Vorschul-Alter hat durch den Konkurs seiner Firma den Job verloren. Sein Anspruch auf Arbeitslosengeld beträgt 36,86 Euro pro Tag inklusive Familienzuschläge. Im Jänner 2017 entspricht das der Summe von 1143 Euro netto. Herr D. muss also um bedarfsorientierte Mindestsicherung ansuchen, die seinen Arbeitslosengeld-Anspruch aufstocken soll, bis er einen neuen Job gefunden hat. Nach der alten Gesetzeslage hätte Familie F. Anspruch auf insgesamt 1849 Euro gehabt. Durch die neue 1500-Euro-Deckelung unabhängig von der Haushaltsgröße verliert Familie F. 349 Euro pro Monat.

Nicht nur Familien mit mehreren Kindern, sondern auch Alleinerzieherinnen zählen zu den Verlierern der Mindestsicherungs-"Reform". Dabei ist die Kinderarmut längst in Österreich angekommen: 18 Prozent - also rund 310.000 Kinder und Jugendliche - leben laut Volkshilfe unter der Armutsgefährdungsgrenze von 1161 Euro für Einpersonenhaushalte. Im Alltag bedeutet das für die Kinder, in überbelegten und feuchten Wohnungen zu leben, das Taschengeld für Haushaltsausgaben sparen zu müssen, sich keine Freizeitaktivitäten leisten zu können und nie auf Urlaub fahren zu können. Nachhilfeunterricht oder Förderkurse können sich fast die Hälfte der armutsgefährdeten Haushalte nicht leisten, mehr als die Hälfte dieser Kinder besuchen die Hauptschule.

Kahlschlag bei den Schwächsten

Betroffen von den Kürzungen sind aber auch Menschen mit psychischen Erkrankungen oder Behinderungen sowie Asylberechtigte. Die 1500-Euro-Deckelung gilt nämlich nicht nur für Familien, sondern auch für Wohngemeinschaften. Damit reduziert sich der Anspruch jedes WG-Bewohners von 633 auf 375 Euro.

Soweit die Zahlen zu den Einsparungen der niederösterreichischen Landespolitik. Was diese aber verschleiern, sind die hohen Folgekosten: Denn Armut produziert und verfestigt psychische und physische Anfälligkeiten mit hohen Folgekosten im Gesundheitssystem, erschwert den Zugang zu Bildung, die Integration in den Arbeitsmarkt, die gesellschaftliche Teilhabe, verringert die Mobilität. Wer drei Kinder hat, steht vor der schwierigen Entscheidung: Welchem Kind kann ich welche Ausbildung ermöglichen? Dabei bedeuten geringere Bildungschancen später mehr Belastungen für den Staat -ein Teufelskreis.

"Die Arbeitslosenquoten sinken nicht. Mit der Deckelung der MS mehr Leute in Arbeit zu bringen - wie soll das gehen?", fragt sich Beate Schneider, Bereichsleiterin für Soziales bei der Caritas Niederösterreich. Auch Sozialexperte Schenk hält die Maßnahme für "symbolische Politik", weil ein Großteil der MS-Bezieher krank, pflegebedürftig, behindert oder in Kinderbetreuung ist - und nicht vollerwerbstätig sein kann. Künftig werden die Betroffenen wohl vor allem beim Essen, beim Heizen und beim Wohnraum noch mehr sparen müssen. Doch schon jetzt müssen Angehörige oder Nachbarn einspringen, die etwa Essen vorbeibringen oder mit Gewand für die Kinder aushelfen. Die Sozialberatungsstelle der Caritas Niederösterreich muss immer mehr Geld für Lebensmittel ausgeben, nachdem die Gruppe der subsidiär Schutzberechtigten im Frühjahr von der MS zurück in die Grundversorgung gestuft wurde und nun am unteren Limit leben muss.

Einsparen ja, aber spezifischer

Ökonom Christian Keuschnigg vom Wirtschaftspolitischen Zentrum (WPZ) versteht zwar den Versuch der Politik, Ausgaben zu begrenzen und auf den Druck der Bevölkerung zu reagieren, aber hält strikte Deckelungen für den falschen Ansatz: "Maximal 1500 Euro ungeschaut für alle festzusetzen, ist vor allem gegenüber kinderreichen Familien unfair." Außerdem müsse man jenen, die arbeiten und sich entwickeln wollen, mehr Anreize bieten.

Die neue Regelung, dass Asylberechtigte von den Bürgermeistern zu unbezahlter gemeinnütziger Arbeit verpflichtet werden können, hält Keuschnigg für falsch. "Da bräuchte es schon eine bundesweite Mindestregelung, denn Leistung anerkennen heißt schon zu bezahlen." An dieser "reinen Leistungsgerechtigkeitsdebatte" stört Schenk, dass sie gemäß einem "ganz spezifischen moralischen Korsett" geführt wird: "Dabei fällt die Bedarfsgerechtigkeit, die Anerkennungsgerechtigkeit und die Teilhabegerechtigkeit unter den Tisch." Hier rechne die Politik Arme reich, um einen Niedriglohnmarkt wie Hartz IV in Deutschland vorzubereiten. "Genau so hat die Debatte dort auch angefangen." Geendet hat sie bekanntlich nicht im sozialen Sprungbrett, sondern in der Armutsfalle - auch und vor allem für Kinder.

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