In der Arbeitswelt bloß ZWEITKLASSIG

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Sollte es in Zeiten der Rekordarbeitslosigkeit einen eigenen Niedriglohnsektor für Flüchtlinge geben? Die heikle Forderung der Wirtschaft wirft viele weitere Fragen auf.

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Sollte es in Zeiten der Rekordarbeitslosigkeit einen eigenen Niedriglohnsektor für Flüchtlinge geben? Die heikle Forderung der Wirtschaft wirft viele weitere Fragen auf.

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Neuerdings sind die Tage von Anzour Haj Ahmad voll. Er betreut für die Diakonie Flüchtlinge in Gallneukirchen, geht mit ihnen einkaufen, vereinbart für sie Termine, dolmetscht arabisch-deutsche Gespräche. Für den 27-jährigen Buchhalter aus Damaskus ist es der erste reguläre Job in der neuen Heimat -26 Stunden pro Woche arbeitet er jetzt. "Vielleicht werde ich später noch aufgestockt, aber ich bin der Diakonie sehr dankbar, dass sie mir eine echte Chance in Österreich gibt", erzählt er in flüssigem Deutsch. "Seit ich den Job habe, kann ich besser schlafen."

Vor knapp einem halben Jahr war Haj Ahmad selbst noch Asylwerber in der oberösterreichischen Stadtgemeinde. Ganze 13 Monate musste er auf seinen Asylbescheid warten und konnte sich nicht auf Jobsuche begeben. Gallneukirchens Bürgermeisterin Gisela Gabauer (ÖVP) erkannte das Problem der zur Untätigkeit verdammten Flüchtlinge und schuf die Möglichkeit gemeinnütziger Arbeiten vor Ort. Auch Haj Ahmad reinigte Bushaltestellen, Spielplätze, Gartenanlagen. Für die 22 Stunden monatlich gab es 110 Euro, mehr dürfen Flüchtlinge nicht zur Grundversorgung dazuverdienen. "Das war trotzdem eine gute Sache für mich, irgendeine Beschäftigung zu haben. Wir haben hier so viele Flüchtlinge, die irgendetwas tun wollen, aber nicht dürfen", berichtet Haj Ahmad.

Angesichts der höchsten Arbeitslosigkeit in der Zweiten Republik und der schwer in den Arbeitsmarkt integrierbaren Flüchtlinge denken Wirtschaftsverteter nun laut über einen Niedriglohnsektor für Flüchtlinge nach. Geht es nach der Wirtschaftskammer (WKO), sollten Asylwerber nach sechs Monaten Aufenthaltsdauer für jene Stellen in Frage kommen, für die keine Inländer gefunden werden konnten. "Das wären ganz normale Dienstverhältnisse", betont Rolf Gleißner von der Abteilung Sozialpolitik der WKO.

Tatsächlich gibt es den heiß diskutierten Niedriglohnsektor in Österreich längst. Über ein Drittel der Frauen und zehn Prozent der Männer arbeiten für ein Gehalt, das nur 60 Prozent des österreichischen Mediangehalts (1800 Euro brutto) entspricht. So liegt der Lohn für eine ausgebildete Friseurin selbst im fünften Berufsjahr bei nur 1478 Euro brutto -sie bekommt also gerade einmal 1185 Euro heraus. Von der Gewerkschaft kam bereits eine klare Absage, Asylwerber unter dem kollektivvertraglich festgesetzten Lohn zu beschäftigen.

Alles besser als gar kein Job?

Niedrigere Löhne würden aber zu mehr Jobs führen, argumentiert Gleißner von der WKO. "Gerade in der jetzigen Situation mit der steigenden Arbeitslosigkeit und der Flüchtlingsproblematik muss man die Hürden für Beschäftigung senken", ist er überzeugt. Dass Ausnahmen beim Mindestlohn zu einem Verdrängungswettbewerb unter Geringverdienern und zu einem Abwertungswettlauf bei den Löhnen führen, will er gar nicht in Abrede stellen. In Zeiten schwacher Konjunktur müsse man eben in den sauren Apfel beißen, nach dem Credo: Alles besser als gar kein Job. Ob man so nicht Fremdenhass schürt? "Wenn die Flüchtlinge alle Mindestsicherung kassieren, ohne zu arbeiten, steigt die Begeisterung in der Bevölkerung auch nicht", so Gleißner.

Ethische Bedenken äußert Arbeits-und Sozialexpertin Margit Appel von der Katholischen Sozialakademie (KSÖ):"Schon vor der Flüchtlingswelle hätte man den Niedriglohnsektor intensiver problematisieren sollen: Warum soll es Arbeit geben, von der Menschen nicht existenzsichernd leben können?" Angesichts der Flüchtlinge gerate die Job-Debatte nun so, als ob ein Niedriglohnsektor das Gelbe vom Ei wäre.

Die Erfahrungen mit Niedriglöhnen in Deutschland zeigen schließlich, dass Ein-Euro-Jobs kein Sprungbrett sind, sondern die Arbeitskräfte in ihrer Perspektivenlosigkeit festschreiben. Deutschland hat nun den entgegengesetzten Weg eingeschlagen und Mindestlöhne eingeführt - ohne den von der Wirtschaft befürchteten großen Beschäftigungs-Einbruch. "Zu argumentieren, für diese Gruppe wäre das doch eh das geringere Übel, die sollten doch froh sein, dass sie überhaupt einen Job haben, aber für alle anderen wollen wir dieses niedrige Lohnniveau nicht, ist keine haltbare Argumentation", so Appel. Gerade wenn es um schwache Gruppen geht, die keine politische Vertretung haben, bestünde die Gefahr, in puncto ethische Ansprüche schnell Abstriche zu machen.

Angst vor fremder Konkurrenz

Auch eine wirtschaftliche Logik kann Arbeitsmarkt-Experte Helmut Mahringer vom Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) in dem Vorschlag eines Niedriglohnsektors für Asylwerber nicht ausmachen: "Wäre dieser Sektor weit weg von der regulären Beschäftigung, wäre wieder keine Integration in den Arbeitsmarkt möglich. Würde man aber arbeitsmarktnahe Maßnahmen setzen, bestünde die Gefahr einer Verdrängung der heimischen Arbeitskräfte." Obendrein hält es Mahringer für nicht gerade integrationsfördernd, würden bestimmte Gruppen teils berechtigte Ängste entwickeln, dass geringer entlohnte Asylwerber ihnen die Arbeit wegnehmen könnten. Viele Österreicher fürchten bereits jetzt die Konkurrenz von Flüchtlingen am Arbeitsmakt, auch wenn AMS-Sprecherin Beate Sprenger Entwarnung gibt: "Die Asylberechtigten hier sind keinerlei Konkurrenz, weil sie kaum über Deutschkenntnisse verfügen, bislang auch kaum Netzwerke aufbauen konnten." Dennoch steigt die Arbeitslosigkeit auch durch den Zuzug von Flüchtlingen weiter - derzeit ist jeder zwanzigste Arbeitslose im Land ein anerkannter Flüchtling. Meist werden ihre Qualifikationen nicht angerechnet oder sind in der bestehenden Form in Österreich nicht nachgefragt.

Laut eines AMS-Kompetenzchecks weisen besonders die Menschen aus dem Irak, Iran und Syrien einen hohen Bildungsgrad auf. Rund 90 Prozent der Iraner und 70 Prozent der Syrer haben eine über die Pflichtschule hinausgehende Ausbildung -bei den Afghanen sind es aber nur 17 Prozent. Von den irakischen und iranischen Flüchtlingen verfügen sogar 40 Prozent über einen Studienabschluss -sie sind damit im Schnitt höher gebildet als die Österreicher, deren Akademikeranteil bei 15 Prozent liegt. Doch kann nur jeder und jede Dritte ein offizielles Zeugnis aus der Heimat vorweisen. Wie lange es also dauern wird, bis die Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt integriert werden können? Eine Studie des deutschen Instituts für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung (IAB) prognostiziert eine Integration von 50 Prozent der Asylberechtigten binnen fünf Jahren. Diese Zahl erscheint AMS-Expertin Sprenger auch für Österreich realistisch: "50 Prozent mögen gering wirken, doch auch in der österreichischen Bevölkerung liegt die Beschäftigungsquote bei nur rund 75 Prozent."

Politische Lösungsvorschläge

Wie könnte man also bessere Beschäftigungsmöglichkeiten für Asylwerber schaffen? Der erste Schritt müsse laut WIFO-Experten Mahringer eine schnellere Erledigung der Asylverfahren sein, zweitens sollte in die Aus-und Weiterbildung von Flüchtlingen investiert werden, gerade angesichts der vielen relativ jungen Asylwerber. Sinnvoll wäre auch das diskutierte Integrationsjahr für Asylweber mit gemeinnützigen Arbeiten im kommunalen Bereich einzuführen, so wie es in Gallneukirchen bereits passiert. "Da soll aber nicht die Arbeit im Vordergrund stehen", so Mahringer, "sondern der Kontakt mit der Bevölkerung und das Erlernen gesellschaftlicher Normen."

Außerdem könnte man Firmen etwa mit Mentoring-Projekten für Flüchtlinge in die Pflicht nehmen, schlägt KSÖ-Expertin Appel vor: "Das könnte auch ein Teil der CSR (Corporate Social Responsibility) sein und hätte einen anderen Geschmack als unbezahlte Praktika und Probezeiten." WKO-Experte Gleißner wiederum befürwortet das Vorarlberger Modell, bei dem Asylberechtigten umfassende Angebote gemacht werden, Sozialleistungen aber auch gekürzt werden können, wenn diese Angebote nicht angenommen werden.

Der Neo-Gallneukirchner Haj Ahmad ist schon einen Schritt weiter. Sein ultimativer Berufswunsch ist es aber, wie in der Heimat als Buchhalter zu arbeiten. "Derzeit bin ich einfach froh, einen Einstieg gefunden zu haben, aber später wäre es vielleicht besser, wieder in meinem Ursprungsberuf zu arbeiten", erzählt er. Seine Zeugnisse von der Universität in Damaskus hat er nach Österreich mitgebracht, doch vom AMS hieß es: Zuerst muss er die österreichische Ausbildung absolvieren. Nun hat er den Bescheid, dass er zumindest gleich mit dem Masterstudium Wirtschaft einsteigen darf, das in Linz auf Englisch angeboten wird. Dem jungen Mann ist bewusst, dass er selbst Glück hatte. Er hofft, dass sich noch mehr Arbeitsmöglichkeiten für Flüchtlinge auftun werden. "Jeder Mensch verfügt über Energie, die er durch die Arbeit auf positive Weise einsetzen kann."

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